„Der Liberalismus hat keine Parteiblume und keine Parteifarbe, kein Parteilied und keine Parteigötzen, keine Symbole und keine Schlagworte; er hat die Sache und die Argumente. Die müssen ihn zum Siege führen.“
Von Dagmar Metzger und Steffen Schäfer
Diese Sätze stammen von Ludwig von Mises, dem großen Ökonomen, Gesellschaftstheoretiker, Sozialphilosophen und herausragendem Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Er wäre vor wenigen Tagen, genauer am 29. September 2015, 134 Jahre alt geworden. Sein ganzes Leben lang stritt Mises mit scharfem Verstand und ebenso scharfen Argumenten für die besseren Ideen und den Liberalismus an sich. Dessen Kern beschrieb er treffend, dass es ein freier Mensch ertragen müsse, wenn seine Mitmenschen anders leben und handeln als er selbst es für richtig halte. Dabei war er nicht nur ein überzeugter Liberaler, sondern vor allem ein Ökonom, der Wirtschaftswissenschaft nicht im luftleeren Raum und losgelöst von der menschlichen Gesellschaft betrieb. Im Gegenteil, sah Mises doch als Kern und Grundlage aller Ökonomik stets den Menschen und das menschliche Handeln an. Schon der englische Titel seines wohl wichtigsten Werkes belegt dies: Human Action.
Das Werk ist die umfassende Darstellung der Praxeologie, also eine allgemeine Theorie des menschlichen Handels. Die Wirtschaftswissenschaften sind dabei nur ein Teilgebiet eben dieser Praxeologie. Damit unterscheiden sich er und die Österreichische Schule insgesamt grundlegend von der Methodik und den Ansichten aller übrigen wirtschaftswissenschaftlichen Schulen, die zumeist die heutige Lehre dominieren.
Dort nämlich herrscht die Vorstellung vor, Ökonomie sei eine Naturwissenschaft. Das Geschehen der Märkte ließe sich mit komplexen und komplizierten Formeln sowie vielen Statistiken erfassen und berechnen, mathematisch klar und eindeutig. Das ist nicht nur grundlegend falsch, sondern hat vor allem verheerende Auswirkungen. Aus dieser Vorstellung nämlich leitet sich die Überzeugung ab, die Märkte und damit menschliches Handeln insgesamt ließen sich berechnen. Wer aber glaubt, menschliches Handeln in seiner Gesamtheit berechnen zu können, der glaubt im nächsten Schritt auch, es wäre möglich, menschliches Handeln in seiner Gesamtheit vorherzusagen und schließlich zu steuern. Diesen Glauben wiederum transportieren die Ökonomen dann in die Politik, die diese Perspektive nur allzu gerne aufnimmt.
Weil aber gerade die politische Klasse unglaublich offen für die Idee einer von ihr gelenkten und gesteuerten Wirtschaft ist, driftet die Gesellschaft mit derartigen ökonomischen (Irr)lehren unweigerlich in Richtung Planwirtschaft und Sozialismus, auch wenn viele sich selbst für liberal haltende Ökonomen einen derartigen Vorwurf brüsk zurückweisen würden. Dennoch lautet auch deren Credo oft genug: Die Wirtschaft wächst nicht mehr? Dann muss man an dieser und an jener Stellschraube drehen, um den nächste Aufschwung einzuleiten. Die Arbeitslosenzahlen steigen? Dann gilt es jene Hebel umzulegen und diese Knöpfe zu drücken, schon finden die Menschen wieder zurück in Lohn und Brot.
Das Vehikel dessen sich alle „Wirtschaftswissenschaftler“ dabei am Ende bedienen, ist natürlich die staatliche Geldpolitik. Alle Steuerungsmechanismen laufen am Ende darauf hinaus, dass der Staat bzw. die von ihm kontrollierten Zentralbanken mehr Geld zur Verfügung stellen – sei es über ein Absenken der Zinsen, über Konjunkturprogramme, die mit Schulden finanziert werden, oder durch direkte und indirekte staatliche Kreditvergaben.
