Am Wochenende bin ich dem Alltag nach Venedig entflohen. Wer in die Lagunenstadt reist, sollte die Taschen voller Geld haben. Nur so kann man Venedig in vollen Zügen genießen.
Traumjob Gondoliere
Vier Tage Regen waren vorhergesagt. Doch Gott sei Dank liegen meteorologische Prognosen manchmal genauso schief wie volkswirtschaftliche: Venedig empfing mich mit strahlendem Sonnenschein.
Ich liebe Venedig. Venedig ist eine wunderschöne Stadt. Jedes Bauwerk, jede Gasse erzählt Geschichte. Wunderbar, was unsere Vorfahren dort in den Sumpf gebaut haben. Was werden unsere Nachkommen wohl sagen, wenn sie dereinst in Berlin Marzahn oder am Potsdamer Platz spazieren? – frage ich mich, während ich über eine der 444 Brücken schlendere.
Kleiner Nachteil der Metropole an der Adria: Venedig zählt zu den am meisten besuchten Städten der Welt. Man muss sich die Stadt also mit einer Millionen Touristen teilen. Das schmälert aber nicht die Strahlkraft des Ortes.
Wenn die Füße nicht mehr tragen, dann ist Zeit für einen Gondel-Trip. Überall schaukeln diese Wahrzeichen der Stadt auf den Kanälen. Doch wer dieses stilechte Verkehrsmittel nutzen will, braucht einen Koffer voll Geld: 80 Euro kostet 30 Minuten Gondel.
Moment mal: 80 Euro für eine halbe Stunde? Das macht 1600 Euro am Tag. Das sind 48000 Euro im Monat – wenn man durchgondelt. 48000 Euro? Klingt verlockend. Ich beschließe auf der Stelle, Gondoliere zu werden.
Doch da habe ich die Rechnung ohne die örtliche Gesetzgebung gemacht, wie mich ein Gondelmann aufklärt. Die freie Marktwirtschaft ist nämlich auch bei Gondeln längst aufgehoben! Es kann nicht jeder so ein Bötchen paddeln. Es herrscht strenge Begrenzung. Eine Gondel erfordert eine Zulassung. Und die gibt es nicht mehr. Grund: eine Gondelinflation soll verhindert werden. Deshalb steigt Jahr für Jahr nicht die Zahl der schwarzen Schmalboote, sondern nur der Preis für die Fahrt. Das Gondelmonopol in Venedig dürfte nur schwer zu knacken sein. Ausgeträumt der Traum vom Gondelmillionär…
Cafe auf dem Markusplatz: "Volles Risiko"
Desillusioniert schlendere ich zum weltberühmten Markusplatz. Ich beschließe hier voll auf Risiko zu gehen. Mein Plan: Ein Espresso in einem Cafe auf dem Markusplatz, ohne vorher die Preise zu prüfen.
Die Sonne scheint, Tausende Touristen treiben an meinem Tisch vorbei. In Sachen Preis signalisieren Kellner in weißem Jackett und schwarzer Fliege höchste Alarmstufe. Und schon bald nimmt ein livrierter Thekendiener meinen Wunsch auf: Un Espresso - prego“ – perfekte Bestellung in hochitalienisch.
Minuten später kommt ein umfangreiches Gedeck. Wasser, Milch, Zucker, aufwendig gezwirbelte Servietten – alles in einer Weise drapiert, dass man schon ahnen kann: es wird nicht billig.
Während ich vorsichtig an meinem Espresso schlürfe, spielt hinter mir eine Kapelle auf. Drei Geigen, Cello, Klavier spielen alte italienische Weisen. Zwischendurch wird aber auch ein Radetzky Marsch gegeigt. Das passt ja nun gar nicht. Dennoch muss man lobend hervorheben, dass das Orchester ohne Verstärker und Lautsprecher (der schlimmsten Erfindung der Moderne) arbeitet.
Meine Neugier steigt. Was wird an diesem Ort wohl der Espresso kosten? Vor mir liegt die Speisekarte. Schließlich halte ich es nicht mehr aus. Ich greife nach der Karte, um den Preis für mein Getränk zu recherchieren.
Ein Tasse Tee: 12 Euro. Ein Stück Kuchen 9 Euro. Und schließlich, irgendwo in der Mitte versteckt, auf Seite vier, unter der Rubrik „Cafe“, steht „Espresso“! Preis: 5 Euro und 70 Cent. Geschickt, geschickt… der Kunde soll also nicht direkt auf das billigste Getränk stoßen.
6 Euro für einen Espresso – es ist, der teuerste Espresso, den ich je in meinem Leben getrunken habe.
Aufmerksam nehmen meine Augen die anderen Horrorpreise in der Karte wahr. Wahrlich kein Ort für Hartz IV Empfänger.
Während ich sorgsam mit dem Studium der Preisliste beschäftigt bin, driften meine Augen auf das Kleingedruckte, am Ende des Papiers.
Dort steht kaum lesbar und kaum glaublich: „Bei der ersten Bestellung fallen 5,70 Euro für die Kapelle an. Diese Pauschale gilt nur für die erste Bestellung.“ Dieser wichtige Hinweis ist nicht nur klein gedruckt, sondern steht auch nur in italienisch und englisch da.
Leute über 40 ohne Brille und alle Nichtitaliener und Nichtenglischsprechenden nehmen diesen Hinweis natürlich kaum wahr. Sollen sie ja auch nicht. Sie sollen gefälligst in die Falle tappen.
Ich bin empört. Pfiffig, diese Italiener. Nicht nur Rekordpreise beim Kaffee, sondern auch noch versteckte Knebel im Kleingedruckten. Für mich steht eines fest: Den Musikzuschlag zahle ich nicht.
Ich bestelle die Rechnung und mache mich auf eine lautstarke Auseinandersetzung gefasst. Ich ringe geistig nach den richtigen italienischen Begriffen, um den Sachverhalt korrekt darzustellen. Das ist doch wirklich ein klarer Fall für den Verbraucherschutz! Dieses Cafe, nichts anderes als eine geschickt getarnte Touri-Falle!
Die Rechnung kommt. Summe: 5,70 Euro für einen Espresso. Der Musikzuschlag fehlt. Ich bin überrascht. Da ich aber schon auf Streit gebürstet war, schießt es mir durch den Kopf, den Kellner zu fragen, ob er den Beschallungs-Aufpreis vergessen habe.
Doch ich will die Situation nicht eskalieren lassen. Venedig ist zu schön, um sich zu streiten. Und angeblich wird ein Teil des Preises für die Restaurierung dieser wunderbaren Stadt verwendet. Bleibt zu hoffen, dass dies auch stimmt. Auf diese Weise können auch unsere Nachfahren einen Espresso auf dem Markusplatz genießen.