Die Parlaments-Debatte um den UN-Migrationspakt war ein Tiefpunkt politischer Kultur. Die Pro-Pakt-Parteisoldaten überboten einander in Vulgarität. Ich gebe der ach-so-freien Presse die Schuld, die vorab wenig mehr als Kritiker-Beschimpfung anbot.
von Dushan Wegner
m Donnerstag, dem 8. November 2018 wurde im deutschen Bundestag die Idee des Parlamentarismus verhöhnt wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik, und zwar durch die Worte und Worthandlung der Parteien, die den UN-Migrationspakt wider alle Vernunft und manche Wahrheit verteidigten.
Zunächst sprach für die AfD der einstige Christdemokrat Alexander Gauland (wenn er auch etwas milder klang als die Christdemokraten Merkel oder Maas noch vor etwa einem Jahrzehnt). Gauland listete die Widersprüchlichkeiten des UN-Migrationspaktes, etwa dass es angeblich »nicht verpflichtend« sei, aber dutzende Male versichert wird, dass man sich verpflichtet.
Gaulands Kernthese:
Linke Träumer und globalistische Eliten wollen unser Land heimlich aus einem Nationalstaat in ein Siedlungsgebiet verwandeln. (Steno-Protokoll, S. 6807, Abschnitt C)
Der Jurist Gauland, der achtmal so lange CDU-Mitglied war (40 Jahre von 1973 bis 2013) wie es die AfD überhaupt gibt (seit 2013) muss einige offenliegende Nerven getroffen haben, denn statt ihn ernsthaft in der Sache zu widerlegen, gingen seine neuen Kollegen und ehemaligen Parteikollegen schnell zu Beleidigungen und unterstellter Absicht über.
Man wirft »Angstmache« aus Parteikalkül vor (Harbarth, CDU). Stamp (FDP) beschimpft Kritiker des Pakts als »Verschwörungstheoretiker« und »rechte Trolle« – wittert aber selbst einen »Propagandafeldzug«; im selben Geiste wie die FDP auch Akbulut von der umbenannten SED, die eine »rechte Hetzkampagne« ausmachte, aber auch etwa Matschie (SPD) hatte wenig mehr als den Verzweiflungsruf »Verschwörungstheorie« zu bieten – und alles sei sowieso »grotesk und unsinnig«.
Auf der einen Seite wird erklärt, der Pakt trenne Migration und Flucht – auf der anderen Seite wurden etwa co Harbarth (CDU) emotionale Begebenheiten aus einem Flüchtlingslager erzählt. So ging es weiter. Kein Widerspruch wurde aufgelöst, sondern eher durch die üblichen Einlässe von den Grünen, die bereits mit der Umsetzung beginnen wollen, bekräftigt.
Ein seltenes Bild von Einigkeit: Alle von CDU bis zur umbenannten SED, von FDP bis Grüne, sind sich einig, dass man unbedingt einen Pakt mit Saudi Arabien, Somalia und anderen lupenreinen Menschenrechtlern zu schließen habe. – Wie immer gilt, urteilen Sie selbst. Der Stenographische Bericht steht im Internet (TOP 5, S. 6806), die Videos ebenso. (Am 9.11.2018 wurde z.B. in faz.net berichtet, dass der erwähnte Harbarth auf die Bahn zum Präsidenten des Verfassungsgerichts gesetzt wird – ach, ich weiß noch, als diesen Ämtern tatsächlich Würde innewohnte.)
Die Debatte zum UN-Migrationspakt war ein Tiefpunkt des deutschen Nachkriegs-Parlamentarismus. Bei aller Kritik, die man gegenüber AfD und Gauland vorbringen kann und sollte (siehe z.B. mein Text »Wahlkampf ist keine Seminararbeit«), so muss man in dieser Debatte festhalten: Die Debatte wird den Siegeszug von Globalisten und Postdemokraten nicht aufhalten, doch immerhin gab sie den Pro-Globalismus-Parteien die Gelegenheit, für zukünftige Historiker ihr Versagen selbst zu Protokoll zu geben.
