Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, macht sich dafür stark, dass die EU im libyschen Bürgerkrieg notfalls auch den Einsatz militärischer Mittel androht.
"Europa könnte sein militärisches Gewicht so in die Waagschale werfen, damit ein Waffenstillstand erreicht wird. Wer in internationalen Konflikten nicht mit dem Einsatz militärischer Mittel drohen kann, dessen Diplomatie bleibt allzu oft Rhetorik", sagte Ischinger den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montagausgaben).
"Unter Umständen könnte die Libyen-Krise auch ein Fall für die NATO sein. Wir müssen lernen, dass der Vorab-Verzicht auf militärische Optionen oft den Vorab-Verzicht auf Lösungen bedeutet." Zum Auftakt der bevorstehenden EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands sagte Ischinger, es sei "unerlässlich, dass die EU die Sprache der Macht lernt, um ihre Interessen nach außen besser vertreten zu können. Das setzt voraus, dass auch Deutschland die Sprache der Macht lernt".
Die Bundesregierung habe mit großer Energie die internationale Libyen-Konferenz im Januar in Berlin vorbereitet. "Das Ergebnis ist bislang leider fast null", so Ischinger. Die handelnden Mächte in dem Konflikt – Russland, die Türkei, Ägypten oder bestimmte Golfstaaten – hätten die Appelle von Deutschland und seinen Partnern einfach ignoriert. "Warum? Weil vor Ort nur zählt, wer das militärische Sagen hat."
Als Beispiel führte Ischinger die Bosnien- und Kosovo-Krise in den 90er- Jahren an. "Damals wurde ein Friedensschluss erst möglich, als die Amerikaner militärisch Druck ausgeübt haben", so Ischinger. "Es ist in extremen Situationen notwendig, auch mit militärischen Mitteln operieren zu können. Sonst bleibt die Durchsetzung außenpolitischer Interessen zahnlos."
Mit Blick auf Russland empfahl der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz der Bundesregierung, das Pipeline-Projekt Nordstream 2 als politisches Druckmittel einzusetzen. Das sei zwar nicht unproblematisch, weil an Nordstream 2 auch deutsche Unternehmen beteiligt seien.
"Aber Deutschland könnte zumindest damit drohen, das Projekt noch einmal um ein paar Monate zu verschieben und Russland kommen lassen. Solche Mittel haben wir. Wir sollten selbstbewusst auftreten. Wir unterschätzen gelegentlich unser eigenes Gewicht."
Ischinger kritisierte, dass es bei der Umsetzung des Minsker Abkommens im Ukraine-Konflikt fast keine Bewegung gebe. "Russland ist es gelungen so zu tun, als ob es ein Drittstaat wie Deutschland oder Frankreich wäre. Tatsächlich ist aber Moskau Partei in dem Konflikt." Und: "Wir müssen einen Prozess in Gang setzen, der der Ukraine eine Perspektive bietet, die Kontrolle über ihr ganzes Territorium wieder zu erlangen."
Foto: Europaflagge, über dts Nachrichtenagentur