Unterwegs in der Stadt, die angeblich niemals schläft. Eindrücke vom Times Square, Ground Zero, Wall Street: Eigentlich könnte man den Finanzdistrikt gleich einmauern, dann hätte man alle Gauner auf einen Schlag gefangen.
Inspektion eines Schlaglochs in New York
Manhattan 5Uhr30 morgens. Ich sitze an einem provisorischem Tisch vor meinem Hotel: Kaffee, Kippe, Laptop. Jetlag. Plötzlich ein lauter Knall, es scheppert. Guten Morgen, New York.
Ich starre auf die Straße vor mir und sehe ein Auto, dessen Vorderrad seitlich rausgequetscht wurde. Das Vehikel liegt auf der Achse und kann sich nicht mehr bewegen. Ursache: ein tiefes Schlagloch. Das Auto ist Schrott.
Nun ist das Hotel an dieser Straße nicht irgendeine Billig-Bleibe in der Bronx, sondern eine 5-Sterne Herberge im hippen „Meatpacking District“, mitten in New York, 14. Straße. Schon so mancher Tourist scheint vor diesem Nobelbunker sein Auto zu Schrott gefahren zu haben – kleiner Trost: zum Hoteleingang sind’s nur wenige Meter.
Ich frage den Concierge, warum nicht wenigstens ein Gefahrenschild aufgestellt wird und ernte nur ein unbeteiligtes Achselzucken. Das Hotel (Gansevoort) wähnt sich als eine der Top 400 Herbergen weltweit. Jedoch dürfte es das einzige mit Schlagloch am Hotelportal sein.
Mit zunehmenden Verkehr hopsen LKWs darüber, kratzen Stoßstangen die Straße. Besonders interessant, wenn ein Taxi (diese alten gelben, gut gefederten Karren) das Schlagloch voll erwischt: Die sind so gut gefedert, dass die Hinterachse kurz in der Luft hängt, wenn die Stelle optimal passiert wird. Für europäische und japanische Hersteller wird das Schlagloch jedoch zur Todesfalle. Es wundert mich, dass an dieser Ecke nicht gleich ein Abschleppunternehmen aufmacht. Der Markt ist jedenfalls da.
Business as usual ansonsten in New York. Ich spaziere den Broadway rauf und runter. Einige Läden sind leer, auch an Büroraum scheint es keinen Mangel zu geben. Time Square, die Werbehölle auf Erden. Zig Mega-Flatsceens donnern die Sinne zu. Touristenattraktion? Wahnsinn!
Einige Blocks weiter beginnt der Central Park. An der Ecke 5th Avenue prangt ein großer silberner Apfel. Glastreppen führen in einen Abgrund. Die Apple Zentrale in New York. Jedoch ist es nicht einfach, in den Keller der Glückseligkeit zu gelangen. Der Sektenführer hat nämlich eine kilometerlange Schlange organisiert. Was wollen die Leute? Das iphone4!
In der Schlange stehen viele chinesische Touristen. Mit manischer Begeisterung harren sie des Einlass. Das kann Stunden dauern. Ich weise einen der Asiaten darauf hin, dass dieser unhandliche Elektromüll doch in China hergestellt würde und sie das Zeug doch besser dort kaufen sollten. Doch der Angesprochene schaut nur völlig entgeistert. Typischer Fall von Apple-Fieber.
Die andere Seite des Broadways endet in der Gegend um das ehemalige World Trade Center. Dort wird kräftig gebaut. Auch nach fast 10 Jahren immer noch faszinierend, wie chirurgisch sauber die Gebäude eingestürzt sind, ohne Nachbargebäude in Mitleidenschaft zu ziehen. Das hätte wirklich kein Sprengmeister besser gekonnt.
Ich bin auf der Suche nach einem vernünftigen Espresso. Im Land von Plörre und Plastik kein einfaches Unterfangen. Es sind zwar viele Italiener eingewandert, allerdings erwies sich der klassische Espresso wohl als zu margenschwach. Braune Brühe in Plastikwegwerfeimern fließt dagegen im Überfluss. (Das ist das, was die Amerikaner „Kaffee“ nennen). Starbucks boykottiere ich schon seit ewigen Zeiten.
Der Finanzdistrikt mit der berühmten Wall Street. Die üblichen Verdächtigen sind hier versammelt. Von AIG bis „Zitibank“. Eigentlich könnte man die Gegend gleich einmauern, dann hätte man alle Gauner auf einen Schlag gefangen. In der Tat: Es muss hier auch mal eine Mauer gegeben haben, denn die Wall Street trägt ihren Namen sicher nicht zu unrecht.
Ich treffe Doug und Larry, Holzunternehmer. Ob es in den USA tatsächlich bergauf ginge, will ich wissen. Sie winken ab: Es würden derzeit keine Häuser mehr gebaut, ihr Geschäft liefe schlecht. Sie glaubten nicht an einen Aufschwung und befürchten eher, dass es weiter bergab gehe. Trotzdem sähen sie nicht pessimistisch in die Zukunft, versicherten sie mir mit dem typischen amerikanischen optimistisch-breiten Lächeln im Gesicht.
Vor den beiden liegt je ein Blackberry wie eine Waffe auf dem Tisch. Jeder Amerikaner hat entweder ein iphone oder ein Blackberry. Und jeder Amerikaner tippt unablässig irgendwelche Messages in die Dinger, beim Gespräch, beim Gehen und Stehen – überall. Wahrscheinlich sogar auf dem Klo. In den USA wurde zwar 1865 die Sklaverei offiziell abgeschafft. Die Onlineversklavung hat allerdings gerade erst begonnen.
New York, Schmelztiegel der Kulturen. Alle Farben, alle Rassen, alle Religionen. Friedlich leben sie hier in einer Stadt. Sie mögen zwar unterschiedlicher Herkunft sein, doch sie alle eint der Glaube an das Geld. Viel Geld. Das ist der einzige Grund warum sie hier sind. Das trifft sogar auf die hübsche Armenierin zu, die gegenüber in der Pizzeria als Platzanweiserin arbeitet. „Why are you here?“ möchte ich von ihr wissen. „To make some money“ – lautete die Antwort. Ob es in ihrer Heimat nicht schöner sei, frage ich nach. Die Antwort war ein verlegenes, fast trauriges Lächeln.