„Grüner“ Strom kann zwar von vielen Lieferanten geordert werden. Doch der Kunde bekommt ihn nicht. Er erhält den gleichen Strom wie seine Nachbarn, die „Normalstrom“ beziehen.
Von Prof. Dr. Ing. Hans-Günter Appel
Anpreisungen von grünem Strom
Der große Energieversorger Weser Ems (EWE) warb mit dem Spruch: Mein Papa sagt, bei uns kommt grüner Strom aus der Steckdose. Die Deutsche Bahn behauptet, mit einer BahnCard werden die Fahrgäste mit grünem Strom befördert. Greenpeace bietet mit einer eigenen Gesellschaft grünen Strom an. Die Stadtwerke Leipzig, wollen in Zukunft nur noch mit Strom aus den Wasserkraftwerken in Norwegen ihre Straßenbahnen betreiben.
Viele Stadträte plädieren für die ausschließliche Verwendung von grünem Strom in öffentlichen Gebäuden. Auch viele Privathaushalte haben Lieferverträge für grünen Strom. Sie sind sogar bereit, etwas mehr dafür zu zahlen, um die Welt zu retten. Dieses Argument wird pausenlos von der Regierung, den politischen Parteien und den Medien wiederholt. Doch ist die Lieferung von ausschließlich grünem Strom überhaupt möglich?
Vollversorgung mit grünem Strom ist nicht möglich
Physikalische Grenzen und das Wetter kann man nicht mit Ideologien in die gewünschte Richtung zwingen. Die physikalischen Gesetze gehorchen keinem parlamentarischen Beschluss. Die Politik muss sich nach der Physik richten. Es geht nicht anders. Auch das Wetter müssen wir nehmen, wie es ist.
Wir können nicht bestimmen, wann der Wind zu wehen und die Sonne zu scheinen hat. So müssen wir bei Starkwind und Sonnenschein überschüssigen grünen Strom teuer entsorgen und bei Flaute und Dunkelheit die Versorgung mit Dampf- und Gaskraftwerken sichern. Wirtschaftliche und ausreichend große Stromspeicher sind heute noch nicht einmal im Ansatz erkennbar. Wir müssen daher noch viele Jahrzehnte die herkömmlichen Kraftwerke als Rückgrat unserer Stromversorgung nutzen.
Grüner Strom und Kraftwerkstrom werden in das gemeinsame Netz eingespeist. Der Kunde erhält Strom von denjenigen Erzeugern, zu denen Leitungen mit den geringsten elektrischen Widerständen führen. Es wird immer ein Mix aus verschiedenen Quellen sein, da die Verteilung über Umspannwerke führt. Es ist unmöglich, über das Netz nur grünen Strom zu beziehen.
Die Stromkunden werden mit dem Werben für den Bezug von grünem Strom hinters Licht geführt. Sie erhalten ihn nicht. Es ist auch für die Deutsche Bahn unmöglich, den BahnCard-Kunden mit grünem Strom zu befördern, währen der neben ihm sitzende Normalkunde mit Kraftwerksstrom fährt.
Eine Vollversorgung mit grünem Strom ist nicht möglich, weil das Wetter nicht mitspielt. Wir haben mal zu viel und mal zu wenig grünen Strom. Weiter brauchen wir mindestens 45 Prozent Strom aus den großen Kraftwerken, um die Netzfrequenz zu stabilisieren. Dies geschieht durch die potentielle Energie der großen rotierenden Massen der Turbinen und Generatoren von vielen tausend Tonnen.
Sie sind ein direkt wirkender kurzfristiger Energiespeicher, der die Netzfrequenz von 50 Hertz (Schwingungen pro Sekunde) weitgehend stabil hält, wenn Verbraucher ein- oder ausgeschaltet werden. Ohne diese Stabilisatoren würden leichte Abweichungen der Frequenz und Phase der vielen kleinen Grünstrom-Erzeuger zu einem Wellensalat und damit zu einem Netzzusammenbruch und Stromausfall führen.
Grüner Strom wird nicht geliefert
Erst bei intensiver Nachfrage erläutern die Anbieter, grüner Strom sei eine Verrechnungseinheit. Man kaufe Anteile an dem in das Netz eingespeisten grünen Strom. Diese Anteile würden an die Kunden weiter gegeben. Die Verrechnung findet nicht zeitgleich mit der Erzeugung des grünen Stroms statt.
Nicht erwähnt wird, dass die Anbieter den grünen Strom nicht von den Erzeugern kaufen und dafür die Einspeisevergütung nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) zahlen, sondern zu den sehr viel niedrigeren Börsenpreisen. (Der grüne Strom wird zu Dumpingpreisen über die Börse veräußert). So macht der Anbieter gute Gewinne, die der Kunde letztlich mit der hohen und immer weiter steigenden EEG-Umlage bezahlen muss.
Bei Wetterlagen mit grünem Überschussstrom wird Wasser in den Pumpspeicherwerken von Österreich und der Schweiz in die Speicherbecken gehoben. Der Strom kommt jedoch vorwiegend aus den Kernkraftwerken in Frankreich und in der Tschechei, die in der Nähe der Pumpspeicherwerke liegen. Der grüne Überschussstrom bleibt vorwiegend im Norden Deutschlands oder wird in die Nachbarländer geleitet, denn Strom nimmt immer den Weg des geringsten Widerstandes.
Das ist der meistens der kürzeste Weg. Bei Stromnachfrage wird der der Strom aus den Speicherkraftwerken dann vorwiegend nach Deutschland verkauft. Da es nun grüner Strom ist (Wasserkraft), kann er auch als solcher an den gläubigen Bürger weiter gegeben werden. Aus Kernkraftstrom wird also grüner Strom.
Keine Proteste gegen Falschaussagen
Es gibt kaum Proteste gegen die Falschaussagen der Deutschen Bahn und der vielen Anpreiser von Ökostrom. Auch satirische Darstellungen, wie der Beitrag von Dr. K.P. Krause zeigen keine Wirkung. Lediglich in Leipzig hat es kürzlich öffentliche Proteste in Form von Leserbriefen gegen die falsche Ankündigung der Stadtwerke gegeben, die Straßenbahnen würden demnächst ausschließlich mit Wasserstrom aus Norwegen fahren. Dies ist nicht möglich, weil es keine direkte Stromleitung von Norwegen nach Leipzig gibt.
Doch die Regierung und die meisten politischen Parteien stehen hinter diesen Aussagen und vernebeln die Fakten, dass grüner Strom nur als Verrechnungseinheit an den Kunden geliefert wird. Dazu wird sogar der TÜV genutzt, der mit vielen staatlichen Aufgaben betraut ist. Viele Lieferanten von grünem Strom werben mit dem Argument „Unser grüner Strom ist TÜV-zertifiziert“.
So glauben tatsächlich viele Mitbürger, sie würden grünen Strom erhalten, wenn sie den Lieferanten wechseln. Gutbürger sind bereit, dafür auch etwas mehr zu zahlen. Die Lieferung von grünem Strom zu erhöhten Preisen ist aber lediglich eine zusätzliche Abzocke über die EEG-Umlage hinaus. Die unsoziale Umverteilung von unten nach oben wird so noch vergrößert und die Regierung hilft dabei.