- Westliche Internetzensur:
Anfang vom Ende oder Ende vom Anfang?
- Sie sind verhaftet wegen Geschwindigkeitsueberschreitung.
- Was ist denn das Tempolimit?
- Die Hoechstgeschwindigkeit ist geheim.
Die Zensur der Zensur. Die Listen der zensierten Internetseiten sind geheim. Die Veröffentlichung der geheimen Listen wird untersagt. Am Ende weiss niemand mehr, was zensiert ist und was nicht. Wohin geht die Reise?
Ein Beitrag von --->Wikileaks
Um kurz nach 21:00 am Dienstag den 24 Maerz 2009 wurden mit Wikileaks in Beziehung stehende Gebaeude in Dresden und Jena von 11 zivilen Ermittlern der Polizei durchsucht.
Warum?
In den vergangenen beiden Jahren hat Wikileaks detailiertegeheime Zensurlisten, sowie Plaene zur Zensur der Regierungen von achtLaendern enthuellt, darunter Thailand, die Vereinigten ArabischenEmirate, Australien und Deutschland.
Waehrend die Hauptseite von Wikileaks schon seit Beginn 2007durch das chinesische Buero fuer Oeffentliche Sicherheit zensiert wird,wurde sie in der letzten Woche in eine geheime Liste von verbotenenSeiten der "Australian Communications and Media Authority" (ACMA)aufgenommen.
Die Zensuer-befuerwortenden Regierungen, die durch Wikileaks belichtet wurden, koennen in drei weite Kategorien gefasst werden:
- Laender mit vorhandenen vorgeschriebenen Zensursystemen: Thailand, Vereinte Arabische Emirate, und der Libanon (Filme).
- Laender, die ein vorgeschriebenes Zensursystem vorschlagen: Australien und Deutschland
- Laender, in denen Zensursysteme in Internet ein unreguliertes Uebereinkommen zwischen grossen Providern und der Polizei darstellen: Norwegen, Daenemark und Finnland
Australien und Deutschland sind die einzigen liberalen demokratischen Laender, in denen ein vorgeschriebenes Zensursystem eingerichtet werden soll.
Alle Systeme funktionieren ueber millionenschwere nationale Netzwerke von Zensurtechnik.
Die Technik ueberwacht jeden Versuch eines Buergers etwas im Internet zu lesen, und vergleicht die Anfragen mit einer geheimen Zensurliste der Regierung, einer sogenannten "Blacklist".
Wenn die aufgerufene Seite auf der Zensurliste steht, wird der Buerger am Betrachten der Internetseite durch ein Abfangen und eine Weiterleitung seiner Internetverbindung gehindert. Die Weiterleitung erfolgt auf eine durch die Regierung kontrollierte Infrastruktur. Diese Infrastruktur protokolliert in der Regel die Identitaet der Person, die den Zugriff auf eine verbotene Seite versucht hat. Ist die Seite nicht auf der Zensurliste, wird dem Besucher durch die Regierung das Besuchen der Seite gestattet.
Urspruenglich in allen Laendern oeffentlich als Mittel zur Bekaempfung von Kinderpornografie verkauft, zeigen die von Wikileaks veroeffentlichen Listen schon jetzt, dass die Systeme korrumpiert und fehlerhaft sind, und auch andere Inhalte, teils politische Inhalte, filtern.
So zensiert die geheime Zensurliste in Thailand tausende Medien pro Jahr, die sich der Monarchie gegenueber kritisch aeussern: von akademischen Buechern und Youtube, zum Economist Magazin und Wikileaks selbst.
Aehnlich enthaelt die Zensurliste in Australien Seiten von Abtreibungsgegnern, einer Zahnklinik, religioesen Randgruppen, Homosexuellen, Gluecksspielangeboten, islamistische Seiten, Webauftritte zu Themen rund um Sterbehilfe, das Webblog eines Astrologen, eine Menge falsch eingestufter Seiten, und wie auch in Thailand, Wikileaks selbst. Selbst der australische "Zensurminister" Stephen Conroy gibt zu, dass mindestens die Haelfte der Seiten auf der geheimen Liste keine Verbindung zu Kinderpornografie haben.
In Zeiten in denen Zeitungen und andere Publikationen sich zu einer ausschliesslichen Praesenz im Internet wenden, koennen solch totalitaere Systeme dem Buerger bundesweit die Informationen entziehen.
Die Kommunikation zwischen Herausgeber und Leser, sowie der "neue" zivile Diskurs zwischen Lesern untereinander wird unterbunden. Fuer das Ausmass, die Geschwindigkeit und die potentielle Auswirkung eines solchen zentralisierten Eingriffs gibt es keinen historischen Praezedenzfall.
Geheime nationale Zensursysteme sind gefaehrlich und unverantwortlich. Sie sind eine Beleidigung von natuerlicher Gerechtigkeit, Rechtstaatlichkeit und der ausbalancierenden Macht der freien Presse. Sie muessen aufgehalten werden.
Die australische Regierung hat Plaene zur Ausweitung der Zensurliste um mehr als das zehnfache, von knapp 1.200 gesperrten Seiten auf ueber 10.000. Auch wenn diese Plaene nun wahrscheinlich durch die Enthuellungen des letzten Monats nicht von der Regierung verabschiedet werden.
Um das, was passiert ist, etwas verstaendlicher zu machen, erlauben wir uns folgende Analogie:
- In den Buechereien und Buecherkatalogen von Deutschland und Australien gibt es Buecher (Internetseiten) die vom Staat verboten sind.
- Die Regierung von Australien hat eine geheime Liste von verbotenen Buechern zusammengestellt. Diese Liste umfasst 1.200 Buchtitel.
- Weder die Autoren, noch die Herausgeber deren Buecher auf die Liste kommen, werden informiert.
