Das Jahr 2009 hat Marktbeobachter, Volkswirte und Politiker auf vielen Ebenen überrascht. Nachdem die wissenschaftlichen Eliten zu Beginn des Jahres die Wachstumsprognosen für Deutschland und die Welt aggressiv nach unten nahmen, sahen sich diese Profis ab dem 2. Quartal 2009 mit einer gänzlich anderen Realität konfrontiert.
Derzeit befinden wir uns in der Phase des „Nachbesserns“ der Prognosen. Dieser Prozeß ist aktuell noch nicht abgeschlossen. Das erinnerte stark an das erste Quartal 2008. Seinerzeit wurden die Konjunkturprognosen für Deutschland und die Welt aggressiv nach oben angepaßt, um dann im weiteren Jahresverlauf sukzessive Revisionen zum Opfer zu fallen, die insgesamt als markant zu bewerten waren.
Schlußendlich läßt sich feststellen, daß wissenschaftliche Prognosen zu den kritischen Zeitpunkten nicht belastbar waren. Das galt für den Beginn der konjunkturellen Krise als auch für das Ende der ökonomischen Talfahrt.
Es wäre überaus fahrlässig, vor diesem Hintergrund zum Tagesgeschäft überzugehen. Vielmehr gilt es, zu hinterfragen, warum diese wissenschaftlichen Prognosen so wenig belastbar waren oder sind.
Die „moderne“ Volkswirtschaftslehre fokussiert sich stark auf mathematische Ansätze. Es gibt zwei wesentliche Grundvoraussetzungen für diese Lehre.
So basiert diese „moderne“ Lehre auf der Annahme, daß es den „Homo Oeconomicus“ gibt. Dieser „Homo Oeconomicus“ bezeichnet ein Wirtschaftssubjekt, das seine Entscheidungen basierend auf rationaler Handlungsweise und vollständiger Information, eigeninteressiert und Nutzen maximierend trifft. Dieser Anspruch ist bezüglich zweier Aspekte ambitioniert.
Vollständige Information zu erlangen, ist heute trotz (oder wegen) der Informationsgesellschaft illusorisch. Rational agierende Wirtschaftssubjekte sind mir in meinem Berufsleben nur selten begegnet. Im Gegenteil waren sie in entscheidenden Momenten entweder zu euphorisch oder zu depressiv. Ergo ist diese Grundvoraussetzung der „modernen“ Lehre grundsätzlich eine Fehlannahme.
Die zweite Annahme unterstellt, daß Märkte effizient seien. Märkte liefern immer einen Gleichgewichtspreis unter den gegebenen Bedingungen. Sie sind deswegen noch lange nicht effizient in der Allokation der Produktionsfaktoren. Im Gegenteil beweisen die Krisen alleine in diesem neuen Jahrtausend, daß es Märkten offensichtlich an Effizienz mangelt. Wie hätte es ansonsten zu einer Krise des „Neuen Markts“ oder des US-Immobilienmarkts kommen können?
Wenn zwei Grundvoraussetzungen der „modernen“ Lehre Fehlannahmen sind, darf es nicht verwundern, daß die Resultate in Extremsituationen nicht belastbar sind. In einer durchschnittlichen konjunkturellen Entwicklung, die nicht von Exzessen geprägt ist, kann dieser Ansatz belastbare Ergebnisse produzieren, da dann überwiegend rationales Verhalten der Wirtschaftssubjekte dominiert und Märkte zumindest zu wesentlichen Teilen effizient sind.
Neben der „modernen“ Lehre gibt es Alternativen. Wenden wir uns der „alten“ Lehre der „Österreichischen Schule“ zu. Diese Lehre geht zurück auf Carl Menger (1840 – 1921, u.a. Grenznutzenlehre). Diese Schule stellt das Wirtschaftssubjekt und die Befriedigung seiner Bedürfnisse in den Vordergrund. Die Mathematik spielt eine untergeordnete Rolle. Verbale Logik oder vereinfacht ausgedrückt „Gesunder Menschenverstand“ ist ein wesentlicher Baustein. Dieser Lehransatz fand in den letzten 40 – 50 Jahren kaum noch ein Echo, weder an den Universitäten noch in den Medien.
Nach den Erfahrungen im neuen Jahrtausend und der damit einhergehenden faktischen Entzauberung der Mathematik in der Volkswirtschaftslehre sind neue Wege zwingend erforderlich. Dabei ist die mathematische Ausformung der VWL nicht grundsätzlich zu negieren. Sie ist aber in jedem Fall zu ergänzen. Der gesunde Menschenverstand, der sich hier via der „Österreichischen Schule“ anbietet, ist eine zu nutzende Steilvorlage.
Schematisiert läßt sich die „Österreichische Schule“ als These definieren. Die „moderne“ Lehre darf die Rolle der Antithese spielen. Die Synthese ist die Kombination der beiden Ansätze. Ohne die „Österreicher“ geht es aber definitiv nicht, wenn belastbare Resultate auch in Extremsituationen geliefert werden sollen, da Menschen, die wirtschaftliche Entscheidungen treffen, nicht solitär „mathematisch“ funktionieren.
Es gibt einen weiteren Aspekt bei volkswirtschaftlichen Prognosen, der aktuell und auch nach vorne schauend von erhöhter Tragweite ist. Es geht um den Begriff der konjunkturellen Zyklik. Es geht um die Frage, ob in den ökonometrischen Modellen, die aktuell verwendet werden, diesem Aspekt die notwendige Aufmerksamkeit zukommt.
In der nachfolgenden Darstellung vereinfachen wir im Hinblick auf Zeitabläufe und Konjunkturverläufe, um die Problematik augenfälliger zu gestalten.
In der Phase nach dem 2. Weltkrieg bis zum Ende des Jahrhunderts stellte sich überwiegend ein heterogener globaler Konjunkturzyklus ein:
- Die Vereinigten Staaten wuchsen, Europa stagnierte und Asien legte kräftig zu
- oder die Vereinigten Staaten durchliefen eine Rezession, Europa war stabil, während Asien zulegte.
Diese unterschiedlichen Konjunkturlagen in der Weltwirtschaft wirkten innerlich stabilisierend, da sie sich grundsätzlich nicht gegenseitig in einem Maß verstärkten, das übergreifende Krisenszenarien forcierte.
Mit der Globalisierung kam es zu einem homogeneren Zyklus der Weltwirtschaft. Mit der Öffnung des Ostens nach 1990 ergaben sich nachhaltige Wachstumspotentiale, die im neuen Jahrtausend unter anderem dank der massiven Verstärkung durch die Geldpolitik der FED zu überproportionalem Wachstum in homogener Form führten.
Die homogenere Zyklik hatte in der Aufschwungphase Beschleunigungseffekte. Diese Effekte wirken jedoch noch nachhaltiger in der konjunkturellen Abschwungphase.
Vereinfacht ausgedrückt, alle wollen rein oder alle wollen raus. Ergo erhöht sich die konjunkturelle Volatilität. Die aktuelle wissenschaftliche Prognosequalität impliziert, daß diese deskriptiven Aspekte in den Prognosen zu wenig Berücksichtigung fanden.
Zusammenfassend bleibt zu sagen, daß eine Neuausrichtung im Rahmen des Qualitätsmanagements der Prognosen zwingend erforderlich ist. Die „Österreichische Schule“ verdient es, eine wesentliche Rolle zu spielen. Ein Blick auf die Veränderungen der globalen Konjunkturzyklik mit entsprechenden Folgen für die Dynamik und Dauer der Zyklen ist unverzichtbar!