Natürlich hat die überwiegende Mehrzahl der Kommentatorendas Urteil gelobt und eine Stärkung Deutschlands innerhalbder EU herausgelesen. Klar, die gleichen Leute haben ja auchschon die EU-Verfassung und den Vertrag von Lissabon als großenFortschritt verkauft.
Um die offenbar auch unterKritikern aufkeimende Euphorie etwas zu dämpfen, sollteman die Konsequenzen des Karlsruher Spruches noch einmal klaraussprechen:
- Mit dem Vertrag von Lissabon bekommen wir alles, was am Vertrag von Lissabon zu kritisieren war und ist, in voller Schönheit als dem Grundgesetz übergeordnetes Recht auf den Tisch.
- Die geforderte Änderung des Begleitgesetzes bezieht sich nicht auf wirksame Rechtssetzungen des Lissabon-Vertrages, sondern nur auf deren künftige Weiterentwicklung. Das heißt: Nur Änderungen am Vertrag oder die Erweiterung von Zuständigkeiten der EU erfordern die förmliche Zustimmung von Bundestag und Bundesrat.
- Außerdem schließt das Gericht aus, dass sich die EU selbst Kompetenzen gibt.
Bei Licht besehen handelt essich bei den Auflagen des Verfassungsgerichts um unsäglichunpraktische Konstruktionen.
Die Vorgehensweisen fürdie Änderung des Lissabonvertrags und die Erweiterung derKompetenzen der EU sind in diesem niedergelegt. Diese wichtigenVertragsbestandteile können wohl kaum durch ein deutschesBegleitgesetz ausgehebelt werden. Also werden die Räte undKommissare aller 27 Mitgliedsstaaten nach den neuen MehrheitsregelungenÄnderungen beschließen, wie ihnen das nach EU-Rechtkünftig zusteht.
Sollten Bundestag oder Bundesratim Einzelfall einer Vertragsänderung oder Kompetenzerweiterungnicht zustimmen, wird die EU das nicht weiter kratzen.
Die einzige Möglichkeit,den abweichenden Willen des deutschen Parlaments durchzusetzen,das ja leider schon heute überwiegend nur noch zum Abnickenund Umsetzen von EU-Recht antritt, bestünde darin, dassdie Regierung den Austritt aus der EU beschließt. Denngegen die Mehrheit der übrigen Mitgliedsstaaten kann sie- nach den neuen Regelungen des Vertrags von Lissabon - keinwirksames Veto mehr einlegen.
Folglich wird der DeutscheBundestag seine Irlandisierung erleben. Stimmt er im ersten Anlaufden Entscheidungen der EU nicht zu, wird eben noch einmal abgestimmt.Nötigenfalls so lange, bis das gewünschte Ergebnisherauskommt.
Der EUGH verhängt derweilals begleitende Maßnahme Strafen gegen Deutschland, wegenMissachtung der Beschlüsse des Europäischen Rates undder Europäischen Kommission und hat gute Chancen, die widerborstigendeutschen Parlamentarier damit auf den rechten Weg zu bringen.
Letztlich ist das alles abernur dann von Belang, wenn die Mehrheit in Brüssel von derZustimmung Deutschlands abhängig ist.
Solange sich eine Mehrheitgegen Deutschland einig ist, wird die Ablehnung des Bundestagesvermutlich keine rechtliche Wirkung für die EU entfaltenkönnen.