Liebe Leser,
der deutsche Leitindex DAX schaffte es auch heute nicht, ein neues Allzeithoch zu erreichen. Der DAX verlor ein halbes Prozent und liegt damit aktuell rund 1,5 Prozent unter der alten Bestmarke.
Zu den Tagesverlierern gehört die Linde-Aktie. Heute wurde bekannt, dass geprüft wird, ob Wolfgang Reitzle, langjähriger Vorstands-Chef und heutiger Aufsichtsratsvorsitzender, Insider-Wissen genutzt hat, um sich kurz vor den Fusionsverhandlungen günstig mit Linde-Aktien einzudecken.
Die Fusionspläne setzen Reitzle aber auch an anderer Stelle unter Druck. Wie in dieser Woche bekannt wurde, ist Aufsichtsrats-Chef Reitzle bereit, die Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair notfalls auch gegen den Willen der Beschäftigten durchzudrücken.
Wie die „Financial Times“ (FT) am Montag dieser Woche in ihrer Online-Ausgabe meldete, sei Reitzle bereit, im Zweifel von seinem doppelten Stimmrecht gebrauch zu machen und auf diese Weise die Arbeitnehmervertreter zu überstimmen.
Bei Unternehmen, die der erweiterten Mitbestimmung unterliegen (das ist bei Linde der Fall), muss der Aufsichtsrat aus 12 Personen bestehen, wovon 6 Mitglieder Arbeitnehmervertreter sein müssen. Bei Linde ist es so, dass neben den 6 Arbeitnehmervertretern die 6 weiteren Aufsichtsratsmitglieder der Kapitalseite zugeordnet werden können.
Um bei einer Stimmgleichheit dennoch eine Entscheidung treffen zu können, hat der Aufsichtsratsvorsitzende ein doppeltes Stimmrecht. Der Aufsichtsratsvorsitzende wird traditionell von der Seite der Kapitalgeber (also seitens der Aktionäre) gewählt.
Mögliche Konsequenzen einer erzwungenen Fusion
Zwar könnte Reitzle als Aufsichtsratsvorsitzender von Linde – wie Sie gerade schon erfahren haben – mittels seines doppelten Stimmrechts die Fusion zwischen Linde und Praxair gegen den Widerstand der Arbeitnehmervertreter erzwingen.
Doch was wären die Konsequenzen? Zunächst einmal ist damit zu rechnen, dass in der Folge das Klima im Aufsichtsrat (zwischen den Arbeitnehmervertretern und der Kapitalseite) vergiftet wäre. Es wäre zudem denkbar, dass die Arbeitnehmervertreter in der Folge ihre Macht so weit wie möglich nutzen, um den gegen ihren erklärten Willen entstandenen Konzern zu lähmen.
Mit anderen Worten: Es droht ein Machtkampf im Aufsichtsrat, der das fusionierte Unternehmen massiv in seiner operativen Entwicklung beeinträchtigen könnte.
Das ist sicherlich ein Grund dafür, warum das Management von Linde eine Fusion mit Praxair gegen den Willen der Arbeitnehmer kritisch sieht. „Nein, das ist schlecht“, hatte Linde-Vorstands-Chef Aldo Belloni vor 3 Wochen gesagt, als er auf der Bilanzpressekonferenz gefragt wurde, ob die Fusion gegen den Willen der Arbeitnehmer durchgesetzt würde.
Ausgang der Fusionsgespräche offen
Der Ausgang ist trotz der Aussage von Reitzle offen. Denn erstens ist es denkbar, dass die Politik den Arbeitnehmervertretern bzw. den Arbeitnehmern zur Seite springt und sich in die geplante Fusion einmischt.
Darüber hinaus ist es möglich, dass Praxair an einer erzwungenen Fusion (gegen den Widerstand der Arbeitnehmer) kein Interesse hat und dass die Fusion daran scheitert.
Bleibt abschließend nur die Frage, warum Reitzle die Fusion unbedingt durchdrücken will. Mein Eindruck ist, dass Reitzle sein berufliches „Lebenswerk“ mit einem Paukenschlag vollenden will und dass somit ein egoistisches Motiv dahinter steckt.
Ich sehe die von Reitzle beabsichtigte Fusion gegen den Willen der Arbeitnehmer sehr kritisch und bin der Meinung, dass das kein kluger Schachzug von Reitzle wäre und dass dieser Schritt den zukünftigen Erfolg des Unternehmens gefährden würde.