Ein Stress-Test – fragt sich nur für wen? Nach scheinbar ermutigenden Ergebnissen kommen Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der Daten auf. Der US-Bankenstresstest: Aufgehübscht und nachgebessert?
Bereits dieVerzögerungen bei der Veröffentlichung (die Daten solltenursprünglich schon am letzten Montag erscheinen, dann Dienstagusw.) hinterließen ein Geschmäckle. Dann war sogleich beiden ersten Meldungen für den Beobachter überraschend, dassinsbesondere die eigentlich so schwer angeschlagene Citigroup nur einenzusätzlichen Kapitalbedarf von 5,5 Mrd. Dollar haben soll. DasInstitut ist immer noch das am stärksten betroffene in derFinanzkrise.
In vorabdurchgesickerten Informationen war dagegen von mindestens 10 Milliardenfür die Citigroup die Rede. Das Wall Street Journal beziffert dienotwendige Summe gar auf 35 Milliarden. Das liegt in derGrößenordnung dessen, was die Bank of America (BofA,ausgesprochen: „Boff-Äy“) schließlichbescheinigt bekam (knapp 34 Milliarden Dollar Kapitalbedarf) undscheint keinesfalls unangemessen zu sein. Auch bei der BofA standanfangs aber eine deutlich höhere Summe, nämlich 50Milliarden Dollar, im Raum.
Bereits Anfangletzter Woche kursierten Gerüchte, nach denen sich die Bankenvehement gegen die ursprünglichen Ergebnisse der Fed zur Wehrsetzten. Offensichtlich waren diese Bemühungen von Erfolggekrönt, worauf die endgültigen Zahlen und dieVerzögerungen schließen lassen.
Aufgehübscht und nachgebessert
Nach Angabendes Wall Street Journals vom Wochenende soll sich auch ein hoherFed-Beamter erleichtert über die Aktienmarktrally der letztenWochen geäußert haben. „Erst das habe passable Ergebnisseermöglicht.“, wird der anonyme Insider zitiert. Das wirftnatürlich ein bezeichnendes Licht auf die Belastbarkeit derErgebnisse. Denn im Umkehrschluss bedeutet dies: Wenn die Kursezurückgehen, sind auch diese Zahlen schnell wieder Makulatur.
Offensichtlichhaben sich die Fed-Oberen die Sicht von Warren Buffett (hältAnteile an Wells Fargo, Goldman Sachs, US Bancor und M&T Bank) aufganz besondere Art zu Eigen gemacht. Der hatte die Fed-Kriterien scharfkritisiert, weil sie große wie kleine Banken letztlich übereinen Kamm scheren und deren Geschäftsaussichten nicht angemessenberücksichtigen. In diese Kerbe hieben dann auch die Chefs vonCiti und BofA, die als Grund für die „Adjustierungen“die positiven Auswirkungen anhängiger Geschäfte ins Feldführten.
Es bleibt alsowieder einmal dem Markt überlassen, was er mit diesem Zahlensalatmacht. Wenig hilfreich sind dabei die eher spärlichenInformationen über die tatsächlich angewandten Kriterien indiesem Test. Die offiziellen Verlautbarungen der Fed sprechen nur vonAuswirkungen, die bei einem Sinken des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von3,3 % in diesem und einem minimalen Anstieg von 0,5 % im nächstenJahr auf die Bankbilanzen ausgehen.
Die konkretenGrenzwerte, die dabei für bestimmte Kennziffern der Bankenletztlich zur Anwendung kamen, blieben dabei ebenso im Dunkeln, wie dieModelle, die anhand der oben genannten angenommenen Wirtschaftsdatenkonkrete Auswirkungen auf diese Kennziffern simulieren. So soll zumBeispiel eine wichtige Eigenkapitalkennziffer laut Financial TimesDeutschland von den US-Behörden nur mit 3 % gefordert worden sein.Der Internationale Währungsfonds IWF kommt dagegen in einereigenen Studie bei Annahme einer Mindesthöhe von 4 % bereits aufeinen zusätzlichen Kapitalbedarf von 275 Milliarden US-Dollar. Dasbezieht sich zwar auf den gesamten US-Finanzsektor, es kann aber zuRecht davon ausgegangen werden, dass die getesteten 19größten Institute des Landes den Löwenanteil davonbenötigen würden.
