Die politische Diskussion nach der Wahl beschränkt sich praktisch nur auf das Flüchtlingsthema. Wirtschafts- und Finanzpolitik sind völlig aus dem Blick geraten. Und die Rente ist auch nur bis 2030 sicher.
Börsen-Zeitung: "Mehr Wirtschaft gefragt", Kommentar zur Bundestagswahl von Angela Wefers
Gravierende Verluste der etablierten Volksparteien CDU, CSU und SPD, die Rückkehr der FDP nach vier Jahren und der erstmalige Einzug der AfD gleich als drittstärkste Fraktion in den Bundestag: Dies ist die Bilanz der Wahl 2017. Die Grünen haben entgegen den Erwartungen der Demoskopen ihre Position leicht ausgebaut. Sie liegen knapp hinter der den Liberalen. Das gibt ihnen eine bessere Startposition bei den Koalitionsverhandlungen zu einer schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition. Dies ist die einzige rechnerische Möglichkeit für eine Regierungsmehrheit, nachdem die SPD nach ihrem Wahldebakel entschieden hat, in die Opposition zu gehen.
Die Entscheidung der Sozialdemokraten zerstört immerhin einen Traum der frischgebackenen Bundestagsfraktion der AfD. Sie kann nicht Oppositionsführerin werden, mit dem Recht, in Debatten direkt auf die Regierung zu antworten und der Usance, den Vorsitz des mächtigen Haushaltsausschusses zu übernehmen. Dort laufen alle Fäden zusammen, da Entscheidungen im Bundestag auch eine finanzielle Dimension haben. Dass sich die AfD durch die SPD um diese Stellung betrogen fühlt, spricht für ein armseliges Demokratieverständnis.
Auch SPD-Parteivorsitzender Martin Schulz hat in dieser Hinsicht noch Nachholbedarf. "Die Opposition ist die entscheidende Kraft in der Demokratie." Mit diesem Satz untermauerte er den neuen Kurs seiner Partei. Schulz irrt. Entscheidende Kraft in der Demokratie ist nicht die Opposition, sondern muss die Regierung sein. Ist sie es nicht, gehört sie abgewählt. Hätte Schwarz-Rot dies stärker beherzigt, wären nicht so viele Wähler zur AfD gewechselt. Diese haben den Wahlforschern zufolge die rechtspopulistische Partei nicht wegen ihrer Inhalte, sondern allein aus Unzufriedenheit gewählt.
Die Inhalte entscheiden
Der Neustart der Regierung mit neuen Koalitionspartnern bietet die Chance, wieder Akzente auf Inhalte zu legen. Die scheidende und voraussichtlich neue Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die ihr verliehene Macht als Möglichkeit, zu gestalten. Dies muss die neue Regierung auch tun. Es reicht nicht, unvorhergesehene Probleme wie die Finanzkrise, die Euroschuldenkrise oder die Flüchtlingswelle, die die Globalisierung ins Land trägt, zu bewältigen. Das Hauptproblem dieser Tage ist auch nicht die AfD, sondern eine überzeugende Politik der Regierung für dieses Land.
Sowohl die FDP als auch die Grünen sind bereit, über eine Regierungsbeteiligung zu sprechen. Auch die CSU hat beigedreht und will in der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU bleiben. Dies dürfte allerdings praktischen Erwägungen folgen, denn mit durchgerechnet nur etwas mehr als 6 Prozent auf Bundesebene wäre die CSU mit Abstand die kleinste Fraktion im Bundestag. Der Informationsfluss und Einfluss ist in einem Fraktionsverbund mit der CDU weitaus größer. Die Koalitionsverhandlungen werden schon deshalb schwierig, weil es in einer so heterogenen Gruppe wie Schwarz-Gelb-Grün darauf ankommt, Inhalte schon im Koalitionsvertrag konkret festzulegen. Alles andere trägt Unruhe in die Regierungszeit.
Vor allem mehr Inhalte sind gefragt. Die Digitalisierung geht Hand in Hand mit dem Bereitbandausbau, der hierzulande nur schleppend vorankommt. Bildung und ausreichende Kinderbetreuung sind Themen, die für die alternde Gesellschaft wichtig sind. Nur so können mehr Frauen berufstätig sein. Für die Rente gibt es nur ein Konzept bis 2030. Dann wird es teuer. Die Entwicklung nach diesem Datum ist aber schon heute absehbar. Auch die Energiewende muss schneller vorangetrieben werden, soll die Wirtschaft nicht auf der Strecke bleiben.
Harte Auseinandersetzungen sind bei der Einwanderungspolitik zu erwarten. Die CSU träumt von einer "Obergrenze", die Grünen wollen Arbeitssuchenden ein Aufenthaltsrecht geben. Nötig wäre endlich eine politische Entscheidung, die klar zwischen Asyl und wirtschaftlich motivierter Zuwanderung unterscheidet - und ein Einwanderungsgesetz, in dem dies klar geregelt ist.
Finanzpolitik im Abseits
Völlig aus dem Blick geraten ist über das Flüchtlingsthema die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die deutschen Unternehmen sehen sich steuerpolitisch Wettbewerbsdruck aus dem Ausland ausgesetzt. Die USA und Großbritannien haben Erleichterungen angekündigt. Hierzulande scheint die Politik dies zu ignorieren. Stattdessen werden etwa mit der Zinsschranke munter weiter Kosten statt Gewinne besteuert, weil es an der Kraft fehlt, eine andere konjunkturabhängige Finanzquelle für die Gemeinden zu schaffen.
Gelb-grüne Gegensätze
Entlastungen für die Bürger in Zeiten stetig steigender Steuereinnahmen sind überfällig. Stattdessen haben die Grünen eine Vermögensteuer im Programm, die allerdings mit der FDP nicht zu machen wäre. Zusammenrücken ist auch in der Europapolitik nötig. Während die Grünen Pläne für ein eigenes Budget für die Eurozone und eine Europäische Wirtschaftsregierung befürworten, ist die FDP strikt dagegen. Auch den Ausbau des Stabilitätsfonds zu einem Europäischen Währungsfonds trägt die FDP nicht mit. Dass Finanzstabilität Vorrang vor Investitionen hat, unterstützt wiederum die FDP, die Grünen sehen es andersherum.
Entscheidend ist, dass die neue Regierung sich zu einem Koalitionsvertrag durchringt, der auch die Wirtschaft im Blick hat. Dies ist die Voraussetzung für mehr öffentliches Geld für soziale Wohltaten - für alle, die sich abgehängt fühlen und von den etablierten Parteien abgewandt haben.