Deutschland zahlt nicht nur Kindergeld für Kinder, die in der EU leben, sondern auch für Nachkommen in der Türkei. Oft wird der Nachwuchs erfunden, um deutsche Sozialkassen zu plündern.
von Egon Hattermeier
Für Kinder, die innerhalb der EU wohnen, zahlt Deutschland 194 Euro pro Monat. Ab dem dritten Sprössling gibt es mehr pro Kopf. Zum Vergleich: In Bulgarien gibt es rund 20, in Rumänien 18 bis 43 Euro im Monat.
Kassieren mehrere Kinder in Deutschland Kindergeld, übersteigt die Summe schnell das Durchschnittsgehalt z.B. in Rumänien. Ein lohnendes Geschäft, besonders dann, wenn der Nachwuchs gar nicht existiert:
Derzeit zahlt Deutschland für rund 270.000 Kinder im Ausland. Ob diese jedoch wirklich existieren, kann oft nicht nachgeprüft werden. Damit ist dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.
Deutsches Kindergeld in der Türkei
Doch deutsche Sozialkassen zahlen nicht nur für Kinder im EU-Ausland. Auch für Nachwuchs in der Türkei blechen deutsche Steuerzahler.
Damit Türken, die kein Deutsch sprechen, einen Antrag für die Lieben daheim problemlos stellen können, gibt's das Antragsformular sogar auf Türkisch: Deutsches Kindergeld in der Türkei (PDF Download)
Besonderes Plus: Berücksichtigt werden auch in der Türkei lebende Kinder des Ehegatten (Stiefkinder), wenn sie schon im ausländischen Haushalt des Arbeitnehmers gelebt haben, bevor er seine Arbeit in Deutschland aufgenommen hat und Kinder des Ehegatten (Stiefkinder), die der Antragsteller in seinen Haushalt in Deutschland aufgenommen hat.
Verdächtiger Anstieg
Die Zahl ausländischer Kindergeldempfänger ist nach Angaben der Bundesregierung stark angestiegen. "Im Juni 2018 wurde für 268.336 Kinder, die außerhalb von Deutschland in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum leben, Kindergeld gezahlt", sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Das ist eine Zunahme um 10,4 Prozent. Ende 2017 lag die Zahl noch bei 243.234 Empfängern, 2016 bei 232.189.
Betrug
Schon vor Monaten hatte die "Welt am Sonntag" berichtet, dass die Familienkassen jährlich um mindestens 100 Millionen Euro betrogen werden könnten durch Banden, die Familien nach Deutschland schicken und Kindergeld kassieren lassen für nicht existierende Kinder oder für Kinder, die gar nicht hier leben.
„Der Betrug funktioniert bislang deshalb so gut, weil die geltenden Datenschutzbestimmungen einen besseren und frühzeitigeren Austausch zwischen Familienkassen und anderen Behörden kaum zulassen“, sagte der bundesweite Leiter der Kassen, Karsten Bunk, gegenüber WELT.
Auf der Basis des Kindergeldsatzes in Höhe von 194 Euro für das erste Kind fallen für die Kinder von ausländischen EU-Bürgern, die sich in Deutschland mit einer Wohnung anmelden, aber deren Nachwuchs oft gar nicht hier lebt, jeden Monat rund 50 Millionen Euro an. Pro Jahr liegen die Kosten dann bei weit über 600 Millionen Euro, berichtet der stern.
Erfahrungen in Duisburg
Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link sprach bei n-tv von kriminellen Schleppern, die gezielt Sinti und Roma nach Duisburg bringen würden und ihnen eine häufig heruntergekommene Wohnung verschafften, damit sie einen Wohnsitz zum Bezug des Kindergeldes hätten.
"Ich muss mich hier mit Menschen beschäftigen, die ganze Straßenzüge vermüllen und das Rattenproblem verschärfen. Das regt die Bürger auf", kritisierte der SPD-Politiker. Der Rathauschef sieht kriminelle Energie und viel Betrug durch gefälschte Dokumente am Werk, oft wisse man gar nicht, ob die gemeldeten Kinder überhaupt existierten. Das widerspreche dem Sinn der europäischen Freizügigkeit. "Denn die kommen nicht hierher in erster Linie, um zu arbeiten."
Klage gegen Österreich
Weil Österreich Kindergeldzahlungen ans Ausland an die dortigen Lebensverhältnisse anpassen will, leitet Brüssel nun ein Verfahren gegen Wien ein. Die neuen österreichischen Kindergeldregeln für EU-Bürger verstoßen nach Auffassung der EU-Kommission gegen europäisches Recht.
Dazu Prof. Dr. Jörg Meuthen, Bundessprecher der AfD und EU-Abgeordneter:
„Die Klage der EU-Kommission gegen Österreich ist ein Unding. Es kann nicht sein, dass Österreich durch unsinnige EU-Regeln in Geiselhaft genommen wird und so die Lebenshaltungskosten drastisch übersteigende Beträge an im Ausland lebende Kinder auszahlen muss. Diese Regeln müssen dringend geändert werden, auch im Interesse Deutschlands.
Dieser Sozialtourismus gehört schnellstmöglich beendet, wobei eine Anpassung des Kindergeldes an die Lebenshaltungskosten im jeweiligen Zielland, sofern diese dort niedriger sind, das Mindeste ist.
Die österreichische Regierung hat diese Missstände erkannt und geht gegen sie vor. Die deutsche Bundesregierung steht in der Pflicht, sich bei den derzeit laufenden Neuverhandlungen über die Koordinierung der Sozialsysteme an der Seite Österreichs für eine Flexibilisierung einzusetzen. Eine Indexierung muss zulässig sein. Das hat die AfD gefordert und die Union im Bundestag versprochen.
Im EU-Parlament hat die Union allerdings heimlich zugelassen, dass das Parlament ohne diese Forderung in den Trilog mit Kommission und Mitgliedstaaten geht. Das typische Prozedere: In Deutschland verspricht die Union etwas, ist aber auf EU-Ebene unwillig, es durchzusetzen. Das muss ein Ende haben.“
Situation in Duisburg: