Der Chauffeur zieht mich per Moped im offenen Wagen durch den Dschungel. In der Ferne ragen die Türme von Angkor Wat aus den Baumwipfeln. Dieses Wahrzeichen des einst so mächtigen Volkes der Khmer. Kaum zu glauben, dass hier die größte Stadt der Welt existierte Kommandozentrale des größten Reiches in Südost Asien.
Davon ist nichts mehr übrig. Kambodscha, eines der ärmsten Länder der Welt. Die erbärmlichsten Hütten am Wegesrand. Bemitleidenswerte Kinder davor. Kaum irgendwo auf diesem Planeten sieht der Besucher größere Hoffnungslosigkeit.
Manchmal rast ein Touristenbus Richtung Ruinen, vorbei an diesen Menschen und dieser Armut, welche der air conditionierte Globetrotter begafft wie in einem Zoo.
Kambodscha: ländliche Gegend bei Seam Reap
Wir halten an einem Kloster. Eine gelb orange Pagode schimmert durch die tropische Vegetation. In der Umgebung die üblichen Hütten. Ich steige aus und bitte einen jungen Mönch, mir den Ort zu zeigen. Wie auf Bestellung und als hätte er darauf gewartet führt mich Sukeo (sein Name) durch die Stätte.
So ein buddhistisches Kloster ist nicht nur ein Ort der Meditation. Es dient auch als Auffangstelle für die Ärmsten der Armen. In den Hütten liegen sie dicht an dicht, einzig getrennt durch alte Stofffetzen, die von der Decke herunterhängen. In den Ecken einige Habseligkeiten.
Die Menschen aber machen keinen unglücklichen Eindruck. Sie blicken mich interessiert und freundlich an. Besucher sind hier offenbar selten. Jemand offeriert Bananen. Ich traue mich kaum, eine anzunehmen.
Auf dem Sandboden draußen auf dem Hof sehe ich zu meiner größten Überraschung einige zerfetze Geldscheine. Ein paar Tausend Riel liegen zerrissen auf dem Boden. Umgerechnet zwar nur ein Euro, wundert mich aber trotzdem.
Vielleicht hat ein Hund die Noten verstümmelt? Ich frage Sukeo, ob sie immer so achtlos mit Geld umgingen. Bedeutet ihnen Geld nichts?
Die Antwort: „We have no money, we have time! - Time is more important!" Gegen diese Logik hatte ich nun wirklich nichts einzuwenden. Immerhin ist das etwas, von dem ein Europäer praktisch gar nichts hat. Zeit. Zeit oder Geld. Was ist eigentlich wichtiger?
Die Dämmerung naht. Als ich Abschied nehmen will, fragt Sukeo: „Where is your sunset today?"
Mich schockiert die Selbstverständlichkeit und die Liebenswürdigkeit, mit der diese Frage gestellt wurde.
Während ich noch darüber nachdenke, was ich sage, bekomme ich die besten Ratschläge, von wo aus man den Sonnenuntergang optimal beobachten könne.
In einer Welt ohne Tagesschau und Internet, ohne Strom und Stress, hat ein Sonnenuntergang einen beachtlichen Wert. Und er wäre sicherlich schön gewesen an diesem Tag.
Doch ich musste das Angebot ablehnen. Ich hatte keine Zeit.