Schuld und keine Sühne
Die Debatte zum UN-Migrationspakt verdient den Titel »Debatte« nicht. Auf der einen Seite stand die Kritik an fragwürdigen Punkten, doch statt Argumenten kamen von den übrigen Parteien verschiedene vulgäre Beschimpfungen aus der politischen Klamottenkiste.
Und doch: Ich gebe nicht (nur) der Politik die Schuld am UN-Migrationspakt und seine kommende Unterzeichnung. In der parlamentarischen Debatte erlebten wir Parteisoldaten, die im Plenum ihr Bestes gaben, Argumenten auszuweichen, die andere Staatschefs überzeugt hatten, Emotionen aufzuwühlen wo der Verstand nicht mitkam, und die Kritiker ad personam anzugreifen und üble Absicht zu unterstellen, wo man der Kritik in der Sache wenig entgegenzusetzen hatte. – Und wieder, und dennoch: Ich gebe der Politik nicht die erste Schuld.
Kein Abgeordneter ist wirklich allumfassend »frei«, selbst wenn es das Grundgesetz in Artikel 38 so fordert. Zunächst gibt es natürlich den sogenannten Fraktionszwang – sind denn wirklich alle Liberalen plötzlich zu braven Mitläufern geworden, alle CDU-Fraktionsmitglieder zu in der Wolle gefärbten Linken? Nein, bestimmt nicht. (Randnotiz: Fraktionszwang hält die Leute bei der Stange, doch wer und was begründet den Fraktionszwang?)
Ich gebe die Schuld an der insgesamt entgleisten, streckenweise vulgären und eines Parlaments unwürdigen Debatte über den UN-Migrationspakt dem aktuellen Zustand deutscher Mainstream-Publizistik. Dass linksgrüne Hysterie und spontane Gefühle statt Argumenten und rationaler Verantwortung die politische Debatte prägen, ist eine Folge der leitmedialen Gesprächsführung (und diese teilweise der Klickoptimierung von Themen). Früher war die Debatte in den Medien eine Fortführung der Debatte im Bundestag – das hat sich heute um 180° gedreht: die Debatte im Bundestag käut die Talking Points wieder, die vorher in Talk Shows und zunehmend auch im Internet vorgestellt und getestet wurden.
Die Debatte im Bundestag ist eine kompakte Aufarbeitung der medialen Debatte, eine Art Schlusspunkt und Zusammenfassung. Dem Debatten-Desaster am 8.11.2018 im Bundestag geht das Debatten-Desaster in der Presse voraus. Das Versagen der Demokratie beginnt mit dem Versagen der Presse.
Ein merkwürdiger Zufall
Haben Sie sich schon mal gefragt, warum in allen Religionen es immer Gottes Wille zu sein scheint, dass jene, welche uns Gottes Willen erklären, respektiert und ausnehmend gut versorgt werden? Es ist schon ein merkwürdiger Zufall, dass die Priester und die Kirche über Gott stets zu berichten wissen, dass man Priester und Kirche großzügig versorgen solle!
Mit der Presse und ihren besonderen Presserechten ist es ähnlich: Journalisten sagen, dass Journalisten besondere Rechte haben sollten. Journalisten wollen wie eine höhergestellte Kaste behandelt werden, wie die neuen Brahmanen, zu denen wir aus den niederen Kasten nur respektvoll hinaufschauen dürfen. – Warum eigentlich?
Die Pressefreiheit – versichern Politiker – ist ein besonders wichtiges Gut im freiheitlichen Rechtsstaat. Die Pressefreiheit ist in Deutschland im Artikel 5 des Grundgesetzes verankert, zusammen etwa mit der Meinungsfreiheit. Selbst Politiker, die in ihren Handlungen ihrer Geschmacksrichtung nach der Zensur und Meinungskontrolle nahestehen, etwa Heiko »NetzDG« Maas, preisen die Pressefreiheit, doch sie sehen Defizite stets nur in anderen Ländern (siehe z.B. zeit.de, 28.9.2018) – und freiheitsfeindliche Bestrebungen höchstens bei der Opposition.
