Wenn es um Russland geht, werden amerikanische Politiker hysterisch. Doch auch in der EU ist die Dämonisierung Moskaus allgegenwärtig.
Von Ernst Wolff
Egal, was auf der Welt geschieht – es gibt kaum eine negative Meldung, deren Ursache nicht umgehend Russland oder dem russischen Präsidenten zugeschrieben wird. Ob es sich um einen Flugzeugabsturz in der Ukraine, die Manipulation der Präsidentenwahl in den USA oder Massendoping bei internationalen Sportereignissen handelt - US-Politiker und US-Medien deuten sofort mit dem Finger auf Russland.
Diese permanente Schuldzuweisung ist nicht neu: Gleich nachdem sie das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit der Sowjetunion besiegt hatten, änderten die USA den Ton gegenüber dem Verbündeten drastisch und eröffneten die jahrzehntelange Phase des „Kalten Krieges“. Wer immer in den USA auch nur ein positives Wort über die Sowjetunion fallen ließ, wurde in der „McCarthy-Ära“ der Fünfziger Jahre als „Kommunistenfreund“ verfolgt. Wer sich dem staatlichen Diktat nicht beugte, verlor - wie u.a. Charlie Chaplin - die US-Staatsbürgerschaft oder wanderte ins Gefängnis.
Warum? Wieso wurde aus dem Verbündeten im Zweiten Weltkrieg plötzlich der Staatsfeind Nr. 1? Und wieso wird heute wieder solche Hetze gegen Russland betrieben? Es gibt dafür zwei Gründe: Das globale Finanzsystem und die US-Rüstungsindustrie.
Das neue Finanzsystem: Die Diktatur des US-Dollars
Die USA gingen aus dem Zweiten Weltkrieg als wirtschaftlich und militärisch stärkste Macht der Welt hervor. In Bretton Woods legten sie 1944 ein neues Weltwährungssystem fest, das den US-Dollar zur ersten globalen Leitwährung machte. Es gab nur eine wirtschaftlich bedeutende Nation, die sich dem Diktat des US-Dollars nicht unterwarf: die Sowjetunion. Sie ging sogar noch einen Schritt weiter und sorgte dafür, dass ihre Satellitenstaaten (die Länder des „Ostblocks“) dem Abkommen ebenfalls fernblieben.
Damit wurde mehr als ein Sechstel der Erde dem Einfluss des US-Dollars und dem ungehemmten Export von US-Waren entzogen. Für die neue Supermacht USA Grund genug, den ehemaligen Verbündeten umgehend zum Feind zu erklären und mit Hilfe der Medien nach allen Regeln der Kunst zu verteufeln.
Auch die amerikanische Rüstungsindustrie trug zum Kurswechsel bei: Da sie im Zweiten Weltkrieg gegeneinander kämpfende Kriegsparteien mit Waffen versorgt hatten, war sie zu einer Wirtschaftsmacht erster Ordnung angewachsen. Nach Kriegsende geriet sie schnell in die roten Zahlen und lechzte daher nach Absatzmöglichkeiten und weiteren Kriegen. Da gegenüber der eigenen Bevölkerung ein passendes Feindbild benötigt wurde, kam die Ablehnung des Bretton-Woods-Abkommens durch die Sowjetunion für die Rüstungsindustrie wie gerufen.
Gegenwärtiges Ziel der USA: Das Ende der Dollar-Ära abwenden
Nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 und dem Zerfall der Ostblockregimes änderte sich das Bild. Amerikanisches Kapital konnte den europäischen Osten fast ungehemmt überschwemmen. Damit entfiel die Notwendigkeit, das Feindbild aufrechtzuerhalten. Doch mit der Zeit begannen Russlands neue Machthaber, ihre eigenen Interessen zu verfolgen und nicht mehr nach der Pfeife des US-Kapitals zu tanzen. Gleichzeitig zeigte sich der fortschreitende Niedergang der US-Wirtschaft, deren Arbeitsplätze im Rahmen der Globalisierung ins Ausland verlegt worden waren und die immer stärker dem Spekulationskarussell des Finanzsektors unterworfen wurde.
Als erste Länder versuchten, sich der globalen Dominanz des US-Dollars zu entziehen, reagierten die USA mit eiserner Härte: Saddam Husseins Plan, Erdöl für Euro zu verkaufen, wurde mit einer Kriegserklärung an sein Land beantwortet, er selbst landete am Galgen. Gaddafis Vorhaben, einen goldgedeckten nordafrikanischen Dinar einzuführen, führte zur Verwüstung Libyens durch eine US-geführte Koalition und zu Gaddafis Ermordung.
Hintergrund der extremen Reaktion ist die Tatsache, dass der Dollar bis heute der wichtigste Eckpfeiler der globalen US-Vorherrschaft ist. Sobald er fällt, ist es mit der weltweiten Wirtschafts- und Finanzdominanz der USA vorbei. Deshalb stemmt sich Washington mit aller Macht gegen jeden Versuch, den Einfluss seiner Währung zu beschränken. Genau hier liegt auch der Grund für die seit drei Jahren an Schärfe zunehmende Russland-Hetze: Russland hat sich nämlich 2014 erdreistet, mit China nicht nur einen Mega-Deal im Energiebereich abzuschließen, sondern auch anzukündigen, künftig sämtliche Geschäfte im chinesisch-russischen Handel direkt in Rubel und Yuan abzuwickeln.
Beide Länder haben damit nichts anderes getan, als ihr international geltendes Recht als souveräne Staaten wahrzunehmen. Doch die USA haben eine lange Tradition, eigene Machtansprüche über internationales Recht zu stellen. Russland und das mittlerweile wirtschaftlich übermächtige China haben in den Augen Washingtons einen Präzedenzfall geschaffen, der die Weltherrschaft des Dollars infrage stellt und weitere Länder ermutigen könnte nachzuziehen – und der damit das Ende der US-Dollar-Diktatur einläuten könnte.
Da das US-Finanzsystem auf Grund riesiger Spekulationsblasen derzeit in allergrößten Schwierigkeiten steckt, ist nicht mit einem Nachlassen der Russland-Hetze zu rechnen. Im Gegenteil: Washington wird auch für die absehbaren weiteren Einbrüche im Wirtschafts- und Finanzsektor, zur Rechtfertigung seiner militärischen Aufrüstung und zur Begründung umfassender Sozialkürzungen dringend einen Sündenbock brauchen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass wir demnächst erfahren, dass die Ursache für einen Kurssturz des Dow Jones, das Platzen neuer US-Immobilienblasen oder Kürzungen von Essensmarken für bedürftige US-Bürger nicht im US-Finanzsektor oder in Washington zu suchen sind, sondern – in den weiten Gefilden des Moskauer Kremls.