Der Langfristchart des BDI seit 1985 zeigt relativ moderate Preisveränderungen bis 2003. Danach sprangen die Preise wild hin und her und schossen 2007 / 2008 dramatisch nach oben. Dementsprechend brach der BDI in der Krise auch massiv ein. Sorge bereitet vielen Analysten nun der vergleichsweise starke und anhaltende Einbruch der jüngsten Zeit.
von Torsten Ewert
das Faszinierende bei der Beschäftigung mit der Börse ist, dass man auch nach Jahren noch ständig erstaunliche Überraschungen erlebt. Neulich erfuhr ich beispielsweise verblüfft, dass manche Analysten nicht nur aus Kristallkugel und Kaffeesatz, sondern auch aus unserem Müll Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung abzuleiten versuchen. Aber dazu später mehr...
Unser Streben nach Sicherheit und der Wunsch in die Zukunft zu sehen
Doch wenn wir ein wenig darüber nachdenken, ist dies nicht mehr ganz so ungewöhnlich. Der Mensch strebt schließlich nach Sicherheit im Leben. Dabei verfolgt jeder eine andere Strategie. Wir Deutschen zum Beispiel überhäufen uns mit Versicherungen aller Art und fragen unseren Arzt oder Apotheker um Rat. Dafür machen die meisten Bundesbürger um Aktien einen großen Bogen. Schließlich ist die Börse für viele das Synonym für Risiko schlechthin, mithin das Gegenteil von Sicherheit.
Die Amerikaner dagegen kaufen zwar Aktien, versuchen jedoch, der daraus resultierenden Unsicherheit mit anderen Mitteln beizukommen. Oder warum sonst wurden nahezu alle wichtigen charttechnischen Indikatoren von Amerikanern entwickelt? Und wenn Sie die Konjunkturdaten hier im Steffens Daily verfolgen, dürfte Ihnen aufgefallen sein, dass sich gut 90 % davon um die US-Wirtschaft drehen.
Nicht, dass die meisten nicht auch für Deutschland oder Europa erhoben würden. Die Amis machen nur einfach mehr Aufhebens darum. Vielleicht weil sie meinen, damit die Unsicherheit über die Zukunft im Griff zu haben. (Von Alan Greenspan wird beispielsweise behauptet, er hätte permanent einige hundert Konjunkturindikatoren beobachtet).
Kein Indikator ist perfekt
Doch ein Zuviel an Indikatoren bringt keinen Vorteil. Kein Indikator ist perfekt. Nicht umsonst wird Anfängern in der Charttechnik geraten, sich nur auf wenige Indikatoren zu beschränken. Ähnlich ist es mit den Wirtschaftsdaten. Bisher hat es keine noch so ausgefeilte Datenreihe vermocht, verlässlich und mit eindeutigem zeitlichen Vorsprung den Wirtschaftsverlauf zu prognostizieren.
Doch unverdrossen machen sich die Analysten auf die Suche nach immer neuen Instrumenten. So wurden aufgrund der Globalisierung in den vergangenen Jahren Frachtindizes als Vorlaufindikatoren populär. Die Überlegung dahinter ist so einfach wie bestechend und logisch:
Nach dem klassischen Branchenzyklusmodell ist die Logistikbranche der perfekte Frühzykliker (siehe Grafik).
Quelle: Stockstreet Investment Strategie
Schwächt sich die Wirtschaft ab, wird nur weniger verkauft und damit auch weniger transportiert. Folglich könnte ein Einbruch des Frachtvolumens ein Hinweis auf eine bevorstehende Konjunkturschwäche sein.
Transportindizes sind ein alter Hut
Nun ist es etwas schwierig, das weltweite Frachtaufkommen vollständig und zeitnah zu erfassen. Also werden häufig nicht der eigentliche Indikator, sondern einfacher verfügbare Ableitungen davon verwendet. Beispiele sind Frachtraten oder Börsenkurse von Transportindizes.
Letzteres ist sogar ein ganz alter Hut. Der Ursprung der Charttechnik ging nämlich auf ein solches Verfahren zurück. Charles Dow verglich den Dow-Jones-Aktienindex (Industrie) mit dem Dow-Jones-Transportindex (beide erhielten natürlich erst später diesen Namen). Dieses Verfahren ging als Dow-Theorie in die Charttechnik ein.
Auch Preisindizes werden gerne als Indikatoren für die Transportbranche verwendet. Die Überlegung dahinter ist ebenfalls simpel: Fallen die Preise, dann ist das Transportaufkommen gesunken, weil die Nachfrage (Transportleistung) geringer wurde, aber das Angebot (Transportkapazität auf LKWs, Eisenbahnen, Schiffen) natürlich erst einmal gleichbleibt (niemand verschrottet einen LKW, weil er momentan weniger ausgelastet ist). Also steht eine Wirtschaftsabschwächung vor der Tür.
