Der Kardinalfehler des deutschen Bankenrettungsplans sieht Sinn in derFreiwilligkeit. „Wer Manager mit Gehaltskürzungen bestrafen will, fallssie Staatsgeld annehmen, muss sie zur Annahme zwingen“, sagt er.Niemand lasse sich freiwillig bestrafen, auch Bankvorstände nicht.Banken, die angeschlagen, aber nicht k. o. sind, verzichteten lieberauf Staatsgelder und reduzierten ihre Kreditvergabe proportional zumgeschrumpften Eigenkapital. „Dies ist das Rezept für eineKreditklemme.“
Sinn schlägt vor, das englische System zu kopieren: „Dort muss imVerhältnis zu den Ausleihungen der vergangenen vier Jahre einebestimmte Menge Eigenkapital vorgewiesen werden. Wer sich dieses Geldnicht am Markt beschaffen kann, muss es vom Staat annehmen. Bevor manRettungsfonds zur direkten Kreditvergabe des Staates an die Firmenauflegt, sollte man es so machen. Staatliche Instanzen können nichtentscheiden, wer das Geld am besten verwerten würde.“
Der ifo-Chef fordert zudem neue, striktere Regeln für die Banken: „Amwichtigsten ist, dass sie gezwungen werden, mit mehr Eigenkapital zuarbeiten.“ Auch Zweckgesellschaften im Ausland müssten im Inland mitEigenkapital unterlegt werden. Zudem dürfe man nicht zulassen, dass dieBanken ihre Eigenkapitalquoten künstlich hochrechnen, indem sie Teileihrer Schulden mit null Risiko bewerten.
In Bezug auf die steigende Staatsverschuldung warnt Sinn vor allemdavor, dass der Staat die Ansprüche der Bürger gegen die Renten- undKrankenversicherungen „eines Tages“ nicht mehr erfüllen kann. „Hierreden wir von knapp sieben Billionen Euro oder 270 Prozent desBruttoinlandsprodukts. Das kann große Probleme bringen.“ Und diederzeit geplante Neuverschuldung würde das Problem nicht lindern.
An die Regierung appelliert er: „Wir sollten den Keynesianismus nichtnur heute bei unseren Ausgabenprogrammen, sondern auch später bei derSchuldentilgung ernst nehmen.“ Der Anstieg der Staatschulden könnenicht ewig so weitergehen. Denn die „Nebenwirkungen“ seienbeträchtlich. „Langfristig müssen wir neue Schäden für dieVolkswirtschaft befürchten.“ Sinn mahnt, dass auch Industrienationenwie Deutschland nicht vor Debakeln, wie sie beispielsweise dasinsolvente Island derzeit erlebt, gefeit seien.
Inflationsgefahren sehe er kurzfristig nicht. Langfristig würdenStaatsschulden allerdings immer Inflationsgefahren bergen, weil derStaat einen Anreiz hätte, sich der Schulden durch Inflation zuentledigen. Sinn verteidigt in diesem Zusammenhang die Unabhängigkeitder Europäischen Zentralbank (EZB), die der Preisstabilitätverpflichtet ist. „Man weiß aber nicht, was noch kommt. Derfranzösische Präsident Sarkozy führt ja einen Feldzug gegen dieUnabhängigkeit der EZB. Je mächtiger er wird, desto größer werden dielangfristigen Inflationsgefahren in Europa.“
Angesprochen auf die Kritik von Politikern, die Ökonomen in Deutschlandhätten die aktuelle Finanzkrise nicht vorausgesehen und würden dieKonjunkturentwicklung ständig falsch prognostizieren, antwortet Sinn:„Den Politikern werfe ich umgekehrt vor, dass sie den Ökonomen seltenwirklich zuhören, sondern herausfiltern, was sie hören wollen.“ Er gibtzu, dass ihn die Kritik „frustriert“. Sinn wörtlich: „Man sucht jetztSündenböcke, beschimpft Ökonomen als neoliberal und ignoriert, dass dieNeoliberalen im Gegensatz zu den Paläoliberalen, also den Altliberalen,eine regulierte Wirtschaft wollen! Allein das beweist, mit wie vielUnkenntnis die öffentliche Diskussion geführt wird.“