Die politische Krise im Nahen Osten spitzt sich zu: Saudi-Arabien und Kuwait haben ihre Landsleute aufgefordert, den Libanon zu verlassen. Folge: Ölpreise ziehen an. Doch die steigenden Preise sind auch Ergebnis des abnehmenden Überangebots und einer zunehmenden Nachfrage.
Von Sven Weisenhaus
Die gestrige Analyse von Torsten Ewert möchte ich heute aufgreifen: Auch ich sehe derzeit klar bullishe Signale und nachhaltig höhere Ölpreise - und das nicht erst, seit sich in den vergangenen Tagen die Lage im Nahen Osten verschärft hat (u. a. Verhaftungswelle und Machtpoker in Saudi Arabien).
Steigende Ölpreise erwartet
Wie Torsten Ewert gestern schrieb, hatte ich Mitte Juli das Ende der damaligen kurzfristigen Korrektur bei der US-amerikanischen Ölsorte WTI und einen Wiederanstieg bis auf 50 Dollar angekündigt. Am 14. September hatte ich diese Prognose allerdings aktualisiert und das Kursziel angehoben. Ich wies darauf hin, dass die OPEC Erfolge bei ihrem Bemühen um eine Senkung der Ölförderung gemeldet hatte und zugleich die globale Ölnachfrage stieg. „Diese Konstellation führt dazu, dass die laufende Rohölproduktion seit einigen Monaten im Durchschnitt etwas niedriger ist als die Nachfrage. Dadurch dürfte es zu einem Abbau der hohen Lagerbestände kommen“, hieß es in der September-Analyse.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der WTI-Preis gerade seinen Abwärtstrendkanal nach oben gebrochen und meinen Zielkurs von 50 USD erreicht - dazu noch einmal der Chart von damals (siehe grüner Pfeil, Zielkurs = blaue Linie):
Charttechnisch sah ich angesichts dieses bullishen Trendbruchs beim Ölpreis „Platz bis zum oberen Ende der Seitwärtsrange bei ca. 56 USD“ (gelbes Rechteck).
Gestern hat der Ölpreis auch dieses Kursziel erreicht. Er stieg sehr dynamisch auf dieses Niveau und sogar darüber hinaus - dazu der aktuelle Chart:
Der Ölpreis der US-Sorte WTI stand zuletzt am 3. Januar 2017 so hoch. Und ich könnte mir vorstellen, dass er auch noch die Hochs von Mitte 2016 bei 58,4 USD überwindet und damit, ähnlich wie die Sorte Brent, auf ein Zwei-Jahres-Hoch steigt.
Das Ende des Überangebots
Der Grund für diese höhere Erwartung sind Hinweise und Spekulationen auf ein anhaltend sinkendes Überangebot. Auf Basis der Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) sei der Ölmarkt im zweiten Halbjahr bereits mehr oder weniger ausgeglichen, meinen zum Beispiel die Analysten der Commerzbank.
Das Abkommen über eine Förderkürzung der Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC) und zehn weiteren Förderländern ist inzwischen zehn Monate alt. Insgesamt haben sich die Partner verpflichtet, täglich 1,8 Millionen Barrel Öl weniger zu fördern als im Oktober 2016. Davon übernimmt die OPEC allein 1,2 Millionen Barrel. Zuletzt schätzte die IEA, dass die OPEC das Abkommen bislang zu 85 % umgesetzt hat.
Saudi-Arabien, das mit zehn Millionen Barrel pro Tag mehr als ein Zehntel des weltweit angebotenen Öls fördert, will seine Öllieferungen im November sogar in einem noch nie dagewesen Ausmaß kürzen. Im Detail werde es die Ausfuhren um 560.000 auf 7,15 Millionen Barrel pro Tag beschränken, erklärte das saudische Energieministerium kürzlich.
Bei ihrem erklärten Hauptziel, dem Abbau der hohen globalen Lagerbestände, kommt die Fördergemeinschaft dadurch stetig voran. Die Lagerbestände in den Industriestaaten der OECD fielen im August erneut und standen damit nur noch 171 Millionen Barrel über dem Fünf-Jahres-Durchschnitt. Zu Jahresbeginn waren es noch 340 Millionen Barrel über dieser Durchschnittsmarke. Meine oben zitierte Erwartung, dass es tatsächlich zu einem Abbau der Lagerbestände kommt, hat sich also erfüllt. Dementsprechend hat der Ölpreis reagiert.
Weltweit anziehende Nachfrage
Aber neben der Angebotsseite gibt es auch noch die Nachfrageseite. Und hier hat die OPEC, neben dem „La-Niña“-Ereignis (siehe gestrige Analyse von Torsten Ewert), auch noch die weltweit anziehenden Ölnachfrage als unerwartet starken Unterstützer gewonnen. Denn dank der guten Weltkonjunktur steigt die Nachfrage nach Öl in diesem Jahr um 1,6 Millionen auf 97,7 Millionen Barrel pro Tag. Das ist ein Plus von 1,64 % gegenüber dem Vorjahr. Das Angebot steigt hingegen voraussichtlich nur um 0,4 %. Hält diese Entwicklung an - und danach sieht es derzeit aus - könnte im kommenden Jahr sogar die 100-Millionen-Barrel-Marke durchbrochen werden.
Wichtige Entscheidung am 30. November
Allerdings: Ohne eine Verlängerung der Produktionskürzungen, könnte es im nächsten Jahr abermals ein Überangebot geben. Denn es droht anhaltender Druck aus den USA. Die höheren Ölpreise kommen insbesondere den Schieferölproduzenten in den USA gelegen. Laut Schätzungen steigt die gesamte US-Produktion in diesem Jahr um 600.000 Barrel. 2018 sollen es sogar 860.000 sein. Dabei wird erwartet, dass die US-Ölförderung 2018 den Rekord aus dem Jahr 1970 von 9,6 Mio. Barrels im Jahresdurchschnitt brechen wird. Würden die OPEC und ihre zehn Partner nach Ablauf des aktuellen Abkommens im März 2018 zu alten Produktionsniveaus zurückkehren, läge damit ein erneutes Überangebot am Markt vor.
Am 30. November trifft sich die OPEC zu ihrer nächsten regulären Sitzung in Wien, um über das weitere Vorgehen und vor allem natürlich eine Verlängerung der getroffenen Maßnahmen zu entscheiden. Wer sich am Rohölmarkt engagieren möchte, sollte also dieses Treffen und die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten genau beobachten.