Der politisch-mediale Komplex beruft sich in Sachen Hetzjagd auf ein fragwürdiges Video des anonymem Antifa-Twitteraccounts „Zeckenbiss“. Wie tief muss journalistisches Niveau sinken, um dies als seriöse Quelle zu präsentieren? Verfassungsschutz-Chef Maaßen bekräftigt erneut Zweifel.
Welche Quelle? Von wann stammt dieses Video? Wer hat es aufgenommen? Was passierte vorher? Welcher Kontext?
#c2608 #Sachsen
— Antifa Zeckenbiss (@AZeckenbiss) August 26, 2018
Menschenjagd in #Chemnitz Nazi-Hools sind heute zu allem fähig.#FckNZS pic.twitter.com/dP9EK4T84p
von Christian Hiß
Deutschlands oberster Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen äußert Zweifel an der Echtheit des „Hetzjagd“-Videos aus Chemnitz und hat so die Empöreria auf den Plan gerufen. Politik und Presse schreit nach Rücktritt, nach Entlassung.
Doch Maaßen hat nachgelegt. Die „Bild am Sonntag“ berichtet heute von einem Geheimtreffen Maaßens mit Beamten des Innenministeriums, bei welchem er seine Zweifel an der Echtheit bekräftigt hat. Ist das Video eine Fälschung – die Früchte tragende Operation eines „Agent Provocateurs“ oder einer ausländischen Macht?
In einem Gespräch mit der „Bild“-Zeitung sagte Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und so dem Bundesminister des Innern Horst Seehofer (CSU) unterstellt, über das Video, das die (vorgeblichen) „Hetz-“ oder „Menschenjagd“ in Chemnitz zeigten soll »[Es] sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.« Der Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes meinte weiter, ihm lägen »keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben.«
Die Empöreria, der politisch-mediale Komplex, darauf in Schnappatmung.
Fakten
Wir halten fest, es gibt für das in Rede stehende Video bis heute keine Quelle, der Urheber ist nicht bekannt noch zeigt das Video selbst eine „Menschenjagd“, sondern mehr eine ausländerfeindliche Pöbelei.
Ob der angepöbelte Ausländer ist, geht ebenfalls nicht zweifelsfrei aus den Aufnahmen hervor, ebensowenig, was sich vorher abgespielt hat. Vielleicht eine gezielte Provokation? Wer „Hase“ ist und wer die Frau ist, die ihn auffordert, „hier“ zu bleiben (»Hase, du bleibst hier. Du bleibst hier.«) ist bis heute nicht bekannt. Auch gibt es von offizieller Seite bis heute keine Bestätigung, dass einer der „Gejagten“ Strafanzeige erstattet hat.
Maaßen: weder die sächsische Polizei, die Bundespolizei noch der Verfassungsschutz haben Hinweise auf „Hetzjagden“ in Chemnitz
„Video-Beweis“: Herkunft völlig unklar
Es gibt bislang allein das 19 Sekunden lange Video, von dem wir nicht einmal wissen, ob dieses geschnitten ist, ob nicht 30 oder mehr Sekunden davor lagen oder nachfolgten und die „Presseerklärung“ des Twitter-Accounts „Antifa Zeckenbiss“, jenem Account, der im Februar 2018 Twitter beitrat und den bis vor wenigen Tagen kaum jemand kannte, der aber die mediale Welle zu den „Hetzjagden“ losgetreten hat.
Twitter-Account „Antifa Zeckenbiss“: »Wer [das Video] aufgenommen hat wissen wir nicht.«
„Antifa Zeckenbiss“ behauptet in seiner Erklärung vom Freitag (07.09.2018), dass das Video in einer »patriotischen Gruppe gefunden [wurde], wo auch Hetze gegen Flüchtlinge betrieben worden ist.« Wo sich diese Gruppe befindet, etwa auf facebook oder anderswo, wurde nicht mitgeteilt, auch einen Link oder bloß den Namen der Gruppe sucht man in der Erklärung vergebens. „Antifa Zeckenbiss“ räumt selbst auch ein: »Wer [das Video] aufgenommen hat wissen wir nicht.«
Bundesinnenminister Seehofer hat bisher nur mitgeteilt, dass sein Kenntnisstand identisch sei mit dem von Maaßen; die Bundeskanzlerin jedoch ließ über Regierungssprecher Steffen Seibert nur mitteilen, Maaßen hätte sie nicht unterrichtet. Der Verfassungsschutz selbst schweigt zurzeit noch oder muss es gar, weshalb also viele andere reden.
Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden soll etwa gegenüber „ZEIT Online“ gesagt haben, dass bei der Staatsanwaltschaft keine Anhaltspunkte bekannt sein, die dafür sprächen, dass das »Video ein Fake sein könnte.«
SPD-Chefin Nahles: Zweifel, ob Seehofer und Maaßen geeignet sind, die Demokratie zu schützen. Juso-Chef Kühnert: Maaßen soll seinen Aluhut nehmen.