Selbst ist der Anleger: Eine Risikoabschätzung
Wie dem auchsei: Die Risiken, die bei US-Banken noch lauern, können auch ohneStresstest grob abgeschätzt werden. Denn letztlich gibt es dreigroße Gruppen kritischer Positionen in den Bankbilanzen:
ERSTENS, dieso genannten toxischen Wertpapiere, um die sich derzeit die Diskussiondreht. Allein bei den Großen Vier (Citi, BofA, J.P.Morgan undWells Fargo) soll es sich dabei nach Angaben von Standard &Poor’s (S&P) um Positionen im Gesamtwert von 2 BillionenUS-Dollar handeln. Allerdings hat die Finanzkrise dabei schon einebeachtliche Wertberichtigung gebracht. S&P erwartet daher hierkeine entscheidenden Belastungen für die Banken mehr, obwohl nochimmer überbewertete Papiere in den Bilanzen schlummern. Dasbetrifft hauptsächlich Derivate, die Kredite auf Gewerbeimmobilienverbriefen, dazu später mehr.
ZWEITENS, dieklassischen Kredite in Form von Kreditkarten, Hypotheken undUnternehmenskrediten. Zuletzt hat beispielsweise derKreditkartenspezialist American Express in seinen jüngstenQuartalsergebnissen insbesondere auf mögliche Ausfälle vonKonsumentenkrediten infolge der Wirtschaftskrise hingewiesen unddafür weitere 1,8 Mrd. Dollar Rückstellungen alsRisikovorsorge gebildet.
Die verbleibenden Zeitbomben in den Bankbilanzen
DieKreditkartenfirmen schrauben als Antwort darauf ihre Angebote an dieVerbraucher drastisch zurück. Bestandskunden werden mitüberzogenen Zinssätzen, horrenden Gebühren undKnebelverträgen abgeschreckt. Diese zweifelhafte Praxis, die inden Wirtschaftsmedien und bei Verbraucherverbänden in den USAschon seit Monaten die Gemüter erhitzt, hat inzwischen sogarUS-Präsident Obama aufgeschreckt. Vor vierzehn Tagen hat er einGesetz angekündigt, dass dieser Willkür einen Riegelvorschieben soll.
Allerdingserreichen die Maßnahmen der Banken ihren Zweck. Die Amerikanerreduzieren ihre Schulden derzeit drastisch. Die Sparquote derUS-Haushalte schnellte innerhalb eines Jahres von 0,2 % auf über 4% nach oben. Im Herbst 2005 lag sie dagegen sogar einmal im negativenBereich (siehe Grafik)...
Quelle: Bureau of Economic Analysis
Hinweis: Charts am besten sichtbar unterFirefox. Bei Windows IE kommt es zu Verzerrungen. Oder bestellen Sieeinfach den Newsletter bei --->stockstreet.de
Damit konntendie Amerikaner im dritten Quartal 2008 sogar erstmals seit 1953 dieGröße ihrer Schulden nominal verringern. In früherenRezessionen kam es zwar auch zu einer mehr oder weniger starkenStagnation der ausstehenden Verbindlichkeiten, aber ein effektiverRückgang ist ein absolutes Novum (siehe Grafik).
Quelle: Federal Reserve Bank
Wie vieleKreditausfälle letztlich tatsächlich anfallen werden, istunklar. Das hängt natürlich auch von der wirtschaftlichenEntwicklung ab. Je mehr Arbeitslose, desto mehr Belastungen sind zuerwarten. Es wird also ein Wettlauf zwischen denRückzahlungsanstrengungen der Verbraucher und der hereinbrechendenWelle einer längeren Rezession.
Konsumenten und Unternehmen wehren sich
Ähnlichesgilt auch für den Unternehmenssektor. Hier lassen sich die Bankenkaum noch auf Erweiterungen oder Verlängerungen der Kreditlinienein. Auslaufende Finanzierungen können nur noch zu deutlichschlechteren Konditionen erneuert werden.
