GROSSBRITANNIEN HAT PROBLEME, TEIL EINER GRIECHISCHEN TRAGÖDIE IST ES ABER NICHT
Zweifelsohne weiß man in Deutschland, was „Schadenfreude” ist. Der Versuch des deutschen Magazins "Der Spiegel", das Vereinigte Königreich mit den Schwierigkeiten Griechenlands in Verbindung zu bringen, treibt den Vergleich jedoch zu einem boshaften und irrationalen Extrem, meint der kanadische Fondsmanager Marshall Auerback.
Von Marshall Auerback / übersetzt von Lars Schall (Original-Artikel --->hier)
Laut dem Spiegel:
„...torkelt das Britische Pfund. Die Wirtschaft befindet sichin der schlimmsten Krise seit 1931 und das Land kam um Haaresbreite an einertiefen Rezession vorbei. Spekulanten setzen gegen einen Aufschwung. DieInstabilität des Bankensektors hatte in Großbritannien einen nachteiligerenEffekt auf die Staatsfinanzen als in anderen Industrieländern. Londons Haushaltsdefizit wirddieses Jahr £186 Milliarden betragen (€ 205 Milliarden bzw. $ 280 Milliarden) – ganze 12, 9 Prozent des Bruttoinlandprodukts.” (www.spiegel.de)
Klingt ziemlich düster, inbesondere,da das britische Haushaltsdefizit größer ist als sogar das der „korrupten” Griechen,die ebenfalls von den Deutschen in der Presse missbraucht und abgestraft werdenfür ihre mutmaßlichen finanziellen Verschwendungen.
Der Artikel selbst strotzt allerdings vorintellektueller Unredlichkeit. Man sollte nicht einfach gedankenlos Staaten der EuropäischenWährungsunion (EWU) – Deutschland eingeschlossen –, die über keine wirklichefiskalische Autorität souveräner Staaten im eigentlichen Sinne des Wortesverfügen, mit solchen wie das UK verwechseln, das zum Glück eine Regierung hat, die mit einem geldschöpferischenMonopol ausgestattet ist, welches flexible Wechselkurse zulässt (auch wenn dieBriten das noch nicht wirklich herausgefunden zu haben scheinen).
Und, soseltsam es auch klingen mag: Verschwendungen der öffentlichen Hand sind indiesen Zeiten der Vorsicht deutschen Stils vorzuziehen, denn wenn die Ausgabenund Kreditnahmen des privaten Sektors in den Ruhezustand übergehen, muss die Kreditnahmeder Regierung bedeutend gesteigert werden,um für Ausgleich zu sorgen.
Selbst die französische Finanzministerin ChristineLegarde scheint diese Tatsache zu verstehen – www.ft.com(und bekommt dafür den Druck ihrer deutschen „Partner“ zu spüren). IhreVerfehlung? Sie hatte die Kühnheit besessen, vorzuschlagen, dass Berlin erwägenmöge, die Binnennachfrage anzukurbeln, um so Defizitländern dabei zu helfen,ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückzuerlangen und die öffentlichen Finanzen in Ordnung zubringen. Darauf hinweisend, dass „es dererzwei braucht, um Tango tanzen zu können”, legte Lagarde nahe, dass eineerweiterte Fiskalpolitik hier eine Rolle spielen müsse, nicht nur schlicht„erzwungene Defizitprinzipien“.
Gewiss, das ist in der Eurozone schwieriger zubewerkstelligen angesichts der irrwitzigen Einschränkungen, mit denen als Beitrittsbedingungenzum Euro aufgewartet wird. Als Konsequenz dieser Regeln können die EWU-Nationennicht einmal ihre eigene Region in angemessener Art und Weise führen. Sie habenein System errichtet, das durchgängig die gesamtwirtschaftliche Nachfrageausgetrocknet hat und zunehmend höhere Arbeitslosigkeit mit sich brachte, diedie jeweiligen Bevölkerungen zu tragen haben. In den Worten von Bill Mitchell (http://bilbo.economic):
„Die Regeln, diedie EU schuf und dann der EWU durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt desMaastrichter Vertrags auferlegte, gründeten nicht auf schlüssigen Modellenfiskalischer Nachhaltigkeit oder Variationen, durch die in diesen Volkswirtschaftenden Schwankungen des Konjunkturzyklus’ begegnet werden könnte. Die Regelntendieren unausgewogen gen hohe Arbeitslosigkeit und zur Wachstumsstagnationjener Sorte, die Europa seit Jahren verhext hat.“
Nachdem sie sichtlich versagt haben, ihren eigenenLandsleuten Wohlstand zu bringen, erachten es die Deutschen nunmehr als opportun,dem UK (im Anschluss an den Griechen, versteht sich) Nachhilfestunden erteilenzu wollen, und zwar aufgrund Großbritanniens „krassen Keynesismus“ (in denWorten von Axel Weber, dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank).
Ohne Frage weist das UK ein paar Eigenschaften auf, diees mehr als zu einem bloßen Opfer der globalen Kreditkrise machen. Auf törichteWeise hat es seine Wachstumsstrategie zugunsten des Wachstums seinesFinanzsektors ausgehebelt und zahlt nun den Preis für diese falsche Politik, insofernjener Sektor unweigerlich schrumpft und sich restrukturiert als Teil des BIP.
