Rund eine Million Arbeitslose mit Hartz-IV-Bezug weniger als vor zehn Jahren – Zahl der Hilfebedürftigen insgesamt aber zuletzt konstant – Trotz Mindestlohn kaum weniger Erwerbstätige, die Verdienst mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken müssen – Rufe nach Abschaffung von Hartz IV greifen zu kurz
Via DIW
Die Zahl der Bezieherinnen und Bezieher von Hartz-IV-Leistungen ist trotz des Arbeitsmarktbooms seit dem Jahr 2011 nicht weiter zurückgegangen – sie liegt relativ konstant in der Nähe der Sechs-Millionen-Marke.
Das geht aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor, für die der DIW-Arbeitsmarktforscher Karl Brenke Daten der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet hat. Allerdings gab es im vergangenen Jahr deutlich weniger Arbeitslose, die Hartz IV bezogen, als zehn Jahre zuvor. Um rund eine Million Personen – von knapp 2,6 auf fast 1,6 Millionen – sank in diesem Zeitraum die Zahl der erwerbslosen Personen, die Arbeitslosengeld II erhielten.
„Obwohl ein großer Teil der arbeitslosen Hartz-IV-Bezieher, inzwischen fast zwei Drittel, keine abgeschlossene Berufsausbildung hat, haben wegen der guten konjunkturellen Lage viele eine Beschäftigung gefunden“, so Brenke. „Es sind in den vergangenen Jahren zahlreiche gering qualifizierte Jobs entstanden, wovon die Hartz-IV-Arbeitslosen profitieren konnten.“
Gleichzeitig ist jedoch die Zahl der sogenannten Aufstocker, also der Erwerbstätigen, die trotz des 2015 eingeführten Mindestlohns nicht ohne Hartz-IV-Leistungen über die Runden kommen, kaum gesunken. In der Gruppe der abhängig Beschäftigten, die mehr als 1 200 Euro im Monat verdienen – vor allem jene, die Vollzeit arbeiten – müssen heute sogar mehr Personen als vor Einführung des Mindestlohns ihren Verdienst aufstocken.
Rechnet man noch die Arbeitskräfte hinzu, die weniger als 15 Stunden pro Woche arbeiten und daher per Definition als arbeitslos gelten, gibt es insgesamt 1,1 Millionen Aufstocker.
Auch die Zuwanderung Asylsuchender hat dazu beigetragen, dass die Zahl der Hilfebedürftigen insgesamt zuletzt nicht weiter gesunken ist.
Nach ihrer Anerkennung stehen sie dem Arbeitsmarkt oftmals zunächst noch nicht zur Verfügung und beziehen zumindest vorübergehend Hartz IV, beispielsweise während sie Sprachkurse belegen. Im vergangenen Jahr war fast ein Viertel aller ausländischen Staatsangehörigen im Sinne des zweiten Sozialgesetzbuches hilfebedürftig.
Umfassende und finanzierbare Alternativen zu Hartz IV nicht in Sicht
In der politischen Debatte wird immer wieder gefordert, Hartz IV abzuschaffen. Ein Teil der Kritik bezieht sich auf die Sanktionen, die in Form einer Kürzung der Sozialleistungen im Falle eines Fehlverhaltens der Bedürftigen verhängt werden. Im ersten Quartal 2018 traf das auf gut 130 000 oder 3,1 Prozent aller erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und damit einen eher kleinen Teil zu.
In drei Viertel der Fälle waren Meldeversäumnisse die Ursache. Gleichwohl hat eine zusätzliche Auswertung von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ergeben, dass zwar nach wie vor die allermeisten Hartz-IV-Arbeitslosen eine angebotene Stelle sofort annehmen würden – ihr Anteil ist aber von 80 Prozent im Jahr 2008 auf zwei Drittel im Jahr 2016 gesunken.
Aus Sicht von Studienautor Brenke sind überzeugende Alternativen zu Hartz IV, die umfassend und zugleich finanzierbar wären, aber nicht in Sicht.
„Initiativen wie die Abschaffung von Hartz IV durch die öffentliche Förderung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen greifen zu kurz, denn die Arbeitslosen sind infolge der günstigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nur noch eine Minderheit unter den Bedürftigen“, so Brenke. „Wenn wir zu dem alten System zurückgehen, das wir vor der Hartz-IV-Reform gehabt haben, dann müssen wir eine Zweiklassengesellschaft wiederherstellen, in der zwischen Arbeitslosen- und Sozialhilfe unterschieden wird. Ich glaube, man sollte froh sein, dass diese Ungerechtigkeit mit Hartz IV aus dem Weg geräumt wurde.“