„Inflation zerstört die Demokratie sowie den Glauben an den Staat“, so Henrik Müller in einem Kommentar, der bei Spiegel Online zu lesen war. (Spiegel) Müller weiter: „Doch niemand sollte glauben, die Entwertung des Geldes sei ein eleganter und schmerzloser Weg, die aktuellen und künftigen wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Ganz im Gegenteil: Inflation ist kalte Enteignung. Überraschend. Unfair. Ungerecht.“
Der Autor wendet sich gegen das Ansinnen einiger US-Amerikanischer Ökonomen, des IWF sowie des Direktors des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, Thomas Straubhaar, die geldpolitischen Zügel locker zu lassen. Die Folge wäre ein Anstieg der Inflationsrate, die eine Verringerung der realen Staatsschuld mit sich bringen würde.
Inflation ist ungerecht und unfair, aber nicht überraschend. Inflation deutet sich lange vorher an. Inflation ist das Produkt einer über viele Jahre darauf ausgerichteten Politik (ob bewusst oder unbewusst). Inflation ist auch nichts Fremdes: Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs ist Inflation der ständige Begleiter der Bevölkerung in den Industriestaaten. Reallohnverluste und die geringe Verzinsung von Sparguthaben gehören schon jetzt zum „Täglich Brot“ der Bevölkerung. Die „kalte Enteignung“ der Guthaben läuft seit Jahren.
Es entspricht der historischen Erfahrung, dass Inflation sich langsam aufbaut, dann beschleunigt und erst dann endet, wenn ein Großteil der Entschuldung vollzogen ist. Man nehme das Beispiel Zimbabwe. Das ist heute eine Cash-Ökonomie ohne Schulden. Der US-Dollar hat den Zimbabwe-Dollar als Währung abgelöst.
Nehmen wir an, Inflation wäre steuerbar. Wie hoch würden Zentralbanker die Inflationsrate steigen lassen, um eine ausreichende staatliche Entschuldung zu gewährleisten? Was ist eine ausreichende staatliche Entschuldung? Wir nehmen an, dass Zentralbanker eine Halbierung der Verschuldung als ausreichend empfinden würden. Dies entspräche einer Verschuldung von 30 bis 40 Prozent vom BIP.
Steigt die Inflationsrate fünf Jahre lang jedes Jahr um 10 Prozent, so verringern sich vorhandene Schulden real betrachtet um knapp 40 Prozent. Man wäre dem hypothetisch gesetzten Ziel dadurch nahe gekommen.
In diesem Zusammenhang ist ein Blick in die Vergangenheit interessant. Wie wurde die Entschuldung früher durchgeführt? Für die USA liegt eine lange Zeitreihe vor.
Dabei scheint der Wert von 20 Prozent eine wichtige Rolle zu spielen. Im Jahr 1813 wurde eine kurze Periode lang (nicht mehr als ein Jahr) eine Inflationsrate von 20 Prozent gemessen. Im US-Sezessionskrieg wurde drei Jahre lang (1862 bis 1864) eine Inflationsrate von 20 bis 25 Prozent notiert. Ähnliches lässt sich für den Zeitraum von 1917 bis 1920 feststellen: Im Gefolge des ersten Weltkriegs wurden in den USA vier Jahre lang Inflationsraten zwischen 15 und 20 Prozent notiert. Nach dem zweiten Weltkrieg bewegte sich die Inflationsrate in den USA zwischen 10 und 15 Prozent (zwischen 1946 und 1948; im April 1947 wurden sogar 20 Prozent erreicht). Und schließlich kam es in den 70er Jahren zu Inflationsraten im Bereich von 10 bis 15 Prozent.
Die grünen Linien zeigen, dass es jeweils nach einem Inflationsspike von 20 Prozent zu einer länger andauernden realen Entschuldung kam (Verschuldung in Prozent vom BIP). Allerdings gibt es eine Ausnahme: Die „Reaganomics“ der 80er Jahre. Damals beschloss die US-Regierung unter Präsident Ronald Reagan, auf Basis einer Verschuldung von 50 Prozent vom BIP die US-Wirtschaft mit Steuererleichterungen zu stimulieren. Unter anderem wurde der Spitzensteuersatz in zwei Schritten von 70 auf 33 Prozent gesenkt. Die Privatvermögen plusterten sich auf und wurden in den Aktienmarkt gelenkt (starker Anstieg bis 1987), während die öffentliche Verschuldung anstieg. Der Erfolg von „Reaganomics“ wird kontrovers diskutiert. Es dürfte aber unstrittig sein, dass in jener Zeit das Fundament für die heutige Situation geschaffen wurde: Die öffentliche Hand türmte hohe Schulden auf, während der Privatsektor lange Jahre ermutigt wurde, die größte Aktienblase des vergangenen Jahrhunderts - von 1982 bis 2000 - zu befeuern.
