Das inflationäre Auftreten staatlicher Rettungspakete sorgt für Verunsicherung: In einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin deckt Telebörse-Moderator Raimund Brichta schonungslos auf, welche Folgen drohen - und welcher Ausweg der Politik bleibt.
Dieser Tage habe ich einen Hilferuf von Ihnen gehört, der mich nachdenklich gemacht hat: Sie suchten nach wirklich "ehrlichen Beratern" aus der Finanzbranche, haben sie gesagt. Sie suchen nach solchen, von denen Sie nicht "über den Tisch gezogen" würden. Das klingt nach Enttäuschung über unehrliche oder inkompetente Berater. Und es klingt auch ein wenig hilflos. Beides, verehrte Bundeskanzlerin, kann ich gut nachempfinden. Denn wie sollen Sie als Physikerin und Politikerin all das verstehen? Wie sollen Sie verstehen, warum Sie von den Finanzmärkten in immer kürzeren Abständen zu Entscheidungen getrieben werden, deren Auswirkungen Sie gar nicht abschätzen können? Selbst Ihre Berater scheinen die Konsequenzen ja nicht zu überschauen, und diejenigen, die sie überschauen, sind vielleicht nicht ehrlich? Eine vertrackte Situation, in der Sie da stecken.
Da Ihnen also offenbar niemand reinen Wein einschenkt, möchte ich das mit diesem Brief tun. Obwohl ich ja immer noch auf Ihre Antwort warte auf meinen Brief vom Oktober 2008, den ich Ihnen auf dem Höhepunkt der Finanzkrise geschrieben hatte. Aber wahrscheinlich konnten Sie ihn gar nicht lesen, weil er von Ihren Beratern nicht zu Ihnen durchgelassen wurde - wie vermutlich auch dieser Brief nicht durchgelassen wird. Dabei enthalten beide genau die Ehrlichkeit, nach der Sie sich so sehnen. Deshalb mein Vorschlag: Gehen Sie in einer ruhigen Minute - wenn Ihnen gerade kein Berater über die Schulter schaut - doch einfach mal ins Internet und klicken Sie auf diese Seite.
Aber nur, wenn Sie Ehrlichkeit auch vertragen! Versprochen? Ich muss nämlich gleich mit einer Wahrheit herauskommen: Es gibt kein Rezept, mit dem Sie den Patienten Finanzmarkt auf schmerzlose Weise heilen können. Wobei es hier weniger um die Schmerzen für den Finanzmarkt selbst geht, die wären vermutlich zu verkraften. Es geht vielmehr um Schmerzen für uns alle, weil wir auf irgendeine Art und Weise alle vom Finanzmarkt abhängen.
Im Prinzip geht es dem Patienten wie einem Süchtigen, der dauernd eine Droge spritzen muss. Diese Droge heißt Geld. Und seit er sie sich nicht mehr selbst in ausreichender Menge spritzen kann, hängt er am Tropf der Regierungen und Notenbanken dieser Welt, also auch an Ihrem. Seitdem wird er mit Staatsknete ruhig gestellt. Geheilt werden kann er damit aber nicht.
Suchtkranke Staaten
Theoretisch gäbe es einen Ausweg, nämlich eine Rosskur, die Sie dem Suchtpatienten verordnen könnten, indem Sie ihn vom Tropf nehmen. Dies wäre allerdings so schmerzhaft, und zwar für uns alle, dass Sie es als Kanzlerin politisch nicht überleben würden. Man würde Ihnen die Schuld geben an einer daraus folgenden Abwärtsspirale aus Pleiten von Banken, Versicherungen und anderen Unternehmen bis hin zu Massenarbeitslosigkeit und Unruhen in der Bevölkerung. Am Ende würden Sie vermutlich aus dem Amt gejagt. Ganz ehrlich, liebe Angela Merkel, an Ihrer Stelle würde ich das auch nicht riskieren.
Deshalb bleibt Ihnen keine andere Wahl, als den anderen Weg zu gehen, den einzigen, der Ihnen noch bleibt. Sie müssen dem Süchtigen geben, was er braucht - koste es, was es wolle. Und Letzteres ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn die Dosen, mit denen Sie den Patienten ruhig stellen können, müssen immer größer werden - zig Milliarden, hunderte Milliarden, Billionen … Ganz nebenbei werden Sie merken, dass auch der Staat längst süchtig geworden ist und ohne immer größere Geldspritzen nicht mehr auskommt.
Aber irgendwann - das muss Ihre Hoffnung sein - werden Sie in den wohl verdienten Ruhestand gehen, ohne aus dem Amt gejagt worden zu sein. Wenn Sie sich dann wieder im Netz informieren, werden Sie verfolgen, wie auch Ihre Nachfolger weiter aufs Gaspedal treten, das direkt neben Ihrer imaginären Schuldenbremse liegt. Sie werden sehen, wie Ihre Nachfolger Billiarden, Trillionen oder Trilliarden irgendwohin pumpen, um irgendjemanden zu "retten". Sie werden dann auch beobachten können, was passiert, wenn der Staat plötzlich keine neuen Spritzen mehr bekommt, weil diejenigen, die sie ihm geben könnten, kein Vertrauen mehr in den Suchtpatienten haben.
Sie werden verfolgen, wie es dann zu einer Abwärtsspirale aus Pleiten von Banken, Versicherungen und anderen Unternehmen kommt - bis hin zu Massenarbeitslosigkeit und Unruhen in der Bevölkerung. Allerdings können Sie dann sagen: "Gut, dass das nicht mir passiert ist."
Ganz ehrlich, liebe Angela Merkel, Sie haben Glück, wenn es noch so lange dauert,
meint Ihr
Raimund Brichta www.teleboerse.de