Sharjah. Schiffe aus Somalia. Die Stadt gilt als "ursprünglich".
Wenn die Tage dunkler werden in Europa, zieht es mich zur Sonne. Also rein ins Flugzeug und ab zum Golf. Dieses Mal aber nicht Dubai, sondern Sharjah, die nördliche Nachbarstadt von Dubai.
Das Zimmer, eine Energie-Sparlampen-Hölle. Überall Kacheln, es hallt bei jedem Schritt. Es riecht ein wenig muffig. Fenster gehen nicht auf.
Jetzt noch schnell ein kleiner Snack und ein Glas Wein. Unten an der Rezeption erkundige ich mich, ob noch eine Bar offen ist für einen Absacker. Fehlanzeige. Sharjah ist alkoholfrei, bedeutet mir streng der Concierge. Fusel gibt es nur in Dubai. Ob das der Russe weiss, der gerade neben mir eincheckt? Im Reiseführer steht's jedenfalls nicht.
Vollkommen nüchtern begebe ich mich wieder in Richtung Stube. Auf dem Weg sehe ich eine Tür, die offenbar nach draußen führt. Jetzt noch ein bisschen laue Sommerluft atmen – eine gute Idee.
Ich öffne die Tür und habe einen herrlichen Nachtblick über die Stadt. Nach einigen Minuten möchte ich zurück, doch die Tür ist verschlossen. Lässt sich offenbar nur von innen öffnen.
Ich versuche, mit der Scheckkarte den Verschluss zu knacken. Vergeblich.
Da stehe ich nun, nachts um 2 – die Stadt liegt mir zu Füßen, das Hotel verschlossen.
Klopfen, Rütteln, Schütteln, alles vergebens. Einziger Ausweg: Die zwölf Etagen per Aussentreppe nach unten latschen.
Daß diese Treppe schon seit Jahren keinen Menschen gesehen hat, verraten Dreck, Staub und Vogelleichen. Guten Mutes steige ich dennoch ab.
Unten angekommen war die Überraschung groß: Statt eines Ausgangs endet die Treppe im dritten Stock auf einem Dach. Dieses ist umgeben von einer 2 Meter hohen Mauer. Ich blicke am Gebäude hoch: Keine Fenster, nur eine 100m hohe Betonwand und eben die Aussentreppe. Das könnte brenzlig werden.
Schnell wird mir die Situation klar: Ich befinde mich quasi in einem Open Air Gefängnis. Hier kann mich niemand sehen. Auf dem Boden Vogelskelette. Mir schwant Böses, sehe mich schon ebenfalls hier verenden, verdurstet und verdörrt. Wer soll mich hier finden? Die Situation sieht absolut hoffnungslos aus. Stoff für einen Albtraum.
Auch im Dritten Stock gibt es eine Notausgangtür. Aber auch diese ist von Außen nicht zu öffnen. Ich hämmere, klopfe, brülle. Nichts tut sich. Was tun??? Mein Blick wandert zur Mauer. Was mag wohl dahinter verborgen sein?
Mit letzter Kraft ziehe ich mich James-Bond-mässig an der 2 Meter hohen Mauer hoch, in der Hoffnung, in Rufweite Menschen zu alarmieren. Ich schramme mit den Armen an der Wand nach oben, stemme mich auf den Mauerabsatz und: blicke schwindelnde 10 Meter tief in einen stockfinsteren unbelebten Innenhof. Diese Aussichtslosigkeit nach Hilfe lies die Kraft in meinen Armen fast schwinden.
Was tun?
Der Verzweiflung nahe brülle ich: „Can anybody hear me?“ - Keine Antwort. Während meine Arme den Oberkörper auf dem Mauerabsatz hielten, baumelten die Beine filmreif an der Wand.
Nochmal: „Hello, Hello! This is an emergency! Can anybody hear me?“
Leider ist mir arabisch fremd, aber an meiner Stimme, nachts um zwei, müsste eigentlich jeder erkennen, dass es hier um Leben und Tod geht. Doch mein Ruf verhallt ungehört. Das verwundert wenig.
Doch dann: Irgend jemand sagt: „Yes I can hear you.“ Das kommt einem Wunder nahe.
Ich versuche dem Hörer die Situation zu schildern und hoffe, dass er nicht glaubt, dass er es mit einem Wahnsinnigen zu tun hat.
Dann geht eine Tür im Hof auf und zu. Ich warte Minuten, immer noch auf die Mauer gestemmt. Nachdem die Kräfte langsam nachlassen und ich die Hoffnung aufgebe, geht unten das Licht an. Hotelpersonal. Nochmal erkläre ich mit letzter Kraft, was los ist und bitte höflich darum, dass mich hier jemand befreit.
Dieser Wunsch wurde zwar nicht bestätigt – aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ich gehe auf dem ummauerten Dach hin und her, denke noch mal alle Möglichkeiten durch, die ich jetzt habe. Es waren allerdings nicht viele: nämlich eigentlich gar keine.
Minuten später öffnet sich die Nottüre. Etwas verwundert mustert mich das Sicherheitspersonal, beäugt mich zweifelnd von oben bis unten. Total verstaubt, verschwitzt und an den Armen leicht blutend sehe ich nicht gerade wie ein Hotelgast aus. Ich erzähle von meinem nächtlichen Mißgeschick und werde ins Haus gelassen. Mir fällt ein Stein vom Herzen.
Die Türen lassen sich nicht von außen öffnen – aus Sicherheitsgründen, erklärt mein Retter. Die Frage, ob hier schon mal arglose Touristen draußen umgekommen seien, wurde mit „Nein“ beantwortet.
Als Verbesserungsvorschlag schlug ich ein großes Warnschild an den Nottüren vor. „Ausgang ohne Wiederkehr“.
Vollkommen erschöpft falle ich ins Bett. Doch die Ruhephase sollte nicht lange dauern. Plötzlich schrecke ich senkrecht in die Federn. Wie ein Donnerhall schreit der Muezzin durch das schallgedämpfte Fenster.
Es ist halb fünf morgens. Ich blicke nach draußen und sehe eine Moschee. Die Emissionsquelle ist also identifiziert. Zwar muss es sich um einen riesigen Lautsprecher handeln, nur leiser drehen kann man ihn leider nicht. Während ich im Halbschlaf zum Telefon greife, frage ich mich noch „was war eigentlich zuerst da, die Moschee oder das Hotel?“
Ich weise die Rezeption an, die Lärmquelle abzustellen. Doch erhalte ich nur fernmündliches Bedauern: Die Moschee war leider zuerst da.