Gesundheitsökonom Jürgen Wasem warnt in der Coronakrise vor zu viel künstlicher Beatmung aufgrund falscher Anreize in deutschen Krankenhäusern. "Kliniken versuchen Patienten möglichst lange zu beamten", sagte Wasem der "Welt" (Montagausgabe). "Mit künstlicher Beatmung wird richtig viel Geld gemacht."
Das sei ein Fehlanreiz des Fallpauschalensystems. "Viele Kliniken reizen die Beatmungsmöglichkeiten aus", so der Lehrstuhlinhaber für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen. Wasems Forderung lautet daher: "Der finanzielle Anreiz für Beatmungen muss geschwächt werden."
Im Moment sei die Vergütung nach Stunden gestuft, so der Ökonom. So steige die Vergütung deutlich an, wenn die Beatmung etwa mindestens 95 Stunden beträgt. Es gebe daher wenige Patienten, die 94 Stunden beamtet werden.
Eine Schwächung des finanziellen Anreizes sei allerdings schwierig, wenn der Nutzen von Beatmungstherapien medizinisch umstritten ist, so Wasem, der auch Vorsitzender der Schlichtungsstelle zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und dem Spitzenverband der Krankenkassen ist.
"Da muss es erstmal einen Konsens in der Wissenschaft geben, wann diese bei Covid-19-Patienten tatsächlich notwendig sind." Die Entwicklung der vergangenen Jahre hin zu mehr Beatmungskapazitäten zahle sich in Pandemie-Zeiten allerdings auch aus, sagte Wasem. "Wir stehen in der Coronakrise relativ gut da, weil wir diese Fehlanreize zugelassen und heute viele Beatmungsbetten haben. Das ist pervers, aber das ist so."
Bei einer Abschwächung der Vergütung müsse man aufpassen, "nicht über das Ziel hinauszuschießen". Für ein Krankenhaus dürfe es nie ökonomisch schädlich sein, Patienten zu beatmen. "Das könnte sonst Menschenleben kosten."
Foto: Krankenhausflur, über dts Nachrichtenagentur