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Der Summer(s) unseres Missvergnügens

In seiner heutigen Montags-Kolumne befasst sich Marshall Auerback mit einem Artikel von Larry Summers für die Financial Times. Sein Fazit: Herr Summers sollte öfters mehr lesen, „bevor er Mythen verbreitet, die von skrupellosen Leuten kontinuierlich genutzt werden, um Kürzungen der Sozialversicherung und des Gesundheitssystems zu befürworten, die weder durch wirtschaftliche Logik, noch durch empirische Beweise gerechtfertigt werden können.“


von Marshall Auerback , Übersetzung von Lars Schall

Nahezu jedes Profil, das es zu Larry Summers gibt, erzählt uns, dass er einer der brillantesten Ökonomen seiner Generation sei. Dort wird er dafür gefeiert, dass er angeblich den Boom der 1990er Jahre zu erschaffen half. Im Alter von zehn Jahren war er ein Statistik-Experte, in Harvard der jüngste Honorar-Professor, bei der Weltbank der Chefökonom – kurzum, dies ist ein Mann, den die Franzosen gewiss "un homme serieux" nennen würden.

 

Nachdem man aber seine letzte Verteidigung von Präsident Obamas Fiskalpolitik in der Montagsausgabe der Financial Times von letzter Woche gelesen hat -- "America's Sensible Stance on Recovery" –, kommt man ins Grübeln. Lediglich Robert Rubin und Alan Greenspan spielten eine noch wichtigere Rolle als Summers bei der Deregulierung und laxen Aufsicht, die die Fundamente der derzeitige Krise legten. Gewiss zieht auch der Überfluss an unschuldigen Betrugsfällen, in dem der Direktor des Nationalen Wirtschaftsrates in der Financial Times vom Montag paddelt, seine ökonomische Perspektive in Frage. Zusätzlich zu der üblichen Apologie der Clinton-Budgetpolitik, reflektiert die FT-Verteidigungsschrift auch Summers’ grundsätzlich fehlendes Verständnis modernen Geldes. Im Gegensatz zu seiner Sicht, waren die Überschüsse der 1990er Jahre nicht der Grund für den Wohlstand dieser Periode. Die Überschüsse sind das gewesen, was den Wohlstand beendete. Und bevor die Öffentlichkeit das nicht begriffen hat, sollten wir nicht erwarten, dass es zu einer grundlegenden Veränderung der Wirtschaftspolitik der Obama-Administration kommen wird.

 

Nehmen wir uns des Artikels selber an. Am Anfang befasst sich Summers mit den Kritikern, die “…have complained that the continued commitment by the administration of President Barack Obama to support recovery in the short term and also to reduce deficits in the medium and long term constitutes a 'mixed message'". Tatsächlich fährt er mit dem Argument fort: "The only sensible course in an economy facing the twin challenges of an immediate shortage of demand and a fiscal path in need of correction to become sustainable."

 

In diesem Fall spiegelt Summers die übliche Position einer Defizit-Taube wider, welche besagt, dass Defizite in Ordnung sind, solange sie über den ganzen Zyklus gesehen zurückgefahren werden und die Verschuldungsrate im Einklang ist mit dem Verhältnis der realen Zinsen zum Produktionswachstum. Indem er dieses tut, verletzt er eines von Abba Lerners Hauptgesetzen der funktionalen Finanzen: die Ausgaben und das Beleihen des Staates sollten durchgeführt werden "...with an eye only to the results of these actions on the economy, and not to any established traditional doctrine about what is sound and what is unsound." In anderen Worten gesagt glaubte Lerner, dass die ganze Idee, was eine gute Fiskalpolitik ausmacht, letztlich davon abhängt, welche Resultate man erhält. Mit dem beliebigen Hinweis auf „fiskalische Nachhaltigkeit“ hatte das nichts zu tun.

 

Die Kürzung von Defiziten, sei es jetzt oder in der Zukunft, ist kein legitimes Ziel der öffentlichen Politik einer souveränen Nation. Defizite sind (zumeist) endogen von der Leistung der Wirtschaft bestimmt. Sie kommen zum Einkommen des Privatsektors und dem finanziellen Netto-Vermögen hinzu, und auf jeden Fall wird die Entscheidung des nicht-staatlichen Sektors, mehr zu sparen, zur Reduzierung der Gesamtnachfrage führen. Alles zusammen führt zur Reduktion des BIP. Wenn nichts geschieht, um diese Entwicklung auszugleichen, werden die automatischen Stabilisatoren das Haushaltsdefizit vergrößern (oder aber den Haushaltsüberschuss verringern). Diese Art von Einsichten sollte Summers mit den Lesern der FT teilen, wenn er die wirtschaftliche Führerschaft demonstrieren wollte, die wir brauchen.