Die Vorstellungen aber, es ließe sich so dauerhaftes Wirtschaftswachstum erzeugen oder auch größere soziale Gerechtigkeit, sorgt für immer mehr sowie immer größere und tiefere Staatseingriffe in das Marktgeschehen, wie Mises in seinem Buch „Kritik des Interventionismus“ zeigt. Dieses Phänomen wurde schließlich als Ölflecktheorem bekannt und wir erfahren es beispielsweise ganz konkret bei der „Griechenlandrettung“ – das Land wird nie gerettet, sondern hangelt sich nur von Rettungspaket zu Rettungspaket. Tatsächlich wäre Griechenland gerettet, würden die übrigen EU-Staaten und die EZB ihre Interventionen einstellen und das Land in die Pleite entlassen.
Mit den staatlichen Interventionen wird zudem die Grundlage für die nächste Krise gelegt. Die meisten Mainstreamökonomen aber begreifen dies nicht, sondern schreiben den nächsten, „plötzlichen“ Ausbruch einer Krise dann dem vermeintlichen Auftauchen eines Schwarzen Schwans, also einem nicht zu erwartenden externen Schock zu. Tatsächlich aber ist die Abfolge von Boom und Bust, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten immer intensiver erleben, genau von der österreichischen Konjunkturtheorie beschrieben. Billiges Geld führt zu einem (künstlichen) Wirtschaftsaufschwung, sobald der monetäre Nachschub ins Stocken gerät oder auch nur nicht mehr weiter anwächst, beispielsweise weil die Zentralbanken die Zinssätze anheben, kommt es zum Ende des Boom und die Markte bereinigen sich von den durch das billige Geld verursachten Fehlallokationen und -investitionen.
Genau diese Bereinigung aber wird immer mehr als zu schmerzhaft empfunden und die Politik greift wieder ein und verhindert die Bereinigung. Das Kernproblem dieser fortwährenden monetären Interventionspolitik goss Ludwig von Mises dabei in folgende ebenso unnachahmliche wie treffende Formulierung:
„Es gibt keinen Weg, den finalen Kollaps eines Booms durch Kreditexpansion zu vermeiden. Die Frage ist nur ob die Krise früher durch freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion kommen soll, oder später zusammen mit einer finalen und totalen Katastrophe des Währungssystems kommen soll.“
Alles, aber auch wirklich alles deutet daraufhin, dass Politiker, Zentralbanker und die sie beratenden Ökonomen sich für die zweite Option entschieden haben. Jedenfalls haben sie weltweit die monetären Schleusen geöffnet und versuchen verzweifelt, mit frischem Geld ein letztes Mal die Kreditexpansion und damit einen Wirtschaftsaufschwung anzustoßen. Das Schicksal der globalen Papierwährungen, ganz gleich ob sie Yen, Euro oder Dollar heißen, ist damit besiegelt, nur der Zeitpunkt jener finalen und totalen Katastrophe ist noch ungewiss.
Historisch gesehen wurde die Österreichische Schule spätestens ab den 1940er Jahren immer stärker in den Hintergrund gedrängt, obwohl sie noch 20 Jahre zuvor die dominierende und allgemein gültige Denkschule war. Politik hat nun einmal einen unbedingten Willen zur Gestaltung. Kein Wunder, dass sie sich daher lieber wirtschaftswissenschaftlichen Schulen zuwendet und diese nach Kräften fördert, die bereit sind, diesen Willen mit einem wissenschaftlich-theoretischen Fundament zu unterlegen und so zu suggerieren, er ließe sich in der Realität erfolgreich umsetzen.
Inzwischen jedoch erleben die Österreichische Schule im Allgemeinen und Ludwig von Mises im Besonderen eine höchstverdiente Renaissance. Kein Wunder, wurden die allermeisten Mainstreamökonomen doch von der Finanzkrise völlig überrascht. Die Anhänger der Österreichischen Schule hingegen haben alle eben diese Krise prognostiziert und frühzeitig vor ihr gewarnt. Es wäre höchst wünschenswert, wenn diese Renaissance anhielte. Schließlich haben gerade die letzten Jahre deutlich gemacht, wie sehr es vor allem der Politik, aber auch der Gesellschaft insgesamt an einem brauchbaren ökonomischen Werkzeugkoffer fehlt. Mit anderen Worten: Wir brauchen mehr Praxeologie à la Ludwig von Mises und weniger Scharlatanerie à la Krugman, Piketty oder Bofinger.