Im Fall um die Feuerattacke auf einen Obdachlosen in Berlin wurden die fünf Flüchtlinge aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Richterin erwägt, den Tatvorwurf abzuändern. Kein versuchter Mord, sondern gefährliche Körperverletzung.
Bericht aus dem Gerichtssaal von Thomas Heck
Wenn fünf Flüchtlinge einen Obdachlosen anzünden wollen, dann sicher nicht, um ihm Wärme zu geben. Gutes hatten die Angeklagten jedenfalls nicht im Sinn. Dennoch werden im Fall um die Feuerattacke auf einen Berliner Obdachlosen die fünf Flüchtlinge aus der Haft entlassen.
Der Staatsanwalt äußert heftige Kritik. Die fünf jungen Männer versuchen gar nicht erst, ihre Freude zu verbergen. An ihren Verteidigern vorbei suchen sie die Augen der anderen Angeklagten. Kreuzen sich ihre Blicke dann endlich, können sie nicht anders als zu grinsen.
Einige von ihnen lassen ihre Füße unter den Tischen des Landgerichts Berlin zappeln, denn das, was die Richterin so eben verkündet hatte – und was ihnen per Dolmetscherin ins Ohr geflüstert wurde –, bedeutet für sie eins: Sie werden aus der Untersuchungshaft entlassen, ihre nächsten Schritte aus diesem Gerichtsgebäude werden sie als freie Männer tun. Nach fast sechs Monaten hinter Gittern, ist die Zeit im Gefängnis für die fünf Flüchtlinge jetzt Vergangenheit. Zumindest vorläufig.
Am Vormittag hatte es sich schon abgezeichnet: Richterin Regina Alex gab einen rechtlichen Hinweis, dass sie es in Erwägung zöge, den Tatvorwurf abzuändern. Kein versuchter Mord und die Beteiligung daran mehr, sondern gefährliche Körperverletzung. Dementsprechend würde sich auch das höchste Strafmaß ändern: fünf Jahre anstatt einer lebenslanger Haft. Doch die Richterin machte klar: Das sei zunächst lediglich ein Hinweis.
Keiner wird schlau aus den Worten der Richterin, die schon einmal mit einem sehr milden Urteil Unverständnis hervorrief. So verurteilte sie die Mörder der hochschwangeren Maria P., die von ihren Mördern verbrannt wurde. Es gab hier nicht die Höchststrafe.
Was nach der Mittagspause folgte, war ein Eiertanz zwischen den sechs Verteidigern und der Kammer: War das jetzt nun nur ein rechtlicher Hinweis, oder werden bald Tatsachen geschaffen? Soll die Verteidigung noch weitere Beweisanträge einreichen und den Prozess verschleppen?
Die Stimmung in Raum B129: genervt. Weder die Beteiligten noch die Prozessbeobachter wurden schlau aus den Ankündigungen der Richterin. Schließlich hatte sie doch auch verkündet, dass sie den Prozess problemlos bis August weiterführen könnte. Dann zog sich das Gericht zur Beratung zurück, 15 Minuten Pause wurden angekündigt.
Aus 15 Minuten wurde eine halbe Stunde, dann ging es weiter – mit markigen Worten. „Die Kammer macht jetzt Nägel mit Köpfen“, sagte Richterin Alex. Dann verkündete sie das Ergebnis der Beratung: Die Haftbefehle gegen fünf der sechs Angeklagten werden aufgehoben. Lediglich der Hauptangeklagte, Nouri N., müsse weiter in Untersuchungshaft bleiben. Für ihn käme so nun auch eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung infrage, für die restlichen Angeklagten Beihilfe zu ebendieser.
Staatsanwalt macht seinem Unmut Luft
Anschließend bat die Richterin Staatsanwalt Martin Glage, sein Schlussplädoyer vorzutragen. „Jetzt ist die Luft ja eh raus“, kommentierte er die Bitte lakonisch, sein Plädoyer sei doch nun etwas für die Galerie. Trotzdem nutzte er es, um seinem Unmut Luft zu machen. Und um zu zeigen, dass in seinen Augen das, was die sechs jungen Männer am frühen Morgen des ersten Weihnachtstags getan und vor allem unterlassen hatten, alles andere als ein Dummejungenstreich gewesen war.
Minutiös schilderte Glage die Ereignisse jener Nacht, dem 25. Dezember 2016, gegen 2.15 Uhr. Wie sich die Gruppe junger Männer getroffen hatten, am U-Bahnhof Schönleinstraße dann gefeixt hätten, laut gelacht, gerufen. Wie sie auf den schlafenden Obdachlosen aufmerksam wurden, der regungslos auf einer Bank lag. Wie Nour N. mit einem Feuerzeug hantierte, ein Taschentuch anzündete, es neben den Kopf des Schlafenden legte.
Und Glage ging vor allem darauf ein, wie sie dem Obdachlosen den Rücken zukehrten, nachdem sich ein Feuer gebildet hatte, wie niemand auf die Idee kam, einzuschreiten, die Reißleine zu ziehen. Als diese Worte die Ohren der Angeklagten erreichten, grinsten sie nicht mehr, suchten nicht mehr die Blicke der anderen. Die meisten von ihnen schauten auf die Tischplatte vor sich.
„Eine heimtückische Tat“
„Hätte nur einer ernsthaft gesagt: Wir lassen das – der Angeklagte N. hätte sicher aufgehört.“ Doch niemand hätte das gesagt, so Glage. „Heimtückisch“ nannte er die Tat, abschließend forderte er für den Hauptangeklagten eine Strafe von zwei Jahren und zehn Monaten, für drei Angeklagte, die von Anfang an dabei gewesen waren, zwei Jahre und sechs Monate sowie für die beiden Angeklagten, die erst später dazu kamen, zwei Jahre auf Bewährung.
Die fünf Angeklagten, für die er geringere Strafen gefordert hatte, lassen die Haft nun jedoch vorerst hinter sich, und man spürt bei Glage die Zerknirschung darüber; eben in den Momenten, wenn er in sein vorbereitetes Plädoyer spontan Kritik einbaut und mit ihnen die Entscheidung des Gerichts hinterfragt. „Ich bin auf die Erklärung der Kammer bei der Urteilsverkündung gespannt“, sagte Staatsanwalt Glage gegen Ende seines Plädoyers.
Am kommenden Dienstag wird es dann so weit sein. Dann wird nicht nur die Verteidigung Stellung beziehen, sondern auch Richterin Regina Alex begründen, warum diese Tat kein Mordversuch mehr ist. Den Namen Regina Alex wird man sich merken müssen. Ein weiteres Urteil in einer langen Liste von Skandalurteilen.