Geheimbericht aus Brüssel: Deutschland droht bei harten Russland-Sanktionen Konjunktureinbruch
Harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland würden in Deutschland zu einem schweren Einbruch der Konjunktur führen. Das geht aus einem vertraulichen Bericht der EU-Kommission für die Bundesregierung hervor, der stern.de vorliegt. Im schlimmsten Fall könnte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 0,9 Prozentpunkte und im nächsten Jahr um 0,3 Prozentpunkte sinken, sollten die EU-Staaten scharfe Zwangsmaßnahmen beschließen.
In der EU wird derzeit debattiert, wie auf Russlands Verhalten in der Ukraine-Krise reagiert werden soll. Als entscheidendes Datum gilt dabei der 25.Mai. An diesem Tag sollen in der Ukraine freie Wahlen abgehalten werden. Die tatsächlichen Folgen von harten Wirtschaftssanktionen könnten noch schlimmer sein, räumt die EU-Kommission ein. Wie sich etwa höhere Ölpreise auf die Haushalte und Börsen auswirkten, lasse sich kaum abschätzen. Die Folgen für das Wirtschaftswachstum seien noch "relativ konservativ geschätzt", heißt es in dem Bericht.
Selbst leichte Wirtschaftssanktionen, blieben nicht ohne Folgen. Dadurch könnte das Wachstum hierzulande noch um 0,1 Prozentpunkte in diesem und nächsten Jahr schrumpfen. Nach den letzten Brüsseler Schätzungen soll die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 1,6 Prozent und im nächsten Jahr um 2,0 Prozent wachsen. Die EU-Kommission hatte nach Informationen von stern.de auf Bitten der Staats- und Regierungschefs Szenarien für alle 28 Mitgliedstaaten durchgespielt und gerechnet.
Für einige Staaten, die zu 100 Prozent vom russischen Öl abhängen, sieht es noch dramatischer aus. Die Szenarien der EU-Kommission reichen von leichten Sanktionen, wie etwa einem Einfuhrverbot von russischen Luxusgütern wie Pelzen oder weiteren Einreisebeschränkungen, über mittlere Maßnahmen, wie Importstopps für russische Vorprodukte oder dem Einfrieren russischer Konten, bis hin zu gravierenden Schritten wie etwa einem Lieferverbot für Erdgas und Erdöl oder Beschränkungen im Kapitalverkehr.
Bei einem Treffen vor Ostern in Brüssel wurden die Berichte in einem Umschlag den 28 EU-Botschaftern überreicht, die sie dann an ihre Regierungen weiterleiteten. In Berlin wird der Bericht seitdem im Kanzleramt unter Verschluss gehalten. Wie die EU-Kommission erläutert, würde die deutsche Wirtschaft nicht so sehr leiden, weil das direkte Russlandgeschäft als Folge der Sanktionen zurückgehen würde. "Wesentlich bedeutsamer", heißt es, seien sogenannte Zweitrundeneffekte.
Viele EU-Staaten besonders im Osten hingen von Russland ab und wenn deren Wirtschaft einbreche, könnten sie weniger in Deutschland bestellen. Da von Deutschlands Exporten 55 Prozent in die EU-Länder gingen, gebe es nur "begrenzten Spielraum" diese Ausfuhren zu ersetzen, heißt es in dem Bericht. Außerdem sei Deutschland auf einigen Feldern stark abhängig von Russland.
Den Anteil von russischem Gas am gesamten Gasverbrauch Deutschlands beziffert die EU-Kommission auf fast 46 Prozent, bei Öl sind es knapp 37 Prozent und bei Rohstoffen wie Kupfer sogar 94 Prozent. Der Energieriese Gazprom sei außerdem an vielen deutschen Firmen beteiligt. Wirtschaftssanktionen hätten deshalb auf die Versorgungssicherheit in Deutschland "große Auswirkungen", schreibt die EU-Kommission.