DieUnternehmen ziehen daraus die Konsequenzen: Sie besorgen sich ihrKapital direkt am Markt über Unternehmensanleihen. Die zuzahlenden Zinsen mögen vielleicht etwas höher sein. Derentscheidende Vorteil ist jedoch, dass dabei der Anleihenemittent, alsodas Unternehmen, die Spielregeln bestimmt (über dieEmissionsbedingungen). Ist die Anleihe einmal platziert, sind dieBedingungen über die Laufzeit fixiert. Keine Bank kann kommen undnachträglich die Daumenschrauben ansetzen. Ist der Gläubigermit dem Unternehmen oder seiner Anlage nicht mehr zufrieden, muss erselbst sehen, dass er am Markt einen Käufer dafür findet.
Auch hier wirdder wirtschaftliche Verlauf natürlich auch die Ausfallquotemaßgeblich beeinflussen. Andererseits reduziert dieWirtschaftskrise auch den Kapitalbedarf der Unternehmen. Im Gegensatzzu den Privaten haben die Firmen natürlich eine gewisseEinflussmöglichkeit durch die Gestaltung ihrerGeschäftspolitik in der Krise.
Einelänger anhaltende Krise wird aber auch dann erheblicheSchäden anrichten. Insbesondere bei Unternehmen, die durch neueEigentümer aus der Private-Equity-Szene (PE) mit Schuldenüberhäuft wurden. Erste prominente Opfer, vor allem in derAutomobilindustrie, sind bereits zu beklagen (Edscha, TMD Friction),andere stehen auf der Kippe (Honsel). Da die führendenPE-Konsortien zumeist sehr große Kreditpakete übernommenhaben, besteht bei den betreffenden Banken natürlich einentsprechendes Klumpenrisiko.
Der nächste Immobilien-Crash – Gewerbeobjekt?
Bleibt dieDRITTE große Gruppe kritischer Bilanzpositionen, die gewerblichenImmobilienkredite. Schätzungen zufolge liegt die Gesamtsummedieser Kredite bei etwa 3,5 Billionen US-Dollar. Diese verteilt sichschwerpunktmäßig auf regionale Banken, die lokale Projekteund Bauträger finanziert haben. Aber allein die Großen Vierkommen auf einen vergleichbaren Betrag, wenn man Kreditkarten undUnternehmenskredite mit einbezieht. Zudem sind etliche Kredite von denkleineren Banken über verschiedene, von den großen Bankenaufgelegte Derivatekonstruktionen weitergereicht worden. Ein Teildieser Papiere drückt eben nun bei den Großen auf dieBilanzen. Und gerade diese Papiere sind vielfach noch nicht angemessenbewertet. Experten beziffern den Abwertungsbedarf auf durchschnittlichfast 30 % zusätzlich.
Die Risikensind leider auch in diesen Immobilienkrediten häufig konzentriert.Neben vielen kleinen Kreditnehmern agieren einige großeGesellschaften, zu denen teilweise auch die bekannten PE-Firmen, wieBlackstone, KKR und andere gehören. Das Gros der Kredite liegtaber bei den etwas über 100 REITs, die in den letzten Jahren inden USA wie Pilze aus dem Boden schossen. Diese Real Estate InvestmentsTrusts, also Immobilien-Finanzierer, werden an der Börse gehandeltund sind am ehesten mit einem klassischen geschlossenen Fondsvergleichbar, der spezielle, zweckgebundene Gebäude, wieBüros oder Einkaufszentren errichtet und langfristigfremdvermietet. Allerdings betreuen die REITS in der Regel mehrereObjekte, die sie zum Großteil fremdfinanzierten.
Wie sohäufig bei den großen Finanzierungen der letzten Jahrewurden teilweise extreme Hebel verwendet, also sehr viel mehr Fremd-als Eigenkapital. Das funktioniert, solange die Mieteinnahmen wievorgesehen sprudeln. Fällt allerdings ein Mieter aus (zum Beispieleine Investmentgesellschaft in bester Lage in Manhattan), ist kaumadäquater Ersatz zu bekommen. Mieteinbußen sind die Folge.
