Saudi-Arabien will mit seinem Vorsitz in der G20-Gruppe unter anderem auf die Themen Frauen, Klimaschutz und technischen Fortschritt setzen. - Kein Scherz.
Mit zynischer PR will Saudi-Arabien seine heute beginnende G20-Präsidentschaft zum Aufpolieren seines Images nutzen, während die Repression im Land unvermindert weitergeht: Nach einer neuen Welle von Festnahmen Mitte November sitzen in dem Königreich nun mindestens 37 Medienschaffende wegen ihrer journalistischen Tätigkeit im Gefängnis oder stehen unter Hausarrest.
„Die Realität in Saudi-Arabien entlarvt bislang alle Ankündigungen von Öffnung und Reformen als zynische PR“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Egal, welche Zukunftsvisionen und Hochglanzbilder das Königreich verbreitet: In Wirklichkeit werden dort immer mehr Journalisten und Bloggerinnen eingesperrt, weil sie über Themen schreiben oder senden, über die man in diesem Land besser schweigen sollte. Jede und jeder, der an einem der vielen Konferenzen und Gipfel im Rahmen des saudi-arabischen G20-Vorsitzes teilnimmt, muss wissen, dass er Teil einer gigantischen Image-Kampagne für ein Regime ist, das Medienschaffende gnadenlos verfolgt und bis heute keine echten Konsequenzen aus dem monströsen Mord an dem Exil-Journalisten Jamal Khashoggi gezogen hat.“
Medienforum mit internationale Publikum und Lobpreis für Reformen
Saudi-Arabien tritt am Sonntag (1.12.) offiziell die jährlich rotierende Präsidentschaft der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer an. Während seines Vorsitzes plant das Königreich Diplomaten zufolge mehr als ein Dutzend Gipfeltreffen zu Themen wie Tourismus, Landwirtschaft, Energie, Umweltschutz und Digitalwirtschaft. Gleich zum Auftakt richtet es von Montag (2.12.) an erstmals ein „Saudisches Medienforum“ aus, zu dem nach offiziellen Verlautbarungen mehr als 1000 Fachbesucherinnen und -besucher aus 32 Ländern erwartet werden.
Unter anderem über „Influencer“ in den sozialen Medien versucht das Königreich derzeit außerdem, sich international als verheißungsvolle neue Tourismus-Destination zu posit
Auch die jüngsten Anzeichen für eine Entspannung im Jemen-Krieg scheinen dem Wunsch des Königreichs zu entspringen, sein Image während des prestigeträchtigen G20-Vorsitzes nicht mit Negativschlagzeilen zu belasten.
Neue Repressionswelle im November
Zugleich kommen aus Saudi-Arabien Meldungen über eine neue Repressionswelle gegen kritische Medienschaffende: Nach Informationen saudi-arabischer Menschenrechtsorganisationen wurden zwischen dem 16. und dem 21. November sieben Journalistinnen, Journalisten und Blogger festgenommen; zwei von ihnen kamen inzwischen wieder frei.
Unter den Festgenommenen sind Waad al-Muhaja, Moderator eines Podcasts beim Online-Medium Thamanija, Abdul
Mehrere von ihnen hatten über heikle Themen wie die Achtung der Menschenwürde in Saudi-Arabien, religiösen Konservatismus und den Fortgang gesellschaftlicher Reformbemühungen geschrieben. Andere hatten den öffentlichen Diskurs kritisiert und sich solidarisch mit politischen Häftlingen gezeigt.
Die jüngsten Festnahmen reihen sich ein in eine ganze Serie von Repressionswellen, seit Mohammed bin Salman 2017 das mächtige Amt des Kronprinzen übernahm. Die Zahl der in dem Königreich inhaftierten Journalistinnen und Journalisten, Bloggerinnen und Blogger hat sich unter seiner De-facto-Regentschaft mehr als verdoppelt und Saudi-Arabien gehört mittlerweile weltweit zu den Staaten mit den meisten inhaftierten Medienschaffenden.
Zuletzt waren Anfang April sechs Journalisten und Autoren festgenommen worden: Najef al-Handas, Jasid al-Faifi, Abdullah al-Duhailan, Thumar al-Marsuki, Mohammed al-Sadik und Bader al-Ibrahim. Alle sechs sitzen weiterhin im Gefängnis, doch gegen keinen von ihnen hat die Justiz bislang formelle Anschuldigungen erhoben.
Saudi-Arabien behindert Aufklärung des Mordes an Jamal Khashoggi
Nach wie vor behindert Saudi-Arabien die Aufklärung des Mordes an dem Exil-Journalisten Jamal Khashoggi, der vor seinem Tod zuletzt als Kolumnist für die Washington Post gearbeitet hatte. Das Königreich hatte die Tat zunächst geleugnet, dann eingeräumt und als ungeplantes Fehlverhalten der unmittelbar Beteiligten dargestellt.
Elf Männern wird seit Januar in Saudi-Arabien unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen des Mordes der Prozess gemacht. Fünf von ihnen droht die Todesstrafe; durch ihre Hinrichtung würde die Wahrheit über die Hintergründe des Mordes an Khashoggi womöglich dauerhaft vertuscht. Ein zunächst als Mittäter benannter enger Vertrauter von Kronprinz Mohammed ist nicht unter den Beschuldigten. Lediglich die Türkei und die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats dürfen gelegentlich Beobachter zu dem Prozess entsenden, aber nichts über dessen Inhalte bekanntmachen.
Der Kronprinz räumte in einem Ende September ausgestrahlten Interview mit einem US-Fernsehsender zwar eine politische Verantwortung für die Tat ein. Er beharrt aber auf der Darstellung, dass er die Tat weder in Auftrag gegeben noch von ihr gewusst habe – was nach allem, was über den Mord bekannt ist, sehr wahrscheinlich eine Lüge ist. Mit der Untersuchung einer UN-Sonderberichterstatterin hat Saudi-Arabien nicht kooperiert.
Der in den USA lebende saudi-arabische Journalist Jamal Khashoggi war am 2. Oktober 2018 im Konsulat seiner Heimat im türkischen Istanbul von einem 15-köpfigen, eigens aus dem Königreich angereisten Kommando ermordet worden. Seine Leiche wurde am Tatort mutmaßlich mit einer Knochensäge zerstückelt und bis heute nicht gefunden.
Dank zahlreicher Medienberichte, die vor allem auf türkischen Geheimdienstinformationen beruhen, sowie dank einer Untersuchung der UN-Sonderberichterstatterin zu außergerichtlichen Hinrichtungen, Agnes Callamard ist der Ablauf des Verbrechens bis in viele Details bekannt. Ungeklärt ist neben dem Verbleib der Leiche, wer den Befehl zur Tötung Khashoggis gab. Der im Juni veröffentlichte Callamard-Bericht kam dennoch zu dem Ergebnis, dass die Indizien für eine Verwicklung der saudi-arabischen Führung einschließlich Kronprinz Mohammeds ausreichten, um weitere Untersuchungen gegen sie zu rechtfertigen.
Repressive Gesetze, drakonische Strafen, Folter und Hackerangriffe
Saudi-Arabien steht auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 172 von 180 Ländern. Repressive Straf-, Anti-Terror- und Internetgesetze ermöglichen in dem Königreich lange Haftstrafen sowie Veröffentlichungs- und Reiseverbote für kritische Medienschaffende. Viele Medienschaffende sind willkürlich inhaftiert, die meisten werden wohl gefoltert. Selbst Journalistinnen und Journalisten im Ausland gehören Medienberichten zufolge zu den Zielen von Hackerangriffen im Auftrag Saudi-Arabiens.