Ist es zu 90 % sicher, dass der DAX auf 4.150 Punkte fällt? Viele Chartisten und Analysten beschreiben zurzeit eine Schulter-Kopf-Schulter-Formation (SKS) im DAX. Ein Traderkollege, mit dem ichgestern essen war, sagte: Bis April habe ich ganz gut verdient, seitdemläuft nichts mehr. Ein andere Kollege, der Aktienmarktanalysenerstellt, schreibt: „Die Entwicklung des Aktienmarktes in denletzten Wochen ist total unbefriedigend für Trader, die handelnwollen. Aber es macht keinen Sinn, am besten Sie fahren in dieSommerferien.“
Ich denke, das gibt sehr schöndie aktuelle Stimmung der kurzfristig orientierten Trader wieder. Klar,wir sind im DAX seit Anfang Mai in einer sehr engen Seitwärtsrangegefangen. Starke Kursbewegungen werden zurzeit fastausschließlich durch Nachrichten oder Konjunkturdaten verursacht,sind also Zufälligkeiten unterworfen.
Wahrscheinlich hat mein Kollege alsorecht: In solchen Phasen sollte man lieber in den Urlaub fahren,andererseits ist auch das wieder typisch für Miss DAX. Sieschläfert ihre Jünger zunächst ein, nur um dann dieKeule rauszuholen.
Die Schulter-Kopf-Schulter-Formation
Viele Chartisten und Analysten beschreiben zurzeit eine Schulter-Kopf-Schulter-Formation (SKS) im DAX. Heute Morgen habe ich sie sogar bei n-tv gesehen. Allerdings gibt es mit dieser SKS einige Probleme:
Deutlich erkennt man die rechteSchulter, den Kopf, der etwas höher als die linke Schulter gehtund die kleinere rechte Schulter. Wenn nun die blaue Nackenliniebricht, wird es bearish, denn das Kursziel aus dieser Formation liegtbei ca. 4.150 Punkten. Dort befindet sich auch noch ein offenes Gap(Kurslücke) im DAX (grünes Rechteck), das mit Erreichen desKursziels geschlossen werden könnte. Die charttechnische Weltscheint perfekt.
Selbst der Umsatz stimmt, beinahe
Zunächst kam es in der linken Schulter zu einem kleinenUmsatzanstieg, das entspricht den Voraussetzungen. Auch zum Kopf hinist ein leichter Umsatzanstieg zu erkennen. Das könnte man noch sogerade durchgehen lassen, zumal es zum Verfallstag hin zu einerVerzerrung kommt. Dieser Verfallstag verhindert auch eine weitereUmsatzanalyse in der rechten Schulter.
Insgesamt ist es damit aus Sicht der Umsatzanalyse nicht sicher, ob es sich um eine Schulter-Kopf-Schulter-Formationhandelt. Aber diese Kursentwicklung ist auf jeden Fall als kleineTop-Formation gefährlich - unter anderem auch, weil das Kurszielidealerweise genau bis zur grünen Kurslücke reicht.
Der weitere Verlauf
Damit die mögliche SKSbestätigt wird, muss nun die blaue Nackenlinie nach untengebrochen werden. Am besten ist es, wenn anschließend diese Linienoch einmal von unten getestet wird und die Kurse daraufhin wiedereinbrechen. In diesem Fall hat man normalerweise eineWahrscheinlichkeit von bis zu 90 %, dass das Kursziel erreicht wird!Damit ist die SKS in der Charttechnik die Formation mit derhöchsten Eintrittswahrscheinlichkeit.
Ein großes „Aber“
Aber das gilt für Fälle, indenen die SKS nach einem großen, anhaltenden Trend entsteht. Nun,die Erholung des DAX von seinem Tief war schon eine beachtlicheAufwärtsbewegung, keine Frage. Es gibt dabei nur ein klitzekleinesProblem:
SKS-ähnliche Formationen tauchen sehr gerne in Erholungsrallys auf, die einem stärkeren Einbruch folgen.
Dazu ein paar Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit des DAX:
Nach den Anschlägen am11.September (linker Chart), der ein externer Schock für dieBörsen war, erholten sich diese und gingen dann zum Jahreswechselin eine SKS-ähnliche Formation über. Die Nackenlinie wurdegebrochen, von unten getestet, und trotzdem wurde das Kursziel nichterreicht. Stattdessen kam es zu einer kleinen Zwischenrally, und erstnach einem neuen Hoch brachen die Kurse erneut ein. Charttechnisch wardiese Zeit, so kann man sagen, ein Desaster.
Die Bankenkrise war für dieMärkte mit der Lehmann-Brothers-Pleite ebenfalls eine Art externerSchock. Insoweit besteht in gewisser Weise auch eine methodischeVergleichbarkeit.
2005 (rechter Chart), also in dergroßen Erholungsbewegung vom Tief 2003 an, kam es auch zu einersehr kleinen SKS-Formation. Diese wurde mit einem Gap Down unter dieblaue Nackenlinie bestätigt. Doch auch hier wurde das Kurszielnicht erreicht. Es kam sogar auch zu einem Retest an die Nackenlinie,doch direkt anschließend zogen die Kurse massiv an. Wieder einFehlsignal.
Kurz vor dem Tief im Jahr 2003 gabes eine der vielen Bärenmarktrallys in dem 2000/2003er Crash. Esbildete sich eine SKS oder eine SKKS (also eine SKS mit zweiKöpfen). Hier wurde die Nackenlinie ebenfalls von unten getestetund anschließend wurde auch das Kursziel erreicht. Hier hat esgestimmt.
Nach dem Crash 1998 (rechter Chart) kames zum Jahreswechsel auch zu einer Art SKS. Hier fehlte aber schon derBruch der Nackenlinie, so dass die SKS gar nicht erst bestätigtwurde.
Fazit
SKS-ähnliche Formationenscheinen also nach Crashs mit stärkeren Gegenbewegungen und inBärenmarktrallys gerne aufzutauchen. Doch besonders in diesenBärenmarktrallys sollte man vorsichtig sein. Es scheint, dass diehohe Eintrittswahrscheinlichkeit nur für die Fälle gilt, indenen sich eine SKS tatsächlich nach einem großenMajor-Trend bilden.
So deutlich also diese SKS im DAXauch ist, so gefährlich ist sie in der aktuelle Situation. Unddabei kann man sie im S&P500 und auch im Dow-Jones ebenfallserkennen. Das war der Grund, warum ich mir in letzter Zeit denNasdaq100 angeschaut habe, um zu sehen, ob sich auch dort eineUmkehrformation ausbildet.
Natürlich kann man bei diesenSKS-Formationen nach dem Bruch der Nackenlinie auf das Kursziel traden.Doch sollte man bei der Positionsgröße vorsichtig sein undsich nicht von der allgemein angegebenen hohenEintrittswahrscheinlichkeit verleiten lassen, zu viel zu riskieren.Zumal mittlerweile wirklich auch jeder Chartanfänger dieseFormation erkennen kann. Kurz: Nein, es ist nicht zu 90 % sicher, dassdie 4.150-Punkte-Marke nach dem Bruch der Nackenlinie erreicht wird.
Steffens Daily --->stockstreet.de