Der Parlamentarische Staatssekretär imBundesumweltministerium und frühere Sprecher der SPD-Linken in derBundestagsfraktion mahnt seine Partei zu einem inhaltlichen undpersonellen Neuanfang. In einem Gastbeitrag für WELT ONLINE schreibtMüller, es sei „die Tragik der SPD, dass jetzt die Brandstifter vongestern die Feuerwehr spielen wollen, aber die Streichhölzer nicht ausder Hand gelegt haben.“
Die SPD sei bei der Bundestagswahl„auch abgestraft worden, weil sie Fehler gemacht hat“. „Die Altlastender elfjährigen Regierungszeit zeigten massive Wirkung. Das Trauma derSPD ist die Agenda 2010, die nunmehr auf die Frage ja oder neinreduziert wird“, schreibt der SPD-Politiker.
Zweifellos habe die rot-grüneBundesregierung „auch neoliberale Rezepte“ genutzt. „Die Folgen wirkenbis heute nach“, so Müller. „ Aber es war keine neoliberale Politik,dieser Vorwurf ist absurd. Doch eine echte Aufarbeitung hat es bisheute nicht gegeben.“
Doch die entscheidende Ursache für dasschlechte Abschneiden der SPD liege in erster Linie in derEntpolitisierung der Gesellschaft. Die Sozialdemokratie könne nur ineiner Gesellschaft stark sein, die Politik nicht auf die Schlacht umSymbole, Stimmungen und Inszenierungen reduziere. „Die Sozialdemokratiemuss aufklären, den politischen Diskurs fördern und fordern, statt„Basta“ zu sagen“, schreibt Müller auf WELT ONLINE. Insofern spieglesich in der Entpolitisierung der Gesellschaft, die auch von der SPDmitbetrieben wurde, die Krise der Sozialdemokratie wider.
Es sei dringend notwendig, mehr Politikzu wagen, nicht nur um die Sozialdemokratie zu stärken, „sondern auchum unser Land zu modernisieren“. Deutschland sei in den Strudel „tiefgehender Umwälzungen“ geraten, zumal die Folgen der Krise noch langenicht bewältigt seien.
„Doch die Einsicht und die Bereitschaftzu Reformen, die vor einem Jahr, als es zum Zusammenbruch desWeltfinanzsystems kam, noch da war, sind längst wieder verflogen“,schreibt Müller. Die harten Fragen aber seien geblieben: hoheVerschuldung, soziale Umbrüche, aufgetürmte Altlasten und niedrigeWachstumsraten.
„Wir stehen vor einem Jahrzehntmassiver Verteilungskämpfe. Hinzu kommt der ökologische Umbau, dernicht länger warten kann. An dieser Wegscheide kommt es entweder zueiner sozialökologischen Reformpolitik oder zu einem Niedergang –Nachhaltigkeit oder Verteilungskämpfe“, so der SPD-Politiker.
Parteien können überflüssig werden,warnt Müller. Das gelte auch für die SPD. Doch allein der europäischeSchreckensweg des 20. Jahrhunderts verbiete es, der Frage auszuweichen,ob die wichtigsten Aufgaben, die sich heute stellen, wieder an dieSozialdemokratie gerichtet seien. „Demokratie und Reformen sind inunserem Land nur möglich, wenn es eine starke Linke gibt, die weit indie Mitte der Gesellschaft hineinwirkt“, schreibt Müller.
Die SPD müsse sich darauf besinnen, denungestümen Kapitalismus zu bändigen, Armut und Naturzerstörung zustoppen, Gemeinsinn und Gerechtigkeit zu stärken und die kolonialen undmilitärischen Denkweisen in Schranken zu verweisen. „DieSozialdemokratie muss sich darauf besinnen, dass sie eine großeTradition als Partei der sozialen Demokratie hat. Diese Idee ist nichtüberholt. Aber sie braucht neue Antworten“, schreibt der SPD-Politiker.