Dieser strukturelle Gegenwind wird zweifellos die Regierungsverantwortlichendes UK nötigen, zu noch aggressiveren fiskalischen Positionen zu kommen als esnormalerweise der Fall wäre. Das ist politisch problematisch in Anbetrachtdessen, dass die große Mehrheit der britischen Politiker (und die der plapperndenMeute in den Medien) noch immer der üblichen Defizit-Hysterie anhängen, diederzeit die ganze Welt heimsucht.[i] Die Realität ist aber, dass das UK beträchtlich größere finanzielleHandlungsspielräume besitzt als jedes Land der Eurozone, inklusive Deutschland.
Gehen wir zu den grundsätzlichen Prinzipien zurück: Ineinem Land mit einer Währung, die nicht konvertierbar ist in etwas Anderes alssie selbst (keine Gold-„Deckung“, kein starrer Wechselkurs), kann der Regierungniemals das Geld für Ausgaben ausgehen, noch braucht sie jemals Gelder desprivatwirtschaftlichen Sektors zu akquirieren, um Ausgaben tätigen zu können.
Dasbedeutet nicht, dass sich die Regierung nicht der Gefahr der Inflation, Geldentwertungoder Kapitalflucht als Resultat von Verschiebungen der Portfolio-Präferenzendes Privatbereichs ausgesetzt sähe; allerdings unterscheiden sich dieBudgetbeschränkungen der Regierung, dem Inhaber des Geldschöpfungsmonopols, vondem, was die meisten Menschen von der klassischen Ökonomie gelehrt bekommenhaben, die größtenteils von einem Goldstandard ausgeht, der mittlerweile garnicht mehr existiert.
Das britische Finanzministeriumkürzt Ihnen eine Zuschussleistung, der Betrag wird Ihnen gutgeschrieben unddann werden einige Rücklagen bei der Bilanzaufstellung der Bank von England undden Banken eingebracht, um es der Zentralbank (in diesem Fall der Bank vonEngland) zu ermöglichen, ihr Zinsziel zu erreichen.
Wenn überhaupt, dann wäreein wenig Inflation derzeit noch wahrscheinlich eine gute Sache, wenn man dasvorherrschend hohe Niveau der Schulden im privaten Sektor bedenkt sowie dasdeflationäre Risiko, das die PRIVATEN Schulden aufgrund der natürlichenEinschränkungen bei Einkommen und Vermögen darstellen, die ohne die Möglichkeitenzur Steuereinnahme und Geldschöpfung auskommen müssen.
dementsprechend spiegelt die Auffassung, dass Großbritannien dem Beispiel Griechenlands hin zum nationalen Selbstmord zu folgen habe, nicht anderes als die traditionelle deutsche Neigung zum Sado-Monetarismus und Dezifit-Reduktions-Fetischismus wider.
Im Gegensatz zu Deutschland oder jeder anderenEWU-Nation, gibt es keine Vorstellung „nationaler Kreditwürdigkeit“, die hierzutrifft, dementsprechend spiegelt die Auffassung, dass Großbritannien demBeispiel Griechenlands hin zum nationalen Selbstmord zu folgen habe, nicht anderesals die traditionelle deutsche Neigung zum Sado-Monetarismus und Dezifit-Reduktions-Fetischismuswider.
Die Verpflichtung zur Kürzung des Defizits war es auch, die Japanwährend der 1990er und 2000er Jahre zum Scheitern verurteilte, als dümmlich voreiligeVersuche der „Finanzkonsolidierung“ in Wirklichkeit die Haushaltsdefizite durchdas Abwürgen der einsetzenden Wirtschaftsaktivität vergrößerten. Warum also sollteman die Haushaltspolitik enger gestalten, wenn die private Nachfrage saft- undkraftlos ist und die Arbeitslosigkeit noch immer hoch?
Man erinnere sich an “Accounting 101“ (http://www.newdeal20.org).Das ist die Umkehrung von Außenhandelsbilanzdefiziten und die Zunahme vonFiskaldefiziten, die ein Land zum privaten Sparen bringt, KEINE DUMMENSELBSTAUFERLEGTEN EINSCHRÄNKUNGEN VORAUSGESETZT, wie jene von Deutschland imStabilitäts- und Wachstumspakt vorgeschlagenen (der im übrigen in „Instabilitäts-und Nicht-Wachstumspakt” umbenannt werden sollte).
Idealerweise würden wirDefizite auf gutem Wege erreicht sehen wollen: nicht mit automatischenStabilisatoren, die den Haushalt ins Defizit bringen, weil die Arbeitslosigkeitsteigt und die Steuereinnahmen sinken, wenn die Privatnachfrage einbricht,sondern eines, in dem eine Regierung die Finanzpolitik benutzt, damitsichergestellt ist, dass die Nachfrage ausreicht, um hohe Beschäftigungsratenund privates Sparen zu unterstützen. Das würde das Wachstum stabilisieren unddas Defizitbild verbessern. Wenn dies einmal erreicht wäre, sollten alle Bemerkungenvon nationalen Insolvenzen (oder mehr „Griechischen Tragödien“) aus der Weltgeschafft sein.
