An der Börse wird nicht zum Einstieg geklingelt,lautet eine alte Börsenweisheit. Gelegentlich wird jedoch gerne gemailt. Eine interne E-Mail von Citigroup-Chef Vikram Pandit hat an den Aktienmärkten wie ein Antidepressivum gewirkt. Mit schwarzen Zahlen ins Jahr gestartet und mit der Kapitalausstattung im grünen Bereich: Die Botschaft des amerikanischen Bankenriesen setzte im Epizentrum der Finanzmarkt-Erschütterungen an und konnte daher nicht anders, als erhebliche Wirkung an den Finanzmärkten zu entfalten.
Wie einst Tom Hanks und Meg Ryan im Filmklassiker "E-Mail für dich" griffen die Akteure an den Aktienmärkten die elektronische Botschaft begierig auf. Unter Führung der Finanzsektoren zogen Dow Jones Industrial Average und Dax über die Schwellen von 7000 und 4000an, deren Unterschreiten zuvor Befürchtungen über einen neuerlichen heftigen Kursabsturz genährt hatte. Aber auch an der überdurchschnittlichen Entwicklung zyklischer Sektoren und am Hinterherhinken der defensiven Branchen lässt sich ablesen, dass die Mitteilung der Citigroup den Marktteilnehmern wieder etwas Zuversichteingehaucht hat.
Bei der Bewertung der Aktienrally, die auch durch eine stark überverkaufte Verfassung des Marktes begünstigt wurde, ist aber Vorsicht angebracht. Es ist äußerst ungewiss, ob der Dax seine Avancen noch in nennenswertem Umfang ausbauen kann. Gänzlich vermessen wäre es, bereits jetzt die große Trendwende auszurufen. Dafür kommen auf die Marktteilnehmer noch zu viele Belastungen zu.
Argumente, die für eine vorübergehende stärkere Aufwärtsbewegung sprechen, sind allerdings durchaus vorhanden. So könnten die Anleger eine Zeit lang auf die Auswirkungen der groß angelegten weltweiten monetären und fiskalischen Hilfsmaßnahmen setzen. Zudem könnten weitere Eindeckungen die Notierungen in nächster Zeit noch nach oben treiben. In diesem Zusammenhang wird möglicherweise der große Verfallstermin für Auftrieb sorgen. Die Investoren verfügen darüber hinaus über hohe Liquiditätsbestände. Vor diesem Hintergrund werden unter Umständen weitere Umschichtungen aus defensiven in zyklische Sektoren bei Letzteren für erheblichen Auftrieb sorgen.
Letztlich muss jedoch davon ausgegangen werden, dass auch diese Bewegung nichts anderes als eine weitere Bärenmarktrally sein wird. Denn von einigen Indikationen wie zuletzt den US-Einzelhandelsumsätzen abgesehen zeigen die wirtschaftlichen Daten weiterhin einen dramatischen Absturz der Weltwirtschaft an. Diese wird in diesem Jahr erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg schrumpfen, wie nun die Weltbank voraussagt. Die Daten der vergangenen Tage sind ebenfalls alles andere als ermutigend. So hat das japanische Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2008 den schwersten Einbruch seit dem Jahr 1974 erlitten. Die deutsche Industrieproduktion ist im Januar, von starken Einbrüchen bei Aufträgen und Ausfuhren schwer getroffen, mit einer schockierenden Monatsrate von 7,5% abgesackt. "Die Konjunktur fällt über die Klippe: Deutschlands Volkswirtschaft schrumpft 2009 um 5%", so die Überschrift eines Marktausblicks des Bankhauses M.M. Warburg vom Wochenschluss.
Der Wachstumseinbruch in Kombination mit dem Druck auf Absatzpreise und Margen wird in den Zahlenwerken der Unternehmen zum ersten Quartal grausame Auswirkungen zeigen. Damit gehen die Aktienmärkte auf den Lackmustest zu. In den kommenden Wochen beginnt in den USA die Vorankündigungssaison der Unternehmen, ehe dann AnfangApril die Berichtssaison zum ersten Quartal startet. Die Kurseinbußen, die den Dax zuletzt bis unter 3600 gedrückt haben, zeigen zwar, dass sich die Marktteilnehmer bereits auf eine sehr schlechte Unternehmensberichterstattung und ebenso unerfreuliche Ausblicke eingestellt haben, so dass diese somit bis zu einem gewissen Grad eskomptiert sind. Ein Gefühl dafür, ob die Aktienmärktebereits ihr Baisse-Tief gesehen haben könnten, wird sich aber erst anhand der Reaktion des Marktes auf die Quartalsergebnisse einstellenkönnen. Börsen-Zeitung