Die jüngsten Spannungen auf dem Markt für europäische Staatsanleihen verweisen auf die Probleme einer Währungsunion ohne gemeinsame Wirtschaftsregierung. Eine unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit führt zu internen Ungleichgewichten und Zweifeln der Finanzmärkte an der Zahlungsfähigkeit mancher Länder. Weil eine vollwertige Wirtschaftsregierung beim Start der Euro-Zone nicht machbar war, schloss man als vorläufige Lösung den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Ich schlage vor, einen Schritt weiterzugehen und ein gemeinsames Finanzministerium oder eine Europäische Schuldenagentur für die Eurozone zu gründen.
Diese Agentur, kurz als EDA bezeichnet (vom englischen European Debt Agency), sollte eine Einrichtung der EU sein, die sich um die Ausgabe und Verwaltung der Regierungsschulden der Eurozone kümmert. Die EDA würde den Finanzministern der Euro-Gruppe unterstehen. Die Europäische Investmentbank könnte als Sekretariat der Agentur auftreten. Die EDA würde die bestehenden Schuldtitel übernehmen und neue herausgeben, sofern der Ecofin-Rat für Wirtschaft und Finanzen und die Euro-Gruppe zustimmen. Diese Mittel würden dann auf die Mitgliedsstaaten übertragen.
Was die bestehenden Schulden betrifft, würde die EDA Unterschiede zwischen den Schuldnern machen: Die Mitgliedsstaaten würden auch künftig unterschiedliche Zinssätze zahlen, die ihrem Kreditrating entsprechen. Neue Schuldtitel würden dagegen einem einheitlichen Zinssatz unterliegen. Wenn alte Schuldtitel auslaufen und durch neue ersetzt werden, würden die einzelnen Staatsschulden der Euro-Zone zu einer einheitlichen Schuld werden – was unterstellt, dass jeder Mitgliedsstaat stillschweigend die Schulden aller anderen garantiert.
Die Schaffung einer solchen Agentur hätte mehrere Vorteile: Erstens wäre die EDA ein Instrument zur besseren Durchsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Nach Vereinbarung eines Defizitziels für einen Mitgliedsstaat in Euro-Gruppe und Ecofin-Rat würde die EDA Schulden in Höhe des vereinbarten Defizits aufnehmen. Wenn das betreffende Land seine Verpflichtungen aus dem Pakt nicht einhält, könnte es vor der abschreckenden Aufgabe stehen, sich darüber hinaus Mittel auf dem Kapitalmarkt zu beschaffen, wo es aufgrund des wahrgenommenen höheren Risikos wegen der Nichteinhaltung des Pakts höhere Zinssätze zahlen müsste. Das würde zu einer wirklichen Strafe für die Nichteinhaltung des Pakts führen.
Zweitens würde es die EDA ermöglichen, einen tatsächlichen europäischen Binnenmarkt für Staatsschulden ins Leben zu rufen. Dieser riesige Markt würde zu einem beträchtlichen Liquiditätsgewinn führen und sowohl den Geldgebern als auch den Regierungen Vorteile bringen, da er geringere Zinssätze zur Folge hätte. Die kleineren Mitgliedsstaaten, von denen die meisten das Problem geringer Liquidität haben, würden am meisten profitieren, aber auch größere Staaten hätten einen Nutzen durch die geringeren Zinssätze.
Drittens wäre die EDA ein wichtiges und sichtbares politisches wie finanzielles Symbol eines einheitlichen europäischen Markts für Staatsanleihen. Das wiederum könnte die Rolle des Euro auf dem Weltmarkt verbessern – und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem Länder mit bedeutenden Überschüssen nach Alternativen für ihre Dollaranlagen suchen.
Aufgrund des Umfangs der von ihr verwalteten Schulden könnte die EDA eine gewisse Rolle hinsichtlich der Zinsstruktur in der Euro-Zone und beim Management der Wechselkurse der weltweit wichtigsten Währungen spielen.
Man könnte sogar noch ehrgeiziger sein und der EDA zwei weitere Aufgaben übertragen: Sie könnte eine Finanzierungsmöglichkeit für transeuropäische Infrastrukturprojekte und ein Instrument für eine antizyklische Steuerpolitik sein. Das könnte dem EU-Haushalt die wirklich unabhängigen Mittel verschaffen, die ihm derzeit fehlen – und zwar unter vollständiger Berücksichtigung beschränkter steuerlicher Möglichkeiten von Mitgliedsstaaten.
Mir ist klar, dass nicht alle Mitglieder der Euro-Zone und auch nicht alle Staaten, die kein Mitglied sind, dieselbe Begeisterung für das Konzept einer EDA aufbringen würden. Sie hätte zur Folge, dass bedeutende nationale Macht auf eine Gemeinschaftseinrichtung übertragen würde.
Die EDA widerspricht auch dem Prinzip der „No bail out“-Klausel des Vertrags von Maastricht, die es verbietet, dass ein Euro-Land für die Schulden eines anderen haftet. Allerdings könnten die Finanzmärkte die Länder der Euro-Zone auch ohne eine EDA zu einem solchen solidarischen Verhalten zwingen. Es wäre besser, diesen Prozess zu kontrollieren und die EDA zu nutzen, um das Stabilitätsprogramm durchzusetzen.
Das Konzept einer Europäischen Schuldenagentur ist nicht nur ein wirtschaftliches sondern auch ein politisches Projekt für Europa. Es plädiert für einen engeren Zusammenschluss der EU auf der Grundlage des Euros, des größten wirtschaftlichen Erfolgs Europas. Es gibt spezifische Antworten auf typisch europäische Fragen: welchen Umfang soll die Subsidiarität haben, wie stark sollen Zusammenhalt und Zusammenarbeit zwischen Mitgliedsstaaten sein und welche interinstitutionellen Regeln sollen gelten. Im Einklang mit der Tradition des Aufbaus Europas sind die Antworten wahrscheinlich bereits bekannt: Wie bei jedem neuen Schritt hin zu einer intensiveren europäischen Integration geht es um den wahrgenommenen wirtschaftlichen Vorteil in Kombination mit dem politischen Willen.