 

Als nächstes bekommen wir diese fehlgeleitete Erklärung zu lesen:

"A range of other considerations -- including the crowding out of investment; reliance on foreign creditors; misallocation of resources into inefficient public projects; and reduced confidence in long-run profitability of investments -- all make a case in normal times for fiscal prudence and reduced budget deficits.

And there are numerous examples, notably the US in the 1990s, where reducing budget deficits contributed to enhanced economic performance."

 

Wo soll man hier beginnen? Die „Verdrängungs“-These ("crowding out") wurde bereits vor 70 Jahren von Keynes widerlegt! Die Grundlage für die „Verdrängungs“-Behauptung besteht darin, dass solche Ausgaben des Staates zu einem Anstieg der Zinsraten und einem Verringern der Investitionen führen. Anders ausgedrückt, „verdrängt“ zuviel Schuldenmachen des Staates private Investitionen. Weil Investitionen für langfristiges Wachstum wichtig sind, reduzieren die Staatshaushaltsdefizite die Wachstumsrate der Wirtschaft.

 

Summers Argument reflektiert ein vollständiges Missverstehen von staatlichen Ausgaben. Zuwächse des staatlichen Defizits führen eher zur Abnahme, nicht zum Anstieg der Zinsraten. Defizitausgaben injizieren Reserven ins Bankensystem. (Und große Defizite beinhalten große Injektionen von Reserven.) Wenn das Bankensystem mit Reserven voll ist, gehen die Preise dieser Reserven – in den USA die „Federal Funds Rate[1] – gen Null, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden (wie z. B. der Verkauf von Anleihen).

 

Auch ist es fraglich, ob Haushaltsdefizite, wie es Summers suggeriert, zur Reduzierung des Vertrauens in die langfristige Rentabilität der Gesamtinvestitionen führt. Tatsächlich legen die historischen Tatsachen nahe, dass öffentliche Ausgaben bei ungenutzter Kapazität nicht nur produktiv sind, sondern auch zusätzliche Aktivitäten im Privatsektor fördern. In einer Studie zu englischen makroökonomischen Statistiken, präsentieren die Professoren Vicky Chick and Ann Pettifor überzeugende Beweise, die illustrieren, dass eine aktive Fiskalpolitik zur Beförderung des Wirtschaftswachstums beitrug und half, die englische Schuld-zu-BIP-Ratio zu REDUZIEREN. Im Gegensatz dazu kam es während Perioden, in denen der Fokus auf Schulden- und Defizitreduktion lag, zu verlangsamten Wirtschaftswachstum und die englische Schuld-zu-BIP-Ratio stieg.

 

Diese Studie bestätigt eine zentrale Schlussfolgerung von Keynes: "For the proposition that supply creates its own demand, I shall substitute the proposition that expenditure creates its own income" (Collected Writings, Volume XXIX, p. 81). Summers sollte diese Studie lesen, bevor er Mythen verbreitet, die von skrupellosen Leuten kontinuierlich genutzt werden, um Kürzungen der Sozialversicherung und des Gesundheitssystems zu befürworten, die weder durch wirtschaftliche Logik, noch durch empirische Beweise gerechtfertigt werden können.

 

Es trifft auch nicht zu, dass wir auf ausländische Kreditgeber, insbesondere China, angewiesen sind, um unsere Ausgaben zu „finanzieren“. Das ist noch so eine andere schreckliche, aber eminent vorhersehbare Zeitungsente, die von Summers verbreitet wird. Die Folklore, in der er sich versucht, passt zur öffentlichen Debatte, die davon ausgeht, dass niemand mehr unsere Schulden haben will und dass das Ende von Amerika gekommen ist, wie wir es kennen, wenn China endlich seine US-Anleihen abstößt. Allerdings ist Summers Kausalität gänzlich falsch: zuerst kommen die Ausgaben des Staates, die Verschuldung (in Form des Anleihenverkaufs) kommt danach. Die Herausgabe von Anleihen ist eine Strategie zur Zins-Beibehaltung der Zentralbank. Ihre Herausgabe korrespondiert mitnichten mit irgendeiner Notwendigkeit zur Finanzierung der Staatsausgaben. Die Währung, in der die Schulden angegeben werden, und NICHT die Währung desjenigen, der die Schulden hält, ist hier von Belang.