Nicht nur in den USA spielte die 20-Prozent-Inflations-Marke eine besondere Rolle. Brasilien wurde zum BRIC-Staat, nachdem die Inflation – die noch 2003 bei 20 Prozent lag - gebrochen werden konnte. Auch die indische Inflationsrate erreichte 1998 ein Hoch von 20 Prozent.
Fazit: Offensichtlich stellt eine Inflationsrate von 20 Prozent über zwei bis drei Jahre im Hinblick auf eine Staatsentschuldung so etwas wie ein „historisches Optimum“ dar. Das wirkt jedoch nur dann, wenn der Staat nach dem Ende der „Power-Inflation“ keine übermäßigen Wohltaten verteilt, sondern diszipliniert agiert. Die Fehler aus der Reagan-Ära gilt es zu vermeiden.
Einen Haken hat die Sache: Bei einem starken Inflationsanstieg würden die Gläubiger einen Ausgleich in Form höherer Zinsen einfordern. Japan wäre bei einem Anstieg am langen Ende von 2,5 Prozent praktisch pleite, Großbritannien und die USA würde es bei 6 Prozent erwischen. Deutschland würde bei einem Zinssatz von 8 Prozent in die Knie gehen.
Staaten sind souverän. Sollten beispielsweise die USA entscheiden, die Zinsen zu deckeln, können sie dies tun. In den 40er Jahren deckelten die USA die Zinsen am langen Ende bei 2,5 Prozent. Die Inflation betrug 1946 bis 1948 zwischen 10 und 15 Prozent. Einen Inflationsausgleich gab es nicht. Staaten können noch mehr: Sie können entscheiden, Staatsschulden nicht mehr zu bedienen. Man denke an Argentinien in den Jahren 2001/2002. Während sich Unternehmen stets an Gesetze halten müssen, die das Land, in dem sie agieren, vorgibt, hat jeder Staat eine eigene Gesetzgebung. Gesetze lassen sich ändern. Im Rahmen der EU gilt dies zwar nur bedingt, aber wenn es hart auf hart kommt, dürfte kurzer Prozess gemacht werden.
Seitens der Politik ist der Ärger über die Wetten mit Hilfe von Credit Default Swaps gegen Griechenland ist groß. Also wird man regulieren. Der Ärger in der Politik über die Abwertung Griechenlands durch die Rating-Agenturen ist ebenfalls deutlich zu spüren. Also prüft die EZB die Einführung einer staatseigenen Rating Agentur. Dazu – so heißt es – müssen nur 15 bis 20 weitere Stellen bei der EZB geschaffen werden. Die Devise aus Sicht der Politik heißt: Die Privatwirtschaft soll sich bitteschön aus elementaren Staatsangelegenheiten heraushalten. Über die Bonität eines Mitgliedslandes entscheiden wir selbst. Wetten auf Staatspleiten dürften zukünftig reguliert bzw. eingeschränkt werden.
Es ist klar, dass eine Steuerbarkeit der Inflation durch die Zentralbanken üblicherweise nicht angenommen werden kann. Ein solches Entschuldungsexperiment kann schief gehen. Der Zweck dieser Überlegungen ist es lediglich, einen Weg aufzuzeigen, der historisch bereits mehrfach praktiziert wurde. Ja, Inflation ist ungerecht. Ja, Inflation ist unfair. Nein, Inflation kommt nicht überraschend. Ja, Inflation gefährdet insbesondere abhängig Beschäftigte und die Bezieher von Transfer- bzw. staatlicher Einkommen (z.B. Beamte, Rentner, Hartz IV-Empfänger). Ersparnisse werden entwertet. Aber Inflation ist nichts, dem man hilflos ausgeliefert ist. Die Anlage eines Teils seines Vermögens in Sachwerten (z.B. in Edelmetallen) steht jedem frei.
Die Alternative zur „Power-Inflation“ ist das, was aktuell in Griechenland durchgesetzt werden soll: Löhne runter, Pensionen runter, Steuern rauf. Die Kaufkraft wird abgewürgt, es kommt zur Deflation. Im Detail sind die Ungerechtigkeiten anders verteilt, aber der Netto-Effekt dürfte ähnlich sein wie bei einer „Power-Inflation“. Egal, welchen Weg man wählt: Die „eierlegende Wollmilchsau“ existiert nicht. Es gilt, auf Seiten der Politik und der Geldpolitik den Anpassungsprozess zu finden, der die geringsten Schmerzen erzeugt.
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