Die Europäische Union nimmt, etwa für Stützungskredite an Staaten, zum Teil Schulden ohne ausreichende Rechtsgrundlage auf. Zu dieser Schlussfolgerung gelangt eine Studie des in Freiburg ansässigen Centrums für Europäische Politik (CEP), die der Börsen-Zeitung vorliegt (Dienstag-Ausgabe).
Die in den siebziger Jahren begonnene Praxis der EU, zur Verfolgung bestimmter politischer Zwecke Schulden aufzunehmen, findet nach Einschätzung des CEP im geltenden EU-Recht keine Stütze.
Ob die durch Verschuldung erlangten Mittel als Eigenmittel oder als sonstige Einnahmen zu qualifizieren seien, spiele dafür keine Rolle, heißt es in der Analyse. Ebenfalls ohne Relevanz sei, ob die Verschuldung dem allgemeinen Haushaltsausgleich oder der Verfolgung spezifischer, mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang stehender Ziele diene, betont Thiemo Jeck, wissenschaftlicher Referent am CEP, in seiner Untersuchung. Seiner Ansicht nach wird zu Recht für die EU ein „striktes Verschuldungsverbot angemahnt“.
Soweit Darlehen zur Stützung der Zahlungsbilanz von Mitglied- oder Drittstaaten über Anleihen finanziert würden, überschreite die EU ihre Kompetenzen, streicht Jeck heraus. Dies gelte auch für die finanzielle Nothilfe der angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise Anfang 2009 an Ungarn (6,5 Mrd. Euro), Lettland (3,1 Mrd. Euro) und Rumänien (5,0 Mrd. Euro) vergebenen Darlehen, für die von der EU zum Teil bereits Anleihen emittiert worden seien. Umso schwerer wiege, dass die EU den Rahmen für solche Darlehen erst vor kurzem auf 50 Mrd. Euro erweitert habe.
Als rechtswidrig haben laut der CEP-Studie auch EU-Anleihen zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten zu gelten. Erst Recht ohne rechtliche Grundlage wäre schließlich, wie Jeck betont, eine Verschuldung zum Zweck des allgemeinen Haushaltsausgleichs – die immerhin, im Gegensatz zu den zuvor genannten Maßnahmen, in der Praxis bisher noch nicht vorkommt.
Allerdings moniert das CEP in seiner Expertise nicht nur das Fehlen der Rechtsgrundlage für derartige EU-Emissionen. Vielmehr zeigt die Studie auch den Weg aus dem Dilemma auf. Als einzige Möglichkeit der EU, politisch erwünschte Projekte über Anleihen zu finanzieren, sieht der CEP-Experte die Einschaltung der Europäischen Investitionsbank. Denn dieser räume der EG-Vertrag eine Befugnis zur Ausgabe von Anleihen ausdrücklich ein, erläutert Jeck.
Das CEP analysiert Politikvorhaben der EU nach ökonomischen und juristischen Gesichtspunkten. Über 80% der für die Bundesrepublik geltenden Rechtsvorschriften haben inzwischen ihren Ursprung in Brüssel. Träger des CEP ist die Stiftung Ordnungspolitik, die sich den ordoliberalen Gedanken der Freiburger Schule verpflichtet fühlt.