Man kann (und sollte!) ausgiebig diskutieren, was Freiheit bedeutet. Ich selbst verstehe unter dem Begriff Freiheit die Möglichkeit, unter zufriedenstellenden Optionen wählen zu können (das heißt, dass Debatten über Freiheit für mich immer Debatten darüber sind, wann die Wahlmöglichkeiten eines Handelnden zufriedenstellend sind – und damit darüber, was wir zufriedenstellend nennen).
Denker haben positive und negative Freiheit ausgemacht, innere und äußere.
Negative Freiheit ist das Frei-Sein von etwas. Beispiel: Ich bin frei von Ketten und frei von staatlicher Zensur.
Positive Freiheit ist das Frei-Sein zu etwas. Beispiel: Ich bin frei, so hoch zu springen wie ich will (und: kann!), und ich bin frei, zu sagen, was ich möchte.
Äußere negative Freiheit ist die An- bzw. Abwesenheit äußerer Einschränkungen. Im Falle der Presse wäre eine Einschränkung äußerer Freiheit, wenn der Staat mit Strafmaßnahmen droht, für den Fall dass ich eine missliebige Meinung äußere; eine Einschränkung innerer Freiheit wäre es, wenn Redaktionen einer einheitlichen politischen Linie (neudeutsch: »Haltung«) folgten, also ihre Denkmöglichkeiten selbst einschränkten, ohne dass jemand es von außen tun musste.
Wer sich nicht bewegt
Als Linke noch politisch waren (statt immer öfter nur noch die wenig demokratischen Forderungen von Globalisten nachzubeten), hörte man von ihnen Sprüche wie: »Wer sich nicht bewegt, spürt seine Ketten nicht!«
Ist »die Presse« in Deutschland frei? Wir sind hier nicht im Bundestag, wir wollen sachlich und ordentlich argumentieren, also klopfen wir zunächst den anderen Teilbegriff von Pressefreiheit ab, die Presse: Mit »Presse« beziehe ich mich auf Firmen und ähnliche Organe, die mit mehreren Angestellten als Firma publizistisch tätig sind – und sich selbst als »Presse« bezeichnen.
Die selbst bloggende Pressestelle eines Ministeriums wäre damit keine Presse, da sie sich nicht Presse nennt, selbst wenn ihre Veröffentlichungen in eigener Sache gelegentlich sachlicher sind als die Publikationen von Journalisten, die über sie berichten. Ein Blogger wäre in diesem Sinne nicht »Presse«, solange er nicht als Firma mit Angestellten auftritt. (Über meine Definition kann man streiten, deshalb lege ich sie ja im Detail vor.)
Also: Ich verstehe unter Pressefreiheit die Freiheit von publizistisch tätigen Firmen, zu berichten, was sie (als Firmen) berichten möchten.
Wer als Politiker von Pressefreiheit spricht, meint damit meist etwa, dass Journalisten nicht für Kritik an der Regierung ins Gefängnis geworfen werfen, wie es etwa bei unserem Natofreund Türkei passieren kann (siehe z.B. faz.net, 3.5.2018). Die Türkei verstößt gegen zwei (recht naheliegende) Deutungen von Freiheit (in Bezug auf Presse): Die Freiheit von Zensur, und (damit praktisch gleichbedeutend): die Freiheit zu schreiben, was man möchte.
Man kann Journalisten einsperren, dann sind sie unfrei und sie wissen es auch, doch solche Unfreiheit geschieht meist über die Köpfe der Redaktionen hinweg – das ist plump und nur kurzfristig wirksam. Das geht auch klüger – und es wird auch klüger getrieben.
Presse- vs. Journalistenfreiheit.
Wenn Politiker die Pressefreiheit loben, hoffen sie oft heimlich, dass sie nie wirklich an ihnen selbst allzu arg ausgeübt wird, wie einer, der den Zahnarzt lobt, und doch hofft, dass bei ihm nicht gebohrt wird.
