Berlin zittert. Was wissen die Hacker? Politiker - besonders die Grünen - und Journalisten fürchten noch brisantere Leaks. Bisher wurde nur Banales aus Mails und Chats bekannt. Werden bald pikante Inhalte veröffentlicht? Bundesregierung ruft Cyber-Alarm aus.
von Christian Hiß
Nach dem größten Hackerangriff der Geschichte auf Spitzenpolitiker, Journalisten und Prominente, durch den zunächst überwiegend Adressbücher und eher private und belanglose Korrespondenz der Betroffenen an die Öffentlichkeit gelangte, sorgen sich Politik und Presse nun, dass dieser erste Leak nur die Spitze des Eisberges gewesen ist.
Wo Rauch ist, ist bekanntlich auch Feuer. Wo Banales entdeckt wurde gibt es auch Brisantes. War die Veröffentlichung der Hacker also nur ein erster Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird?
Gerüchten zufolge werden weitere, wesentlich pikantere Leaks befürchtet. Das könnte den politisch-medialen Komplex und seine enge Verbundenheit entlarven. Jetzt geht die Angst um in Berlin. Was kommt als nächstes? Die Bundesregierung hat Cyber-Alarm ausgerufen; BKA und Geheimdienste ermitteln.
Bereits im November kündigte der Twitter-Account „GOd“ an, „[b]ald kommt das Adventskalender-Event! Seid gespannt, könnte für manche zu heftig werden“. Am 1. Dezember ging es dann los. Tag für Tag wurde ein Türchen im Kalender geöffnet, Links zu Adressen und Telefonnummern von Politikern, Journalisten und Prominenten veröffentlicht. Die Behörden wussten laut „BILD“ bereits im Dezember davon, reagierten aber offensichtlich nicht (rechtzeitig).
Datenleak begann als Adventskalender auf Twitter: vom 1. bis zum 24.12. jeweils ein Leak.
Nun sind über 1.000 Datensätze der Bundestagsfraktionen – ausgenommen der Fraktion der AfD –, von ARD und ZDF sowie Prominenten – Schauspielern, Musikern, sogar YouTubern – öffentlich zugänglich. Einige Redaktionen, etwa der BILD aber auch MMNews, konnten einen Blick auf das Datenmaterial werfen.
Eine erste Durchsicht der Daten zeigt: Es handelt sich um private und dienstliche Telefonnummern fast aller Bundestagsabgeordneten und Journalisten, aber auch private E-Mails und Chatverläufe. Pikant: Die geleakten Daten der betroffenen Journalisten offenbaren ein enges Verhältnis zu Spitzenpolitikern, man schätzt und duzt sich, man tauscht sich aus.
Digitaler Gruß aus der Hacker-Küche: Auf den Cyberangriff folgt ein Mehrgang-Menü, weitere, brisantere Leaks und weitere Betroffene werden befürchtet.
Gerade diese Vertrautheit, die Tatsache, dass teils höchst private E-Mails, SMS usw. ausgespäht und nun veröffentlich wurden, spricht jedoch dafür – und so heißt es auch aus informierten Kreisen – dass dieser erste Leak nur ein digitaler Gruß aus der Hacker-Küche gewesen ist.
Mit der Cyberattacke sollen Gerüchten zufolge noch weit brisantere Daten abgegriffen worden sein. Außerdem stehe zu befürchten, dass nicht nur ARD und ZDF, sondern auch andere Medien wie etwa „Der Spiegel“ betroffen sind.
Von Anrufen auf Martin Schulz’ Privathandy hin zu Krisensitzungen bei den Grünen – in manchen Bundestagsbüros sollen die „digitalen Schredder“ heißlaufen.
Mussten die Betroffenen, insbesondere Spitzenpolitiker, bisher nur Lästigkeiten wie Anrufe auf ihren privaten Handys – so etwa Martin Schulz (SPD) – oder eben das Wechseln ihrer Telefonnummern als Folge des Leaks fürchten, sind sie nun in heller Aufruhr. Gerüchten aus Hauptstadtkreisen zufolge, sollen sich etwa die Grünen, darunter Claudia Roth und Katrin Göring-Eckhardt in heller Aufregung befinden.
In allen betroffenen Parteien das gleiche Bild: führende Mitglieder beraten sich mit ihren Stäben und Mitarbeitern. Ziel sei es, glaubwürdige Dementi und Erklärungen für diese oder jene Daten, die durch die befürchteten weiteren Leaks, ans Licht der Öffentlichkeit kommen könnten, vorzubereiten und die Sicherheitsprotokolle zu verbessern.
Manch einer sprach sogar davon, dass in einigen Bundestagsbüros nun die digitalen Schredder am Heißlaufen seien, um zu retten, was vielleicht noch gerettet werden kann. Vielleicht vergebens? Hacker vergessen bekanntlich nichts.
Stellvertretende Regierungssprecherin vorauseilend: Es könnten auch absichtlich falsche Informationen in die Leaks gelangt sein. Fake-Leaks statt Fake-News oder Weg für glaubhafte Dementi?
Die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Martina Fietz, warnte sogleich in der Bundespressekonferenz auch, dass gefälschte Daten in das geleakte Material eingearbeitet worden sein könnten. So hat sie bereits eine Tür für mögliche Dementi der Betroffenen im Falle brisanterer Leaks geöffnet.
Darüber hinaus seien bereits das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), der Bundesverfassungsschutz (BfV), das Bundeskriminalamt (BKA), der Bundesnachrichtendienst (BND), die Bundespolizei und die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft mit Ermittlungen in dieser Sache befasst.
Ziemlich schwere Geschütze dafür, dass laut Merkel-Sprecherin Fietz keine sensiblen Informationen über die Bundesregierung bzw. die Kanzlerin ausgespäht wurden. Bundesinnen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU) teilte mit, dass „mit Hochdruck daran gearbeitet“ werde, den „Datendieb“ zu fassen.
Das politische Berlin ist jedenfalls in Aufruhr genauso wie viele Medien. Der Grund: Die bisherigen Leaks offenbarten teils sehr enge Verbindungen zwischen Politik und Journalisten. Warum sonst sollten sich im Adressbuch (die bisherigen Leaks beweisen es) einfacher und in der Hierarchie nicht weit oben stehender Journalisten und Redakteure die dienstlichen und privaten Handynummern von Bundesministern und anderen Politikern finden?
Was da alles besprochen und ausgedealt wurde, werden wohl zukünftige Leaks offenbaren. Der nächste Gang aus der Hacker-Küche steht bevor. Das politische Berlin zittert - und mit ihm die servile Journalistenschar.