Anleger stimmen mit den Füßen ab
Anleger habendie Gefahr bereits erkannt und flüchten seit geraumer Zeit inScharen aus diesen Papieren. Dadurch hat sich der Börsenwertdieser Gesellschaften seit Anfang 2008 um 60 % verringert.Ähnliches gilt sicherlich auch für die Bewertung ihrerObjekte, was aber erst dann augenfällig wird, wenn es um ihreVerwertung, also einen Verkauf geht.
Das versuchenalle Beteiligten natürlich mit allen Mitteln zu verhindern: DieREITs sowieso, weil sie dabei Milliardenverluste machen würden,und die Banken, weil sie nicht daran interessiert sein können,unzureichende Sicherheiten für überhöhte Kredite in ihreBilanz aufzunehmen und damit eine neue Welle von Abschreibungenloszutreten.
Wie langediese Mikado-Taktik noch gut geht, ist ungewiss. Die Mieten inTop-Lagen in Manhattan, wo viele dieser Objekte stehen, sanken seitAnfang 2008 um über 30 %. Die Verbindlichkeiten der REITs(Zinsverpflichtungen) bleiben aber konstant. Im Gegenteil, siekönnten in den nächsten Jahren sogar weiter ansteigen.
Denn dieFinanzierungen waren meist nur auf wenige Jahre ausgelegt. DasKalkül war ein schneller Weiterverkauf an den nächstenInvestor. Insofern werden also ab 2010 etliche Forderungen fällig.Wenn dann der Verkauf in einem kollabierenden Markt hinein erfolgt,können Sie sich ausmalen, was in den Bilanzen der REITs und ihrerkreditgebenden Banken passiert. Also müssen die Gesellschafteneine Anschlussfinanzierung erreichen. Die wird aber sicherlich nur zudeutlich schlechteren Konditionen möglich sein. Ergo steigen dieZinsbelastungen bei dann weiter sinkenden Einnahmen. Ein Teufelskreis.
300 Milliarden Dollar Risiko
Selbstoptimistische Marktbeobachter wie Morgan Stanley beziffern das Risikoallein in diesem Sektor der Finanzbranche auf ca. 9 %. Das wärenalso gemessen an den oben genannten 3,5 Billionen Dollar Gesamtvolumenmehr als 300 Milliarden Dollar. Das liegt in derGrößenordnung, die auch vom IWF beziffert wurde (275Milliarden US-Dollar, siehe oben).
Beide Zahlenliegen etwa um den Faktor 4 höher, als die nun im Stresstest derFed ermittelten Zahlen. Im Vorfeld der Ergebnisveröffentlichunghatten Analysten mit einer Summe zwischen 150 und 200 Milliarden Dollargerechnet. Das liegt etwa in der Mittel zwischen beiden Extremen, istaber vermutlich auch eher eine optimistische Annahme.
In jedem Fallist der Anleger nun eigentlich nicht schlauer als vorher. Manmöchte fast meinen, dies war ein Stress-Test für Investoren.Nervenaufreibend war es allemal.
Und sodrängt sich das Gefühl auf, dass diese ganze Aktion eherOpium fürs Volk war. Einziger – allerdings schwacher –Trost ist, dass sich diese immer noch gigantischen Summen vermutlichüber eine längere Zeit verteilen. Das kommt dem Bestreben derBanken nach einer Salamitaktik, also Eingeständnissen in kleinenDosen, sicherlich entgegen.
Geht die Bombe hoch oder der Krug an uns vorbei?
Kommt Zeit,kommt Rat – und vielleicht der nächste Aufschwung, so dieeinhellige Hoffnung in den Fluren der Bankvorstände. Vertrauenschaffen sieht anders aus. Und ob diese Rechnung überhauptaufgeht, ist zweifelhaft. Denn Konsumenten als Extremsparer undUnternehmen, die Bankenabstinenz üben, fallen als Kunden aus undliefern demzufolge auch keinen Gewinnbeitrag.
Auf jeden Fallliegt hier der Zündstoff für eine nächste Panikwelle,die womöglich zur Unzeit kommt: Dann nämlich, wenn sichwirklich der erste echte Silberstreif am Konjunkturhimmel zeigt.