Bereits vor über hundert Jahren im Jahr 1926 erkannte der russische Ökonom Nikolai Kondratjew, dass die Wirtschaft in langen Wellen verläuft. Er gilt deshalb als einer der ersten Vertreter der zyklischen Konjunkturtheorie.
a) Kondratjew-Frühling: Die Wirtschaft erwacht nach der Schuldenabbau-Phase wieder. Die Stimmung ist optimistisch, aber man ist bei der Kreditvergabe und -aufnahme noch vorsichtig. Kredite werden vorwiegend für Investitionen gegeben.
b) Kondratjew-Sommer: Die Kreditvergabe wird stärker, Inflation setzt ein, Rohstoffe werden knapp, daher kommt es oft zu Verteilungskämpfen.
c) Kondratjew-Herbst: Die Rohstoff-Knappheit geht zu Ende, dafür steigen die Papierwerte von Anleihen, Aktien, Immobilien. Die Verbraucherpreis-Inflation ist gering. Die Konsum- und Staats-Verschuldung erreicht jedoch ungeahnte Ausmasse.
d) Kondratjew-Winter: Es ist Zeit für den Schuldenabbau. Mit einem Börsencrash beginnt eine Zeit der Deflation, d.h. der Wert des Geldes steigt gegenüber denjenigen der Anlagen. Massive Bankrotte stürzen die Wirtschaft in eine Depression.
Da die einzelnen Phasen 10 bis 20 Jahren dauern können, merken die meisten Menschen die tatsächlichen Veränderungen nicht. In jeder Phase des ökonomischen Winters geht das bisherige Finanzsystem in Konkurs und es bleibt ein schmales Zeitfenster im Rahmen dessen völlig neue Lösungsansätze in Wettstreit mit den alten Paradigmen treten können.
Mit seiner Denkhaltung, dass der Kapitalismus sich aufgrund seines zyklischen Modells nach einer Abschwungphase wieder selbst erneuert, geriet Kondratjew mit den russischen Machthabern in Konflikt. Dies führte 1930 zu einer Gefängnisstrafe, die er in Einzelhaft verbrachte. Während der großen Säuberung unter Stalin, die im Jahre 1938 ihren Höhepunkt erreichte, wurde er am 17. September von einem Militärtribunal nach acht Jahren Haft zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag erschossen.
1987 wurde Kondratjew von der Sowjetunion rehabilitiert. Seine Theorie besagt, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Industriestaaten in langjährigen Wellenmustern verläuft. Der österreichische Ökonom Joseph A. Schumpeter prägte ein Jahr nach Kondratjews Tod für lange Konjunkturwellen den Begriff der Kondratjew-Zyklen und erweiterte die Theorie dahingehend, dass er Basisinnovationen als den Ausgangspunkt einer neuen Welle sah.
In einer solchen Phase wird wenig investiert, dafür umso mehr konsumiert, was uns Amerika mit einer negativen Sparquote im Jahr 2007 deutlich vor Augen führte. Danach kommt es durch zunehmende Verschuldung zunächst zu einer Deflation aller Anlageklassen, die in eine Weltwirtschaftskrise mündet.
Merkmale der Zyklen
Alle Zyklen haben einen ökonomischen Herbst gepaart mit einer Hausse an den Finanzmärkten und enden in einem ökonomischen Winter. Die bisherigen Herbstphasen waren in den jeweiligen Perioden:
- Kondratjew: Hausse von 1700 bis 1720,
- Kondratjew: Aktienhausse von 1795 bis 1824,
- Kondratjew: Aktienhausse von 1821 bis 1837,
- Kondratjew: Aktienhausse von 1866 bis 1873,
- Kondratjew: Aktienhausse von 1921 bis 1929,
- Kondratjew: Aktienhausse 60er Jahre (Wirtschaftswunder),
- Kondratjew: Aktienhausse von 1995 bis 2007,
- Kondratjew: voraussichtliche Aktienhausse von 2035 bis 2045.
Innovationsbündel
Jeder der Kondratjew-Zyklen mit einer Dauer von 40 bis 60 Jahren wird von grundlegenden Basisinnovationen getragen, welche die jeweilige Produktivität drastisch erhöhen. Fuhr eine Postkutsche um 1700 etwa zwei km/h und konnte 20 bis 30 Kilometer pro Tag zurücklegen, so betrug die Geschwindigkeit um 1850 bereits zehn km/h und es konnten Entfernungen von 100 bis 120 Kilometer pro Tag zurückgelegt werden.
Bei allen Kondratjew-Zyklen handelt es sich um Primärtrends, wohingegen Konjunkturzyklen beziehungsweise Finanzkrisen in so genannten Sekundärtrends auftreten. So befanden sich die Märkte von 2000 bis 2002 in einem fallenden Sekundärtrend, ausgelöst durch den Nasdaq-Bubble.
Nach der Riesenwelle kommt die Hyperdepression
Der Grund, warum es mit einer Zeitverzögerung von etwa 46,5 Jahren zu Spitzen im Konsum kommt, ist dass die jeweilige Boom-Generation etwa in diesem Alter am meisten Geld ausgibt. Das diese Zeitzyklen in etwa den Zeithorizonten des Kondratjew-Zyklus entsprechen ist nicht überraschend.
Dieser einfache Tatbestand ist die Erklärung dafür, dass die Demographie in den Wirtschaftstheorien geleugnet wird. Um die Mächtigkeit der kommenden Hyperdepression zu verstehen, muss man sich die Tatsache vor Augen halten, dass die heutige Baby-Boomer-Generation dreimal so groß ist, wie bisherige Geburtenwellen.
Der Multi-Kondratjew und der zukünftige Zyklus
Während der Westen versucht, mit seinen etablierten Industrien international wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Länder wie China eine Vielzahl von Kondratjews überlagern, um den Anschluss im Wettbewerb der Nationen halten zu können. Hierbei ist die chinesische Volkswirtschaft durch das gleichzeitige Auftreten mehrerer Basisinnovationen geprägt, was Röpke als Multi-Kondratjew bezeichnet. Dies liegt daran, dass der Kommunismus in China verhindert hat, dass das Land an den bisherigen Wellen in vollem Umfang partizipieren konnte.
Je mehr das Land jedoch technologisch aufholt und durch seine billige Währung weltweite Devisen einsammeln kann, desto wettbewerbsfähiger wird es in den nächsten Jahren werden. Durch das Kopieren von bisherigen Lösungsansätzen und einem massiven Kostenvorteil im Bereich der Lohnkosten wird China künftig nicht nur bei den bisherigen Basisinnovationen zu einem bestimmenden Faktor, sondern auch bei den zukünftigen Basisinnovationen wie Anti-Aging, Molekulartechnik, Robotik, Hyperschallflugzeugen oder Raumtransportern.
Diesbezüglich werden neue Techniken, wie Healthcare, Solartechnik, Bionik, Nano-Maschinen und Weltraumstationen, zu einem wesentlichen Wachstumsmotor der chinesischen, aber auch der indischen Volkswirtschaft avancieren. Damit sind beide Länder Anwärter darauf, den nächsten Kondratjew-Zyklus zu dominieren. Allerdings reicht es für Länder wie China und Indien nicht aus, nur Kapital zu akkumulieren und Know-how zu importieren, vielmehr müssen auch soziale und politische Innovationen in Angriff genommen werden.