- Deutschland plant die Uebernahme und eine Ausweitung des australischen Schemas.
- Nach den Plaenen der deutschen und australischen Regierung wird jede Ausleihanfrage zu einem Buch (Lesen einer Internetseite) mit der geheimen Liste verbotener Buecher verglichen.
- Ist das Buch auf der Liste, wird der Versuch es auszuleihen, in einer anderen geheimen Liste protokolliert und dem Ausleihen des Buchs widersprochen. Wenn das Buch nicht auf der Zensurliste steht, wird eine Genehmigung zum Auslehen erteilt.
- Die Liste der verbotenen Buecher (die Zensurliste) ist ein verbotenes Buch.
- Die Zensurlisten anderer Laender sind verbotene Buecher.
- Ein Buch, das den Titel (Internetadresse) eines verbotenen Buchs erwaehnt, ist ein verbotenes Buch.
- Eine investigative Zeitung (Wikileaks) enthuellt interne Kerndokumente der Zensurplaene von Deutschland, Australien und anderen Laendern. Im Fall von Australien beinaltet dies die Veroeffentlichung der Liste der verbotenen Buecher und die Entdeckung von eindeutig politischen Buechern in der Liste. Die Zeitung warnt, dass Australien sich wie "demokratisches Hinterland" verhaelt und dem Risiko verfaellt, denselben Pfad der Zensur wie Thailand zu beschreiten.
- Die Artikel, die Listen und schliesslich die ganze Zeitung werden geheim zur Liste der gesperrten Buecher in Australien hinzugefuegt.
- Der australische "Zensurminister", Senator Stephen Conroy sagt, dass "jeder Buerger, der die Zensurliste verbreitet, eine Strafverfolgung riskiert". Der Minister droht mit dem Einschalten der australischen Bundespolizei in Bezug auf die veroeffentlichte Zensurliste.
- In der selben Woche veroeffentlicht die Zeitung drei weitere Artikel zu Zensur und neue Revisionen der Liste der verbotenen Buecher.
- Zwei Raeumlichkeiten die in Verbindung mit der Zeitung in Deutschland stehen werden von 11 zivilen Ermittlern der Polizei durchsucht. Die Polizei verlangt die Herausgabe der Schluessel (Passwoerter) zu den geschuetzten Raeumen (Internetservern), in denen sich die Druckmaschine (Internetseite) der Zeitung befindet, so dass diese abgeschaltet werden kann. Die Zeitungsmitarbeiter verweigern -- sowohl die Schluessel wie auch die Druckmaschine befinden sich in Schweden, einem Land mit staerkerem rechtlichen Schutz fuer Journalisten.
- Die deutsche Polizei beschlagnahmt, was sie fuer die Archive (Festplatte) der Zeitung halten, sowie eine Schreibmaschine (Laptop) zur Beweissicherung.
Hier koennte die Geschichte nun enden, wenn nicht 12 Stunden spaeter, Mittwoch den 25. Maerz, die deutsche Regierung den Versuch der Verabschiedung eines bundesweiten, vorgeschriebenen Zensursystems noch vor den Wahlen im September 2009 verkuendet haette.
Fuer jedes hehre menschliche Verlangen, in diesem Fall dem starken Beschuetzerinstinkt, den die meisten Erwachsenen gegenueber Kindern haben, gibt es Opportunisten wie Senator Conroy oder sein deutsches Pendant, CDU Familienministerin Ursula von der Leyen, die bereitstehen, um diese Gefuehle fuer ihre eigene Macht und Position auszunutzen.
Von der Leyen hofft offensichtlich ihr Profil vor der anstehenden Wahl durch eine kontraproduktive "Loesung" fuer die wahrgenommene Bedrohung durch Kinderpornografie zu erhoehen.
Durchschnittliche Erziehungsberechtige gewaltsam daran zu hindern, Beweise von moeglichem Missbrauch an Kindern zu sehen, ist nicht das selbe, wie den Missbrauch von Kindern zu stoppen. Das Nichtvorhandensein von Beweisen ist nicht der Beweis fuer das Nichtvorhandensein.
Den Beweis zu zensieren beguenstigt den Missbrauch, indem es ihn in den Untergrund draengt, was es schwerer macht, ihn zu verfolgen. Solche Massnahmen entziehen den bewaehrten Methoden die auf Produzenten und Sammler zielen nur Ressourcen und politischen Willen.
Kinder haengen, mehr noch als ihre Eltern, von der Qualitaet und der Brauchbarkeit einer Regierung ab. Ein Angriff gegen jene Systeme und Ideale, welche Regierungen rechtschaffen und verantwortlich halten - oeffentliche Aufsicht, natuerliche Gerechtigkeit und Schutz vor staatlicher Zensur - ist nicht nur eine Zuruecksetzung der Ideale der Aufgeklaertheit, sondern ein Angriff auf die langfristigen Interessen eines jeden Kindes und Erwachsenen.
Die Durchsuchung am 24. Maerz ist nicht der erste Versuch des deutschen Staats Wikileaks zu zensieren. Im Dezember 2008 hatte Ernst Uhrlau, frueherer Polizeichef und jetziger Vorsteher des Bundesnachrichtendiensts, Wikileaks mit Strafverfolgung gedroht, sollte nicht ein BND Dossier zu korrupten Beamten in Kosovo entfernt werden. Das Dossier wurde nicht entfernt. Es gibt zwar keine Hinweise, dass die juengste Polizeiaktion im Zusammenhang mit diesem Zusammenprall mit dem BND steht. Allerdings wirft es, wie auch ein veroeffentlichter Report zur BND Spionage bei deutschen Journalisten, kein besonders gutes Licht auf den Zustand der deutschen Regierung.
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