Es gibt keinen Grund, die Wahl von Thüringen moralisch zu verurteilen. Die Demokratie hat keinen Schaden genommen - urteilt die NZZ. - Der deutsche politisch-mediale Komplex tobt dagegen.
"In Erfurt wurde ein FDP-Politiker zum Ministerpräsidenten gewählt, und das Entsetzen in Berlin scheint grenzenlos zu sein. Von einem Tabubruch wird geschrieben, von einer Schande für die Demokratie und einem unentschuldbaren Dammbruch.
Die Parteien und viele Journalisten befinden sich gerade in einem Überbietungswettbewerb darum, wer in der Lage ist, die Wahl von Thomas Kemmerich am schärfsten zu verurteilen.
Allen, die sich jetzt um die Demokratie sorgen, möchte man sagen: Das ist Demokratie!
Was im Erfurter Landtag stattgefunden hat, ist eine freie Wahl, und darüber hinaus hat ein liberaler und bürgerlicher Kandidat diese Wahl gewonnen.
Es gibt keinen plausiblen Grund, das Ergebnis moralisch zu verurteilen. Im Gegenteil, es ist geradezu irritierend, wenn man sieht, wie sich bürgerliche Politiker von der Union und der FDP genieren und sich öffentlich von ihren Thüringer Kollegen distanzieren" - schreibt dir NZZ.
Deutsche Presse tobt
Im Thüringer Wahlkrimi fehlen auch politisch erfahrenen Berichterstattern in Deutschland fast die Worte: Es sah wochenlang alles danach aus, als wenn Linke-Aushängeschild Bodo Ramelow mit den Wahlverlierern von SPD und Grünen als Ministerpräsident seinen halbkommunistischen Kurs fortsetzen könnte.
Eine abgestrafte CDU um den wackel-schwachen Mike Mohring und der mit Ach und Krach ins Thüringer Parlament eingezogenen FDP taten ein Übriges, um diesen Eindruck zu verfestigen. Es schien so, als wenn das Hauptaugenmerk auf das Verhindern der AfD und das Tolerieren der Linken in Blockflöten-Manier gerichtet war.
In der zweiten Reihe lebt es sich schließlich auch ganz angenehm, wenn das Abgeordnetengehalt stimmt, keine Neuwahlen drohen und die linke Landesregierung bei neuen Gesetzen auf einen angewiesen ist.
Große Chance für die AfD Insbesondere die CDU um ihren machtgeilen Fraktionsvorsitzenden befeuerte das Trauerspiel, da sie es als drittstärkste Partei mit großem Anspruch nicht vermochte, einen eigenen Ministerpräsidenten-Kandidaten aufzustellen. Die FDP switchte hin und her, man traf sich mit Ramelow und der CDU schon mal zum vertraulichen Tet-a-tet, von draußen unterstützt durch Ex-Bundespräsident Gauck und Ex-Ministerpräsident Althaus, die für eine Tolerierung der SED-Nachfolger-Partei trommelten.
Wer anderen eine Grube...
Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, weiß der Volksmund. Dies waren am Ende Ramelow mit seinen Koalitionären, im Weiteren aber auch CDU und FDP selbst.
Denn alle drei wollten die AfD verhindern und setzten auf die Mauer-Partei Ramelows. Es klingt wie ein Treppenwitz der Geschichte, wenn dann ausgerechnet die AfD der CDU und FDP an die Hebel der Macht verhalf und sich selbst unentbehrlich macht, wenn es in der künftigen Thüringer Politik beispielsweise um Mehrheiten für Gesetzesvorhaben geht.
Dies geht gerne mit der AfD. Die AfD-Thüringen kann und wird stellvertretend für die Gesamt-AfD beweisen, dass sie nicht in die Ecke der unverbesserlichen Nazis gehört, sondern eine demokratische, konstruktive legitimierte Bürgermacht darstellt.
Besser und schneller hätten sich die Spitzen der Bundes-AfD die unverhoffte politische Akklimatisierungsmöglichkeit wohl in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können.
AfD-Chef Jörg Meuthen sparte denn auch nicht mit Lob: „Diese Ministerpräsidentenwahl in Thüringen ist der erste wichtige Mosaikstein einer politischen Wende in Deutschland. Thüringen hat jetzt eine bürgerliche Mehrheit, die dem Wählerwillen entspricht. Der sozialistische Spuk hat ein Ende. Ein großer Glückwunsch nach Thüringen!“
Linke drehen durch
Verschwörungstheorien der SED-Nachfolger Die SED-Nachfolger zeigten sich indes als schlechte Verlierer. „Was heute im Landtag passiert ist“, sei „von langer Hand geplant“ gewesen, sagte Susanne Hennig-Wellsow, Landesvorsitzende der LINKEN in Thüringen, die dem neuen Ministerpräsidenten ihren Blumenstrauß im Erfurter Landtag vor die Füße geschmissen hatte.
Mit einem Trick und Zockerei stelle die FDP nun den Regierungschef, sagte sie laut BILD. Nun sei „ein Fünf-Prozent-Mensch“ Ministerpräsident, der sich mit den Stimmen einer extrem rechten Partei ins Amt habe wählen lassen. Sie schäme sich für Kemmerich.
Die AfD muss sich „Tricks“ nicht vorwerfen lassen, denn sie hatte gute Argumente, im dritten Wahlgang ihre Stimmen auf Kemmerich zu vereinigen. Ihr eigener Kandidat hatte nach zwei aussichtlosen Wahlgängen keine Chance, und die AfD hat immer betont, einem bürgerlichen Kandidaten zur Macht zu verhelfen.
Dennoch haben offenbar Politiker der CDU die Sensation noch nicht verkraftet. So empfahl Thüringens Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel: „Die CDU sollte die Bereitschaft zeigen, in einer Regierung mitzuarbeiten – aber nur unter einer Bedingung: ohne die AfD!“