Wenn man über Freiheit der Presse spricht, muss man zunächst von der Freiheit des einzelnen Journalisten reden. Selbst wenn die Presse frei ist, so ist damit noch nicht der einzelne Journalist frei!
Es ist eine höhere, sanftere Stufe von Unfreiheit, wenn einzelne Journalisten vor »Sachzwänge« gestellt werden, einer politischen Redaktionslinie (vergleiche den Fall Mariam Lau bei der ZEIT) zu folgen, und es ihnen selbst überlässt, eventuelle Ausrutscher schnell zu korrigieren und ansonsten brav Folge zu leisten; dann sind sie frei mitzuspielen – oder mittelfristig den Job bzw. die Aufträge los zu sein – und das Medium insgesamt ist offiziell frei, zu publizieren, was das Medium will. (Siehe auch: Darf man über „Lügen“ reden?)
Eine in gewisser Hinsicht metaphysische Form erreicht die unfreie Freiheit, wenn von vornherein nur solche Journalisten eingestellt werden, welche die richtige Gesinnung mitbringen – die sind dann technisch alle frei, und doch werden sie nicht anders denken und berichten, als wenn sie mit Pistole an der Schläfe zur politisch korrekten Weltdeutung gezwungen würden.
Solange der Journalist für ein Presseorgan arbeitet, ist die Freiheit der Presse noch lange nicht die Freiheit des Journalisten, erst recht nicht, wenn Medien der Einfachheit halber die Journalisten gar nicht erst an die Leine legen (müssen), sondern von vornherein solche Journalisten einstellen, die überhaupt nicht weglaufen wollen; solche Journalisten können sagen, sie fühlten sich frei und draußen sei eh nur Rechtspopulismus, doch man kann ihnen antworten: Wer sich nicht bewegt, der spürt seine Ketten nicht! (Sie werden den alten Spruch schlimme »Hetze« nennen, denn sie wollen sich doch gar nicht bewegen – danach wurden sie ja ausgewählt!)
1984 und Sun Tzu und Nudge
Der Feind der Pressefreiheit hat nicht zum ersten Ziel, die Pressefreiheit einzuschränken – im Gegenteil! Ein Goebbels hat ja durchaus betont, dass ihm eine vielfältige Presse lieber sei, schon um Eintönigkeit zu verhindern (siehe Links im Text »Sittliche Reife« und »Haltung« sind eben auch Vokabeln der Gleichschaltung) – er wollte »nur«, dass diejenigen, die in seinem Sinne »frei« publizierten, auch die notwendige »Haltung« und »sittliche Reife« mitbringen; wenn Journalisten von vornherein die richtige »Haltung« mitbringen, dann können sie so frei sein, wie es ihrem Herzen beliebt (es wird immer nur in eine Richtung belieben, sonst wäre er nicht eingestellt worden).
Der Feind der Pressefreiheit kämpft nicht gegen die Pressefreiheit, sondern füreine ihm genehme Berichterstattung; wenn er sie durch sanfte Methoden, durch politische Besetzung von Aufsichtsgremien, durch Fördergelder oder schlicht durch wirtschaftliche Benachteiligung aller anderen Berichterstattung erreichen kann, dann ist es ihm umso lieber. Der Feind der Pressefreiheit praktiziert für seine Zwecke zugleich 1984 und Sun Tzu und Nudge.
Der kluge Gegner der Pressefreiheit ist nicht ein Gegner im unmittelbaren Sinn, denn er sagt: Wenn ich via Hinterzimmertreffen, Politikern in Räten etc., Fördergeldern (»gegen Rechts«) dasselbe erreichen kann, wofür andere Staaten die Journalisten ins Gefängnis werfen müssen, und wenn ich dabei sogar unter Umständen noch effizienter bin, warum sollte ich mir den Ärger mit Verhaftungen und Kerkern antun?
Solange die Presse schreibt, was ich will, dass sie es wörtlich oder in der Tendenz schreibt – und das auch nur in einem Großteil der Fälle (nicht in allen, dann wäre es auffällig) – dann ist mir herzlich egal, ob die schreibenden Frontsoldaten sich frei fühlen oder nicht – wenn sie sich frei fühlen, und tun, was ich will, dass sie tun, umso besser!