Während also viele andere, in offiziellen Positionen, ihre (Nicht-)Kenntnisse kundtun, tun Politik und Presse das Übrige. Statt den Fortgang der Ermittlungen abzuwarten, hagelt es etwa seitens der SPD heftige Kritik gegen den Koalitionspartner. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles sagte mit Blick auf die Äußerungen von Seehofer und Maaßen, dass diese Zweifel lassen, »ob die beiden geeignet sind, unsere Verfassung und damit unsere Demokratie zu schützen.«
Noch weiter ging Juso-Chef Kevin Kühnert, dieser twitterte Maaßen solle dem Parlament – also dem Innenausschuss oder dem Parlamentarischen Kontrollgremium – Beweise vorlegen oder seinen Aluhut ziehen. Der Juso-Chef unterstellt Deutschlands obersten Verfassungsschützer, er sei ein durchgeknallter Verschwörungstheoretiker.
Heinreich Wefing unterstellt Maaßen in einem Kommentar bei „ZEIT Online“ (08.09.2018) sogar der Verfassung zu schaden statt sie zu schützen (dort: »[k]ann man der Verfassung mehr Schaden als mit dem Verbreiten von Misstrauen?«).
Die Aufgabe des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist jedoch weder das Verbreiten von Misstrauen („ZEIT Online“) noch aluhuttragend Verschwörungstheorien zu entwickeln (Juso-Chef Kühnert), sondern aufzuklären. Der Verfassungsschutz soll der Bundesregierung Informationen liefern und in unübersichtlichen Lagen Klarheit schaffen und auf Risiken hinweisen.
Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist Aufklärung – polternde Politik und hysterische Presse behindern jedoch genau das.
Wenn dem Inlandsgeheimdienst also Informationen zugänglich sind, die Zweifel an der Echtheit des Videos, der Behauptung, ein rechtsextremer Mob hätte Jagd auf Menschen gemacht, aufkommen lassen, dann sollten Politik und Presse sich besser nicht überstürzen, sondern abwarten.
Der jetzige Schlagabtausch zwischen den Beteiligten – oder treffender das Einprügeln seitens Politik und Presse auf den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz – ist einer Aufklärung nicht dienlich, sondern schafft nur mehr Misstrauen und ein Geheimdienst in einer Demokratie braucht genau das Gegenteil: Vertrauen seitens Öffentlichkeit und Parlament.
Dies muss auch mit Blick auf die viel zitierte Äußerung von Oberstaatsanwalt Klein gelten, denn die Staatsanwaltschaften verlassen sich bei Ermittlungen dieser Art auch oft nur – zumindest, solange kein richterlicher Beschluss vorliegt – auf meist öffentlich zugängliche (mindestens von gewieften Journalisten auffindbare) Informationen; Maaßen jedoch ist, gleichwohl selbst promovierter Jurist, Chef eines deutschen Geheimdienstes und nicht bloß Staatsanwalt. Der Verfassungsschutz hat ganz andere Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, Analyse und Bewertung als ein sächsischer Verwaltungsbeamter bei der (General-)Staatsanwaltschaft.
Generalsstaatsanwaltschaft Dresden: kein Fake vs. deutscher Inlandsgeheimdienst: begründeter Fake-Verdacht
Wem ist hier nun Glauben zu schenken? Polternder Politik und hysterischer Presse, die nicht nur Maaßens Kopf fordern, sondern so auch die – mit Blick auf die Vergangenheit – mehr als gute Arbeit deutscher Sicherheitsbehörden diskreditieren und so gefährden oder dem Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes, der »gute Gründe« dafür hat, anzunehmen, dass es sich um eine »gezielte Falschinformation« handelt.
Cui bono? Agent Provocateur, Extremismus, ausländischer Geheimdienst?
Im Falle einer Falschinformation bleibt jedoch die Frage: cui bono? Wer hat den Nutzen? War es eine „antifaschistische“ Provokation mit dem Ziel, den „Kampf gegen Rechts“ weit oben auf der Agenda zu halten, war es gar die Operation einer fremden Macht, also eines ausländischen Dienstes, mit dem Ziel, Unruhe zu stiften? Maaßens Behörde, das Bundesamt für Verfassungsschutz, hat bekanntlich auch den Auftrag ausländische Agententätigkeiten in und gegen die Bundesrepublik Deutschland zu verfolgen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG). Oder war es vielleicht doch nur ein mediengeiler Trittbrettfahrer?
Für den Moment können wir nur abwarten und festhalten, dass der Urheber der 19 Sekunden „Hetzjagd“ genauso wenig bekannt ist wie das Video einen „rechtsextremen Mob“ auf „Menschenjagd“ zeigt. Auch die Behauptung seitens „Antifa Zeckenbiss“, eine »patriotische Gruppe« hätte das Video gepostet, ist zu bezweifeln, denn warum sollten Nazis, die keine sein wollen, sich so selbst entlarven und warum wird uns der Fundort weder mittels Link noch Screenshot aufgezeigt? Für den Moment sollten wir also Vertrauen in „die Dienste“ haben und das Ergebnis der Ermittlungen abwarten. Es bleibt jedenfalls spannend im Freistaat Sachsen.
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