Ein zurzeit viel beachteter Frachtratenindex nach diesem Muster ist beispielsweise der Baltic Dry Index (BDI). Dieser Index reflektiert die weltweiten Schiffsfrachtraten für Stück- und Schüttgüter wie Kohle, Eisenerz, Zement u. A.
Dramatisches Auf und Ab der Frachtpreise ab 2003
Quelle: Baltic Exchange
Der Langfristchart des BDI seit 1985 zeigt relativ moderate Preisveränderungen bis 2003. Danach sprangen die Preise wild hin und her und schossen 2007 / 2008 dramatisch nach oben. Dementsprechend brach der BDI in der Krise auch massiv ein.
Sorge bereitet vielen Analysten nun der vergleichsweise starke und anhaltende Einbruch der jüngsten Zeit (hier rot markiert). Nachdem sich der Index nach dem Tief wieder stabilisiert hat, wird dieser Preisrückgang nun mit einem bevorstehenden neuerlichen Schwächeanfall der Weltwirtschaft in Zusammenhang gebracht – die „Double Dip“-Theorie erhält hierdurch neue Nahrung.
Welche Faktoren bestimmen die Frachtkosten?
Wie oben erläutert, bestimmen grundsätzlich Angebot und Nachfrage die Preise. Der Nachfrage, also Waren, die verschifft werden sollen (= Welthandelsvolumen) muss als Angebot eine adäquate Transportkapazität, also Schiffe, die das alles transportieren können (= Welthandelsflotte), gegenüberstehen. Es erscheint logisch, dass der Bedarf gelegentlich dem Angebot vorausläuft – schließlich können neue Schiffe nicht einfach über Nacht gebaut oder verschrottet werden.
Schauen wir uns jedoch die Entwicklung von Welthandel und -flotte in den letzten Jahrzehnten an (siehe folgende Grafik), dann erkennen wir, dass allenfalls der Preis-Peak 2004 und natürlich der Einbruch 2008 auf Angebots- und Nachfrageeinflüsse zurückgehen (gelbe Kreis). Die Preise schwankten allerdings auch in anderen Zeiträumen und dann teilweise viel stärker, als durch diesen Zusammenhang erklärbar ist (dargestellt sind die Jahresmittelwerte des BDI):
Quellen: Verband Deutscher Reeder, Baltic Exchange
Also scheint ein anderer Einfluss maßgeblich zu sein. Und da bei Schiffen der Treibstoff der hauptsächliche Kostenfaktor ist, liegt es nahe, den BDI mit dem Ölpreis zu vergleichen:
Quellen: MarketMaker, Baltic Exchange
Und tatsächlich liefert die Entwicklung des Rohölpreises der vergangenen zehn Jahre eine viel bessere Erklärung für den Verlauf des BDI liefert als die Entwicklung des Welthandels.
Frachtraten und Aktienmärkte
Und vergleichen wir nun noch den BDI mit dem Aktienmarkt (hier dem S&P 500), dann stellen wir insbesondere im Vergleich zum vorherigen Aufschwung 2003- 2005 fest, dass nicht jeder Einbruch des BDI auch einen entsprechenden Kursrückgang bei Aktien nach sich zieht. Eine Erkenntnis, die übrigens auch für die bisherige Rally seit 2009 gilt (siehe gelbe Kästen)...
Quellen: MarketMaker, Baltic Exchange
Fazit: Der Rückgang des BDI ist sicherlich ein Warnsignal im Kontext mit anderen Konjunkturindikatoren. Doch weder der BDI allein noch die Stärke seines jüngsten Rückganges geben belastbare Anhaltspunkte für die weitere Entwicklung der Märkte. Insbesondere, da die Aktienbörsen diesmal vor dem BDI einknickten und bereits einen deutlichen Rückgang hinter sich haben...
Und dann ist da noch die Sache mit dem Müll
Und weil das offenbar so ist, forschen die Statistiker allerorten nach neuen, „verlässlichen“ Indikatoren. Mancher landet bei dieser Suche geradewegs im Müll. So untersuchten Bloomberg-Analysten unlängst die Frachtaufkommen nordamerikanischer Eisenbahnen auf ihre Relevanz bezüglich eines Zusammenhangs zur Wirtschaftsentwicklung.
Große Überraschung! Nicht Baumaterialien, Autos oder Kraftstoffe liefern die beste Korrelation zur Veränderungsrate des Bruttoinlandsproduktes (BIP) – nein, die transportierte Müllmenge! Was einiges über unsere Lebensweise aussagt und Stoff zum Nachdenken jenseits des Börsengeschehens liefert...
Ach, übrigens – Kohle, ein wichtiges Gut, dessen Transport auch im BDI erfasst wird, landete bei dieser Untersuchung abgeschlagen auf dem letzten Platz aller berücksichtigten zehn Güter.
Steffens Daily --->stockstreet.de