Ist die Presse in Deutschland frei? – Anders gefragt: Woran würden wir denn festmachen, dass sie frei oder unfrei ist?
Freiheit ist nach meiner Definition die Möglichkeit, unter zufriedenstellenden Optionen auszuwählen. Ob die Presse frei ist, entscheiden Sie, die Leser, unabhängig davon, was die Presse von sich selbst sagt. (Es gilt die alte Regel: »Wir sind frei« ist das, was eine nicht-freie Presse am allerlautesten sagen würde. Je lauter die Presse von sich selbst sagt, sie sei frei, umso mehr Zweifel habe ich daran.) Richten Sie sich nach Ihrem eigenen Eindruck: Haben Sie den Eindruck, dass die Presse in Deutschland die logischen existierenden Möglichkeiten, über ein Ereignis zu berichten, für Sie zufriedenstellend nutzt?
Wessen Scheitern?
Die Nicht-Debatte zum UN-Migrationspakt am 8.11.2018 war ein Schlag ins Gesicht jedes Demokraten; es war ein Tiefpunkt selbst in der an politischen Tiefpunkten nicht armen Ära Merkel; noch nie trat der postdemokratische, postfaktische linksgrüne Zeitgeist so zynisch und unverkleidet im Parlament der Bundesrepublik auf.
Und doch, was im Parlament geschieht, das war auch am 8.11.2018 nur der zusammenfassende Nachlauf der vorlaufenden medialen Debatte – oder, hier: Nicht-Debatte.
Am 4.11.2018 dröhnte noch bild.de: »Verschwörungstheorien im Internet – Die Wahrheit über den UN-Migrationspakt«; im Text wird, unter anderem, in Variationen mehrfach der fragwürdige Talking Point wiederholt, der Pakt sei »rechtlich nicht bindend«. Andere Zeitungen traten ähnlich selbstbewusst ganz im Geist des Vertrages auf, als wollten sie schon vorher extra gehorsam sein.
Interessanterweise kam man bei bild.de später wohl noch zu Sinnen und schrieb am Morgen des 8.11.2018 einen Text mit dem Titel »UN-Migrationspakt – Diese 16 Punkte muss uns die Regierung erklären«. Es sind allesamt gute Punkte, kein Zweifel, doch sie scheinen mehr eine Debatte einfangen zu wollen, die längst woanders weiterlief (zum Beispiel bei den Freien Denkern).
Die Einlassung der ganz großen Globalisierer-Fraktion im Bundestag griffen auf die plumpe Kritik-ist-Verschwörungstheorie-Rhetorik zurück, die Bild und praktisch alle anderen übrigen deutschen Leitmedien an den Tag legten. (Tipp: Wenn man es als »Verschwörungstheorie« auslegen will, dass Medien auf eine Einheitslinie gebracht werden sollen, dann sollte man nicht fast wortgleich medienübergreifend dasselbe schreiben.) –Am Nachmittag des 8.11.2018veröffentlicht der Autor der Bild-Textes vom 4.11.2018 noch einen Text zur Bundestagsdebatte; er redet zwar weiterhin etwa die Unflätigkeit des FDP-Abgeordneten als »aggressiv« schön, aber man spürt dennoch eine deutliche Abkühlung in der Anti-Kritiker-Rhetorik.
Die Debatte im Bundestag ist heute regelmäßig ein Abbild der vorangegangenen medialen Debatte. Wenn die Debatte zuvor hitzig war, dann wird sie auch im Bundestag hitzig sein. Wenn die mediale Debatte zuvor unsachlich, emotional und unflätig geführt wurde, dann wird sie auch im Bundestag unsachlich, emotional und unflätig geführt werden. Wenn die Berliner Elite sich gar nicht erst die Mühe macht, auf Argumente einzugehen (vielleicht weil sie gar keine hat?), dann werden auch im Bundestag wenig Argumente zu hören sein – wie am 8.11.2018.