Das UK könnte dieses schaffen, auch wenn seinepolitisch Verantwortlichen das nicht erkennen können. Nicht so jedoch in denAugen des Spiegel, der davor warnt,dass „...dem Vereinigten Königreich harteZeiten bevorstehen, so harte sogar, dass keine der Parteien es wagt, das lautauszusprechen, was Viele in ihren Reihen bereits wissen. Die Briten könnenmindestens höheren Steuern und Gebühren entgegen sehen.“ Und sehr viel geringerem Wachstum, wenn diesen EmpfehlungenFolge geleistet wird.
Wir unterstellen, dass Etlichein Deutschland und im Rest Europas das begreifen. Daher muss man einmal derFrage nachgehen, welche anderen Motivationen hier am Werke sein könnten.
Offensichtlichsoll das Lenken der Aufmerksamkeit auf die öffentlichen FinanzenGroßbritanniens und das Ziehen von fadenscheinigen Vergleichen mit Griechenlanddas Spekulationskapital dazu einladen, seine Augen von der Eurozone ab- und demUK zuzuwenden. Angenommen, dass die angebliche „Griechische Lösung“, diekürzlich von der Europäischen Kommission vorgeschlagen wurde, nichts gegen dieuntergründigen Probleme des Landes ausrichten wird, schickt es sich für dieEurozonen-Länder, die Aufmerksamkeit vorerst anderswo hinzulenken, ehe ihregemeinsame Entschlossenheit, ihre Währungsunion zu verteidigen, abermals unterBeschuss gerät.
Und der Himmel mögeverhindern, dass das UK erfolgreich sein wird (zugegebenermaßenunwahrscheinlich von heute aus betrachtet, wenn man sich den Mangel anbritischen Politikern vor Augen hält, die verstehen, wie modernes Geld tatsächlichfunktioniert).
Sollte es nämlich die Ausgabenpolitik der Regierung Ihrer Majestätschaffen, eine Finanzpolitik durchzuführen, die zu mehr Beschäftigung undgerechtere Vermögensverteilung führt (zum Beispiel durch einArbeitsgarantie-Programm – http://bilbo.economicoutlook.net),was würde dann wohl die Reaktion in der Eurozone sein? Würde das nicht dafürsorgen, dass sich ihre Bürger zu fragen begännen, welche Art von betrügerischerWirtschafts-„Expertise“ ihnen durch ihre technokratischen Eliten über die letztenzwei Jahrzehnte verabreicht worden ist? Die gleiche Sorte von neoliberalem Schmarn,der den USA durch solche Gruppen wie der Concord Coalition verabreicht wurde.
Keine Frage, öffentliche Ausgaben sollten behutsam mobilisiertwerden, damit sichergegangen wird, dass sie sich im Einklang mit dem nationalenInteresse befinden (und nicht dem von wirtschaftlichem Klüngel). DieVorstellung jedoch, die Der Spiegel amLeben erhält, dass nämlich die Regierung irgendwie eingeschränkt sei durchselbst auferlegte Regeln, die mit der zugrunde liegenden Wirtschaft in keinerleiVerbindung stehen, ist eine Komödie, die eine Brecht’sche Farce wert wäre. Unglücklicherweiseist dieser besondere deutsche Witz kein Grund zum Lachen.
Marshall Auerback, born July27, 1959 in Toronto, Canada, is familiar with the international scenery offinance firsthand. After graduating “magna cum laude” in English and Philosophyfrom Queen’s University in 1981 and receiving a law degree from Corpus ChristiCollege, Oxford University, two years later, he was from 1983-1987 aninvestment manager at GT Management Ltd. in Hong-Kong.
From 1988-91, Mr.Auerback was based in Tokyo, where his Pacific Rim expertise was broadened to include theJapanese stock market. In 1992 he went to New York to ran an emerging markets hedgefund for the Tiedemann Investment Group until 1995. The next four years heworked as an international economics strategist for Veneroso Associates, whichprovided macroeconomic strategy to a number of leading institutional investors.
From 1999-2002, hemanaged the Prudent Global Fixed Income Fund for David W. Tice &Associates, a global investment management firm, and assisted with themanagement of the Prudent Bear Fund. Since 2003 he is serving as a globalportfolio strategist for RAB Capital Plc, a UK-based fund management group with$2 billion under management. He is also co-manager of the RAB Gold Fund and anindependent economic consultant for PIMCO, the world’s largest bond fundmanagement group.
Moreover, he is afellow of the Economists for Peace & Security (www.epsusa.org) andof the Japan Policy Research Institute in California (www.jpri.org).As Braintruster of the Franklin andEleanor Roosevelt Institute, he is afrequent commentator at “New Deal 2.0” (www.newdeal20.org).At present, Mr. Auerback lives in Denver,U.S.A.[i] siehehierzu auch “Marshall Auerback Fighting Deficit Hysteria“, veröffentlicht auf Business News Network am 11. März 2010unter:
http://watch.bnn.ca/#clip275341