 

Wie des Weiteren Bill Mitchell wiederholt argumentierte, importieren die Amerikaner Güter, die in China hergestellt werden, anstatt sie Vorort herzustellen, da sie annehmen, dies sei in ihrem besten Interesse. Auf die gleiche Weise „finanziert“ das derzeitige amerikanische Bilanzdefizit das chinesische Verlangen nach der Akkumulation von finanziellen Forderungen, die in US-Dollar angegeben werden. Die Standartauffassung nimmt das genaue Gegenteil an, nämlich dass die Ausländer die hiesigen Ausgabenmuster finanzieren. Unglücklicherweise glauben Leute wie Summers das Letztere, womit sie Peking erlauben, uns zum Narren zu halten.

 

Gut für China. Es spielt, im Gegensatz zu uns, eine schwache Hand gekonnt aus. Die Federal Reserve ist es, die die Zinssätze in den USA festlegt, und sie kann jeden nominalen Zinssatz festlegen, der ihr gefällt, ganz unabhängig von der Größe des Budgetdefizits (oder der Schulden). Und das trifft nicht nur auf die Fed zu, sondern auch auf jede andere Zentralbank, die ihre eigene frei-flottierende, nicht-konvertierbare Währung herausgibt.

 

Selbstverständlich kann kein Artikel von Summers vollständig sein, würde er nicht die üblichen Behauptungen nahezu aller Clintonistas wiederholen, namentlich vor allem die Behauptung, dass die Reduzierung der Haushaltsdefizite dazu beitrug, die Wirtschaftsleistung zu steigern.

Nein, tat es nicht. Der Haushaltsüberschuss des Staates bedeutete, dass der Privatbereich ein Defizit unterhielt. Haushalte und Firmen verschuldeten sich immer weiter. Das Wachstum war das Resultat einer Privatschuldenblase, die im Umkehrschluss eine Aktien- und Immobilienblase nährte, deren Zusammenbruch die heutigen Schwierigkeiten schuf. Diese destruktive Fiskalpolitik verursachte eine Rezession, weil der Privatsektor zu sehr verschuldet wurde und daher seine Ausgaben reduzierte. In Wirklichkeit ging die Wirtschaft binnen eines halben Jahres in die Rezession, nachdem Clinton aus dem Amt geschieden war.

 

Ebenso ist keine Kritik am staatlichen Defizit je vollständig ohne die übliche Besorgnisbekundung bezüglich unserer Urenkel. Auch hier enttäuscht Summers nicht: "Fiscal responsibility is not only about our children and grandchildren. Excessive budget deficits, left unattended, risk weakening our markets and sapping our economic vitality." Wie wir bereits zuvor häufiger argumentierten, darf man getrost vergessen, dass der zukünftige Schuldendienst zum Joch künftiger Generationen wird. Ausgaben-Falken und Defizit-Tauben strangulieren gleichermaßen das Baby bereits heute in der Wiege, indem sie der Plage der derzeitigen Generation eine sensible fiskalische Reaktion verweigern. Die Armut von heute vererbt sich weiter. Das ist in Kürze gesagt, was wirklich unsere langfristige wirtschaftliche Vitalität auslaugt. Der einzige Weg, um diese fortwährende Plage zu vermeiden, besteht darin, wieder eine Vollbeschäftigungspolitik voranzubringen und damit aufzuhören, sich von jenen ökonomischen Shibboleths versklaven zu lassen, die Leute wie Summers und seinesgleichen rücksichtslos propagieren.

[1] Mit der “Federal Funds Rate“ ist der Zinssatz gemeint, unter dessen Konditionen die US-amerikanischen Banken einander Geld verleihen. Eine andere Bezeichnung für diesen Sachverhalt, bei dem es darum geht, dass die Banken ihre Mindestreserveverpflichtungen einhalten, ist der Overnight Credit.

www.chaostheorien.de

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