Nach der Ankündigung von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zu Entlastungen bei der Einkommensteuer noch in diesem Jahr wenden sich Grüne und SPD dagegen, Menschen mit hohen Einkommen weniger zahlen zu lassen. "Steuersenkungen für die Reichsten des Landes haben keine Priorität", sagte Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch der "Welt" (Dienstagsausgaben). "Ich bin sicher, das sehen auch viele Bank-Manager oder Anwältinnen so, die mit ihrer Arbeit sehr viel verdienen und finanziell bestens dastehen." Zuvor hatte FDP-Chef Lindner gesagt, dass er "die arbeitende Bevölkerung" steuerlich entlasten wolle.
Zum einen müsse, nachdem das Bürgergeld "massiv und überproportional" erhöht worden sei, rückwirkend in der Lohn- und Einkommensteuer der Grundfreibetrag erhöht werden. Zum anderen will Lindner die sogenannte kalte Progression ausgleichen. Bei letzterer lehnen die Grünen eine Entlastung hoher Einkommen ab. "Der Haushalt sind in Zahlen gegossene Prioritäten", sagte Audretsch von den Grünen. "Priorität hat für uns die alleinerziehende Mutter, die arbeitet und am Ende des Monats doch nicht genug hat.
Priorität hat für uns der Polizist, der für seine Familie auf ein gutes Kindergeld und gut ausgestattete Kitas angewiesen ist." Zwar trägt die SPD Lindners Vorstoß an sich mit. "Die anhaltende Inflation macht erforderlich, dass wir in diesem Jahr die arbeitende Mitte entlasten", sagte der finanzpolitische SPD-Fraktionssprecher Michael Schrodi. "Es ist nur folgerichtig, dass der steuerliche Grundfreibetrag steigt." Dies sei "verfassungsrechtlich geboten" und entspreche "dem notwendigen Anstieg des Bürgergelds", so Schrodi. "Die kalte Progression muss ausgeglichen werden. Aber nicht, wie nun im Raum steht, über eine Entlastung von Spitzenverdienern, sondern die von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Mitte."
Hingegen verlangt FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer von den Ampel-Partnern Rückhalt für Lindners Pläne. "Wir Freien Demokraten erwarten, dass die gesamte Koalition hier wieder an einem Strang zieht und die Menschen in den Fokus nimmt, die den Wohlstand des Landes erarbeiten", sagte Meyer der "Welt". Es gehe um "eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber der arbeitenden Bevölkerung". Wer sich "gegen den kompletten Abbau der kalten Progression und gegen die Erhöhung des Grund- und Kinderfreibetrags" stelle, fordere "Mehrbelastungen für alle".
"Beide Steuerentlastungen kommen schnell bei den Menschen an und sind unbürokratisch." Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) kritisierte Lindners Vorstoß. "Die Ankündigungen des Finanzministers sind reine Show. Es geht nicht um echte Entlastungen. Lediglich den zwingend notwendigen Ausgleich der erheblichen Preissteigerungen hat Lindner angekündigt." Das aber sei "das Mindeste, was passieren muss, wenn diese Regierung gleichzeitig Bürgergeldempfängern zum zweiten Mal hintereinander elf Prozent Leistungssteigerung und damit weit mehr als den Inflationsausgleich" gewähre.
"Tatsächlich bräuchten wir eine umfassende Steuerreform, die Arbeitnehmer und Betriebe nachhaltig entlastet." Hierfür gebe es "Sparpotenziale", etwa "bei Bürgergeld, Asylausgaben oder fast 400 Förderprogrammen, die niemand mehr übersehen kann", so Middelberg. "SPD und Grünen allerdings fehlt der Wille für die nötigen Reformen, und die FDP wird sich dagegen nicht durchsetzen." "Das lindnersche Osterei ist der nächste Voodoo-Zauber aus dem Bundesfinanzministerium", sagte Christian Görke, finanzpolitischer Sprecher der Linke-Gruppe im Bundestag. Schon jetzt sei der Bundeshaushalt "völlig überbucht", und Lindners Vorhaben müssten Länder und Kommunen wegen ihres Anteils am Lohn- und Einkommensteueraufkommen mit "Einnahmeverlusten" mitfinanzieren. "Diese haben jetzt schon null Spielraum."
Foto: Einkommensteuer (Archiv), über dts Nachrichtenagentur