Der Bewerber um die Nachfolge Angela Merkels im Amt des CDU-Vorsitzenden, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, hält die Flüchtlings- und Migrationspolitik für den wichtigsten Grund, warum seine Partei stark an Vertrauen verloren hat.
Die Flüchtlingspolitik sei der "weiße Elefant im Raum", schreibt Spahn in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Donnerstagsausgabe). Die Debatte darüber sei aus Sicht vieler Bürger weder beendet noch gelöst.
"Entgegen mancher Beschwichtigungen ist noch nicht alles wieder im Lot", schreibt Spahn. "Unser Land erfährt weiterhin eine jährliche ungeordnete, überwiegend männliche Zuwanderung in einer Größenordnung von Städten wie Kassel oder Rostock."
Lange versprochene Lösungen für den Schutz der EU-Außengrenzen, die Verteilung und Integration der Migranten stünden noch immer aus.
Spahn bezeichnet es als "fromme Bitte", über den September 2015 nicht mehr zu sprechen. Diese Bitte laufe ins Leere. "Die Bilder von damals, der Eindruck, dass Staat und Politik ein Stück Kontrolle verloren haben, werden nicht einfach aus den Köpfen verschwinden", so Spahn weiter.
CDU und CSU seien seit drei Jahren zerstritten über die Frage, ob die damalige Entscheidung richtig gewesen sei, und fänden zu keinen gemeinsamen Lösungen. Die Union müsse "diese alte Schlacht" hinter sich lassen. Nur so könne sie wieder "zu alter Stärke und Einheit zurückkehren".
Die Flüchtlingspolitik drohe zur "Agenda 2010" der Union zu werden, wenn es CDU und CSU nicht gelinge, diese Debatte ohne Ergebnis zu beenden. Mit ihrer Entscheidung, nicht mehr für das Amt der Parteivorsitzenden zu kandidieren, habe Angela Merkel "ihre Hälfte" dazu beigetragen, "diese unionsinterne Blockade endlich zu lösen".
Spahn fordert die CDU dazu auf, "wieder erkennbar zu werden". Wenn Koalitionen der CDU mit der Linkspartei erwogen würden, sei das symptomatisch. "Als ginge es gar nicht mehr darum, warum wir regieren wollen, sondern nur noch darum, irgendwie eine arithmetische Mehrheit zusammenzuzimmern - koste es, was es wolle."
Das sei kein Pragmatismus mehr, sondern Beliebigkeit. Die Union werde so "bis zur Unkenntlichkeit verwaschen". Die CDU dürfe sich weder durch das "demagogische Tun der Spalter von rechts" leiten lassen, noch biete "der scheinbar moderne Populismus der Grünen von links" eine Orientierung für sie.
"Wenn wir derzeit in den Wahlen nach beiden Seiten, an die Grünen und an die AfD verlieren, dann vor allem deshalb, weil unsere eigene Position eben nicht klar ist", schreibt Spahn. Die Grünen seien in die "offene bürgerliche Flanke" gerückt, "während wir Hemmungen haben, über ureigene Unionsthemen zu diskutieren".
Es geht laut Spahn nicht darum, die CDU nach der Ära Merkel nach "rechts" zu rücken. Es gehe vielmehr um "gesunden Menschenverstand", bürgerliche Werte und Ehrlichkeit.
"Bei der Energiewende, der Euro-Rettung und bei Migration und Integration spürt ja jeder einigermaßen Feinfühlige, dass die Dinge zu oft nicht so sind, wie sie sein müssten", so Spahn, "auch wenn wir uns gelegentlich anderes einreden".
Foto: Flüchtlinge, über dts Nachrichtenagentur