Das Scheitern der deutschen politischen Debatte – und damit der Politik insgesamt – beginnt mit dem Scheitern der freien Presse.
Die deutsche Presse nennt sich frei, doch ich verstehe immer weniger, was sie damit sagen will. Ist die Presse dank Zwangsgebühren, klugen Unternehmensbeteiligungen und allgemeiner »Aufstellung« frei von finanziellen Sorgen? Vielleicht, aber das ist doch nicht, was mit Pressefreiheit gemeint ist! Werden deutsche Journalisten so ausgewählt, dass sie wie von unsichtbarer Hand gelenkt alle dasselbe meinen und sich doch dabei frei fühlen? Vielleicht, aber das ist doch nicht, was mit Pressefreiheit gemeint ist! Oder: Ist gar mit Pressefreiheit die Freiheit von allen Skrupeln gemeint? (Nein, das gewiss nicht – was für ein dummer, zynischer Spruch schon wieder, Wegner!)
Wenn Freiheit bedeutet, dass man die vorhandenen (Denk-) Möglichkeiten ausnutzen kann, dann muss man Fragen, ob die Beschränkung der deutschen Leitmedien auf einen ganz schmalen Denkwinkel nicht gegen das Vorhandensein von Pressefreiheit spricht – oder wollen Sie mir sagen, dass in Deutschland vollumfängliche Pressefreiheit in jeder Deutung des Freiheitsbegriffs herrscht, aber zufälligerweise nur etwa 5° im 360°-Spektrum möglicher Meinung bedient werden?
Am Donnerstag, dem 8. November 2018 wurde im deutschen Bundestag die Idee des Parlamentarismus verhöhnt, und ich gebe der deutschen Presse die Schuld. Nicht-gelebte Freiheit verkümmert, die deutsche Pressefreiheit ist verkümmert, und diese Verkümmerung findet ihren für Demokraten erschreckenden Niederschlag im Parlament.
Ja, »Merkel muss weg« (noch ist sie nicht weg!), doch auch nach ihr wird es nicht besser werden, wenn Leitmedien sich nicht endlich wieder wie freie Presse aufführen – wer auch immer es ist, der ihnen derzeit Denkfesseln anlegt.
Journalisten und »die Presse« fordern für sich Freiheit, und in Sonntagsreden fordern Politiker diese ebenfalls (vor allem anderswo). Eine Presse, die goldene Preise an die Kanzlerin verleiht, müsste ein geradezu gefährliches argumentatives Spagat aufführen, um ihre innere Freiheit glaubwürdig darzulegen. Motto: »Wir kritisieren die Kanzlerin ganz doll kritisch, und hier ist ein goldener Dankeschön-Preis dafür, dass wir es dürfen.«
»Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss«, heißt es bei Goethe. Eine Presse, die ihre Denkmöglichkeiten nicht ausnutzt, die handelt nicht erkennbar frei – und könnten wir einen Hund, der seinen Zwinger nie verlässt und nicht einmal verlassen will, wirklich frei nennen – ganz egal, wie frei zu sein er von sich selbst behauptet?
Wenn du dich wie ein Gefangener benimmst, wenn du wie ein Gefangener handelst, denkst und redest, und mir dann sagst, du seist ach-so-frei, dann habe ich an deiner Freiheit große Zweifel, wie sehr du sie auch beteuern magst.
Es steht nicht gut, gar nicht gut, um die politische Kultur in Deutschland. Freiheit muss gelebt werden, auch Pressefreiheit. Aus gelebter Pressefreiheit folgt die lebendige, starke und nachhaltige Demokratie.
Wenn ich glauben soll, dass die Leitmedien frei sind, dann sollen sie ihre Denkfreiheit in mehr als eine Richtung leben, sonst wirken sie ebensowenig frei, wie die Murmel, die wild aber berechenbar hüpfend den Abhang hinunterkullert.
Willst du Deutschland und die Welt zum Besseren verändern? Kämpfe für eine wirklich freie Presse!
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com. – Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.
Dushan Wegner verstehen: