Nach den Einbrüchen in den letzten Wochen konnten sich die Aktienmärkte wieder erholen. Die Jahreshöchststände wurden jedoch bisher nicht wieder erreicht. Bange Frage also: Ist die Korrektur vorbei?
von Sven Weisenhaus
Der DAX hat am Freitag im Rahmen seiner Seitwärtstendenz (gelbes Rechteck im folgenden Chart) bei 12.275 Punkten eine kurzfristig wichtige Hürde genommen (rote Widerstandslinie, grüner Kreis).
Allerdings konnten die Bullen davon nur begrenzt profitieren. Denn starke Anschlussgewinne folgten zunächst nicht. Stattdessen setzten die Kurse schnell wieder auf das Ausbruchsniveau zurück. Und damit war der bullishe Ausbruch noch nicht nachhaltig und daher mit Vorsicht zu genießen. - Dieses Kursverhalten passt insgesamt zu der übergeordneten Seitwärtsrange. Denn in Seitwärtsbewegungen kommt es oft zu Fehlsignalen.
Was heißt eigentlich „nachhaltig“?
In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Leser-Mail eingehen, die thematisch gerade sehr gut passt. Denn darin fragte der Leser, wann „Nachhaltigkeit“ bei einem Ausbruch eigentlich erreicht ist. „Gibt es dafür einen genauen Kurs oder eher einen Kursbereich (wahrscheinlich). In welchem Bereich läge dieser und kann er in eine prozentuale Angabe gefasst werden?“, lauten seine konkreten Fragen.
Tatsächlich ist der Begriff „nachhaltig“ sehr dehnbar. Was genau darunter zu verstehen ist, hängt daher von dem Kontext ab, in dem er verwendet wird. Es geht um das jeweils vorangegangene Kursverhalten. Die Nachhaltigkeit eines Ausbruchs ist daher bei jeder Analyse individuell zu bestimmen. Dem Leser habe ich dies anhand eines Beispiels konkretisiert. So bezog sich seine Frage unter anderem auf die Börse-Intern vom 2. Februar, in der folgender Chart gezeigt wurde.
Dazu war damals zu lesen: „…der DAX erreichte heute die Unterkante des seit Mitte 2016 gültigen Aufwärtstrendkanals (grüner Pfeil, …). Zwar wurde die Linie im Rahmen der Kursdynamik heute bereits leicht unterschritten, doch anschließend zeitweise wieder zurückerobert. Aktuell kämpfen Bullen und Bären um diese Linie. Nachhaltig gebrochen ist sie noch nicht.“ Dem Leser schrieb ich in diesem Zusammenhang folgendes:
Verschiedene Analysten, unzählige Argumente
Zur Nachhaltigkeit eines Ausbruchs gibt es keine einheitliche Meinung oder Definition. Einige Analysten werden bei diesem Ausbruch argumentieren, dass der Schlusskurs unterhalb der Trendlinie lag und der Bruch der Linie damit bereits nachhaltig war. Andere werden dagegenhalten, dass die gesamte Tageskerze noch auf der Trendlinie liegt.
Erst wenn die nächste Tageskerze vollständig unterhalb dieser Linie liegt und diese Kerze zudem bearish ist, wäre der Bruch nachhaltig. - Und bei diesen Argumentationen wurden nur die Tageskerzen betrachtet. Man könnte auch noch die Kerzen der kleineren oder größeren Zeiteinheiten anschauen und dazu die entsprechenden Argumente auflisten.
Wiederum andere Analysten könnten argumentieren, dass sogar erst ein aus Sicht der Bären erfolgreicher Test dieser Linie zur Nachhaltigkeit des Bruchs führt. „Erfolgreicher Test“ bedeutet in diesem Fall, das die Aufwärtstrendkanallinie von unten angelaufen wird, ein Überwinden aber nicht gelingt und es dann wieder zu einem neuen Korrekturtief kommt.
Sie sehen, wie verschieden der Begriff „nachhaltig“ definiert wird.
Der Bruch der Trendlinie aus heutiger Sicht
Wir können aber heute einmal auf den aktuellen DAX-Chart schauen und sehen, wie sich der Kursverlauf nach dem Bruch der Aufwärtstrendkanallinie weiterging:
Wie sich zeigt, kam es am Folgetag zu weiteren Kursverlusten und einer vollständigen Tageskerze unterhalb der Linie (roter Pfeil). Dabei lag der Startkurs des neuen Tages auch noch unter der Kerze des vorherigen Tages. Ein klarer Beleg für einen nachhaltigen Bruch. Ein Retest der Aufwärtstrendlinie hat dagegen bislang nicht stattgefunden, weil die weitere Abwärtsbewegung sehr dynamisch war.
Nachhaltigkeit am aktuellen Beispiel
Im ersten DAX-Chart der heutigen Ausgabe (oben) haben wir es mit Stundenkerzen zu tun. Hier gab es ebenfalls vollständige Kerzen oberhalb des Ausbruchsniveaus (rote Widerstandslinie). Doch in diesem Fall kam es anschließend zu einem Retest des Ausbruchsniveaus (von oben). Und daher würde man bei diesem Chartbild noch nicht von einem nachhaltigen Ausbruch sprechen. Dies wäre erst dann der Fall, wenn der Test aus Sicht der Bullen erfolgreich verläuft und ein neues Trendhoch erreicht wird.
Und während ich diese Zeilen geschrieben habe, ist der DAX tatsächlich an der horizontalen Linie wieder nach oben gedreht und hat ein neues Trendhoch erreicht.
Aber wir befinden uns übergeordnet weiterhin in einer Seitwärtsbewegung (gelbes Rechteck). Und bekanntlich kommt es in Seitwärtsbewegung oft zu Fehlsignalen. Von einem nachhaltigen bullishen Bruch sollte man daher hier erst dann reden, wenn der DAX die Seitwärtsrange nach oben auflöst.
Auf die Folgekerzen kommt es an
Wann ist also nun ein Ausbruch nachhaltig? Zunächst gilt es festzuhalten, dass es immer auf die Umstände ankommt und man eine Vielzahl von Umgebungsvariablen in die Überlegungen mit einzubeziehen muss. Zudem ist Nachhaltigkeit immer nur ein Zustand zum aktuellen Zeitpunkt.
Aber abgesehen davon kann man grundsätzlich sagen, dass ein Ausbruch nachhaltig ist, wenn ein Schlusskurs unterhalb einer Unterstützungs- oder oberhalb einer Widerstandslinie markiert wird. Wer es etwas defensiver mag, wartet noch die Folgekerzen ab. Wird mit ihnen der Trend in Ausbruchsrichtung klar und möglichst dynamisch fortgesetzt - wie im Fall des Trendbruchs von Anfang Februar - befindet man sich auf der sicheren Seite (soweit man in der Charttechnik von "sicherer Seite" sprechen kann).
Kommt es anschließend noch zu einem Rücksetzer auf das Ausbruchsniveaus und damit zu einem Retest, gilt der Ausbruch als nachhaltig, wenn sich die Kurse anschließend weiter in die Ausbruchsrichtung bewegen - wie heute im Stundenchart des DAX geschehen.