Marshall Auerback beleuchtet heute ein wenig die Konsequenzen der Eurokrise. Aus währungspolitischer Sicht sei einiges richtig gemacht worden; dafür habe die Demokratie Schaden genommen. Und wesentliche Probleme werden nach wie vor gar nicht erst angefasst.
Von Marshall Auerback, Übersetzung aus dem Englischen: Lars Schall
Wolfgang Munchnau liegt richtig. Nur eine enger zusammenarbeitende Union kann den Euro retten. Langfristig wird es notwendig sein, ein permanentes Fiskal-Arrangement zu schaffen, durch das die Verantwortlichen der Eurozone ihre Fonds verteilen können, die von den Mitgliedsstaaten genutzt werden. Im Idealfall sollte dies in der Hand einer ähnlichen Einrichtung wie einem nationalen Finanzministeriums liegen, die sich gegenüber einem gewählten Volksvertretern zu verantworten hat – in diesem Fall dem Europäischen Parlament.
Aber politisch betrachtet ist das ein Rohrkrepierer, besonders im derzeitigen Umfeld. Deutschland im Besonderen würde den „Vereinigten Staaten von Europa“ nur zu deutschen Bedingungen zustimmen, tatsächlich würden sie die Eurozone zu den „Vereinigten Staaten von Deutschland“ machen oder, das wäre das Mindeste, zu einer Europäischen Union mit starken deutschen Charakteristiken.
Lassen wir die Europäische Zentralbank herein. Mit einer kleinen Fanfare hat die EZB auf die Zahlungsfähigkeitmisere der Europäischen Währungsunion mit dem Durchführen von großangelegten Anleiheaufkäufen im sekundären Markt reagiert (was, konträr zum direkten Aufkauf von Staatsschulden, nicht im Gegensatz zum Maastricht-Vertrag steht), um die Schulden der EWU-Nationen zu bedienen. Wie Bill Mitchell herausstellte, ist es bemerkenswert, wie wenig Presse-Echo dies hervorrief, denn entgegen ihrer Versicherung, dass es weder Bailouts gäbe noch unsterilisierte Anleiheaufkäufe, kauft die EZB nunmehr riesige Beträge an PIIGS-Schulden, um zu versichern, dass die Finanzierungskrise der EWU eingedämmt sei. In Anbetracht, dass dieser Schritt die Insolvenzrisiken substantiell reduziert, mag das vielleicht ein weises Vorgehen gewesen sein, obwohl es sehr wenig gegen die untergründigen Gestaltungsfehler im System bewirkt, die wir schon zuvor diskutierten.
Aber es gibt fundamentale anti-demokratische Zwischentöne bei dieser Aktion. Womöglich ist „ein finanzieller Putsch“ eine zu starke Charakterisierung, doch ohne Frage ist die EZB nunmehr weit und breit die mächtigste Institution ohne ihresgleichen innerhalb der EWU. Wie Mitchell argumentiert, “they stand between the system collapsing or muddling through. And they can force austerity onto citizens throughout the member nations but never face the judgement of the voters.”
Die Eurokraten, die die Demokratie schon immer als Anti-These zu „solider Ökonomie“ und „guter Politik“ ansahen, besitzen jetzt die Gelegenheit, die Krise zu benutzen, um ihre Vision von Europa durchzudrücken, und die ist grundsätzlich Anti-Arbeit und Pro-Kapital.
Im wirtschaftlichen Zusammenhang ist diese Handlungsweise dem Vorschlag ähnlich, den Warren Mosler zur Steuerverteilung machte,[1] gleichwohl sie nicht auf Pro-Kopf-Basis geschieht und womöglich mit subjektivem Risiko (Moral Hazard) verbunden ist, da sie theoretisch bedeuten kann, dass die größten Ausgabenstaaten – die meisten Staatsanleihen herausgeben, die dann von der EZB im sekundären Markt aufgekauft werden können – belohnt werden. Wie dem auch sei, die EZB kann die Probleme subjektiven Risikos eliminieren, indem sie gegenüber Missetätern schlichtweg andeutet, dass sie sich weigern wird, ihre Schulden im sekundären Markt aufzukaufen, sollten sie sich nicht an die „verantwortliche“ Fiskalpolitik halten. Indem sie diese quasi-fiskale Rolle annimmt, wird die EZB zu den „Vereinigten Staaten von Europa“.
Die Realität ist dann, dass die EZB zum politischen Schiedsrichter für ausgabenpolitische Entscheidungen wird, die die nationalen Regierungen der Eurozone treffen. Sollte die EZB entscheiden, dass ein Mitgliedstaat nicht ihren Wünschen nach handelt, wird sie dementsprechend zu drohen beginnen, nicht die Schulden aufzukaufen, womit sie vom EZB-Kreditschirm isoliert werden, während die übrig bleibenden Staaten zahlungsfähig bleiben. Sehr bald werden die Bürokraten, die die EZB leiten, realisieren, dass die Nicht-Sterilisierung der Staatsanleihen keine inflationären Gefahren hervorrufen und so werden sie damit weitermachen, da sie es als ein sehr mächtiges Werkzeug erachten werden, um die Ausgabenpläne der nationalen Regierungen in Schach zu halten, die sie nicht mögen. Die EZB-Ausgaben für was auch immer sind (operativ) von keinen Einnahmen eingeengt, wie es bei den Mitgliedsländern der Fall ist, und so ist diese Handlungsweise im Grunde nachhaltig, wenn auch fundamental undemokratisch.
Nunmehr, da die Währung Stabilität erlangt, könnte es sein, dass die Präferenzen der Privatanleger wieder dem Euro günstig gegenüberstehen. Eine Dollarflucht könnte sehr gut durch wiederkehrende Befürchtungen angeheizt werden, dass in den USA eine „Double-Dip“-Rezession ansteht.
Wenn wir eine gewagte Vermutung abgeben müssten, dann würden wir nahe legen, dass Risikowerte, die in Euro gehandelt werden, insgesamt die US-Werte dieses Jahr überbieten werden. Ein anderer möglicher Investitionseffekt könnte kurzfristig sein, dass der Goldpreis fällt (die positive Preisentwicklung, die bis kürzlich stattfand, hat als eine Art „Euro-Verdampfungs-Risikoabsicherung“ gedient). Da das wahrgenommene Euro-Insolvenz/Verdampfungsrisiko verschwindet, könnten Goldbesitzer, die auf dieser Basis kauften, ihr Geld wieder in Euro anlegen.
Die Macht hat sich unabwendbar zur EZB verlagert, wahrscheinlich unter dem starken Einfluß der ECOFIN, da sich die EZB direkt oder indirekt dahin bewegt, das gesamte Bankensystem und die Defizite der Nationalstaaten zu finanzieren. Aber die Aktionen der EZB sind nicht politisch wünschenswert. Der Konflikt zwischen den europäischen Geld-Interessen, die die Währungsstabilität als Priorität ansehen, und den Exporteuren, die schwache Währungen favorisieren, bleibt bestehen. Der Konsens wird sein, dass Gewerkschaften und Löhne kontrolliert werden müssen, was wiederum für soziale Unruhen sorgen wird. Das ist kein besonders tolles Umfeld, besonders nicht unter den Umständen des „neuen Normalen“, d. h. Renditen finanzieller Wertpapiere unter Par.
[1] vgl. Marshall Auerback / Warren Mosler: „Griechenland kann es alleine tun“, veröffentlicht auf chaostheorien.de am 3. Mai 2010 unter: http://www.chaostheorien.de