Lieber Investor,
Im Prinzip steht ein Anleger immer vor der Frage, ob er sein Geld lieber am ruhigen Rentenmarkt oder am hektischeren Aktienmarkt anlegen soll. In den letzten Jahren waren die Aktienbörsen zu bevorzugen. Das lag einmal an der Niedrigzinspolitik der Notenbanken. Sehr schnell wurde den Investoren bewusst, dass hohe Dividenden die neuen Zinsalternativen sind.
Wenn und solange die Kurse relativ stabil und das Geschäftsmodell der Unternehmen von einem soliden Wachstum getragen wird, kann man hier beruhigter investieren und vor allem sein Geld gewinnbringender parken als am Anleihenmarkt, an dem zeitweilig für höchste Bonität sogar negative Zinsen zu zahlen waren. Diese Zeiten scheinen nun zu Ende zu gehen.
In den USA steigen die Zinsen und in Europa wächst der Druck auf die Europäische Zentralbank, die Zinswende ebenfalls einzuleiten, denn die Inflation steigt. Jenseits des Atlantiks sind die kurzfristigen Zinsen schneller gestiegen als die langfristigen. Aus der Differenz zwischen dem Zins für eine 2-jährige und eine 10-jährige Staatsanleihe ergibt sich die sogenannte Zinskurve.
Wachstumsschwäche und Kapitalflucht
Sie ist in den letzten Jahren deutlich abgeflacht, steigt aber augenblicklich wieder an. In den 1990er Jahren war sie ein guter Indikator für die Wirtschaftsentwicklung. Seit einigen Jahren laufen die Zinskurve und das Wirtschaftswachstum sogar so parallel, dass die Zahlen einander fast entsprechen. Bleibt uns dieser Zustand noch eine Weile erhalten, muss davon ausgegangen werden, dass das Wirtschaftswachstum in den USA bis Ende 2018 auf ein Prozent absinken wird.
Selbst wenn die realen Zahlen am Ende ein wenig höher ausfallen sollten, so lässt die Zinskurve doch erwarten, dass die Bäume in den nächsten Jahren wirtschaftlich nicht in den Himmel wachsen werden. Die Gewinnaussichten der Unternehmen sind damit nicht unbedingt schlecht. Aber die Chance, höhere Gewinne zu erzielen, als im Jahr zuvor, wird dadurch geringer.
Da an der Börse aber immer die Zukunft gehandelt wird, muss sich jeder Anleger sofort die Frage stellen, ob es für ihn noch sinnvoll ist, in Aktien zu investieren oder dort investiert zu bleiben, wenn zu erwarten ist, dass sich das Gewinnwachstum der Unternehmen spürbar verlangsamt. Ob sich die ambitionierten Bewertungen vor diesem Hintergrund halten lassen, ist eine der spannendsten Fragen für die nächsten Monate.
Für die Eurozone kommt ein weiteres Warnsignal hinzu. Es zeigt sich in den Bilanzen der Notenbanken einiger Nicht-Eurostaaten. Der Schweizer Franken sowie die dänische, norwegische und tschechische Krone sind beliebte Fluchtwährungen. Sie müssen seit der Finanzkrise Kapital aufnehmen, das sich im Euroraum nicht mehr wohlfühlt.