Thorsten Polleit: Die Abkühlung der US-Wirtschaft, das mögliche Platzen der Immobilienkrise in China und die Verschuldungskrise in Europa könnten die Weltwirtschaft abwürgen. Dax kann auf 4500 Punkte fallen.
Die Abkühlung der US-Wirtschaft, das mögliche Platzen der Immobilienkrise in China und die Verschuldungskrise in Europa könnten nach Ansicht des Chefvolkswirts von Barclays Capital, Thorsten Polleit, die Weltwirtschaft abwürgen. In einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin FOCUS-MONEY sagte er: „Die weltweiten Abschwächungstendenzen nehmen immer mehr zu, keine Frage. Noch deutet zwar alles auf eine Wachstumsdelle hin. Fallen die Notfallmaßnahmen der Regierungen und Notenbanken weg, spätestens dann wird der Scheinaufschwung erneut in eine Rezession abtauchen. Danach sieht es momentan sehr stark aus.“
Skeptisch ist der Ökonom auch für Deutschland. „Wir sollten uns alle von dem Ausnahmequartal nicht täuschen lassen“, sagte Polleit über das starke Wachstum in zweiten Quartal 2010. Erstens werde sich das Wachstum im zweiten Halbjahr abschwächen.
Zweitens bliebe das Trendwachstum mit 0,75 Prozent weiter niedrig. Als Trendwachstum wird jene Wachstumsrate bezeichnet, die durchschnittlich erreichbar ist. Das Trendwachstum ergibt sich aus der Investitionsquote, dem Bevölkerungswachstum und dem Bildungsstand der Bevölkerung. „Das ist wenig im internationalen Vergleich. Es ist etwa so hoch wie das Japans, das sich de facto bis heute nicht von der Wirtschaftskrise in den 90er-Jahren erholt hat. Von einem Wirtschaftswunderland, wie viele Volkswirte Deutschland nur wegen ein paar guter Quartalszahlen bezeichnen, kann keine Rede sein“, so Polleit.
Wenn überhaupt, dann würden sich die Zuwächse allenfalls auf das durchschnittliche Trendwachstum der vergangenen Jahre einpendeln, also auf weniger als ein Prozent pro Jahr. „In Deutschland schrumpft bereits die Bevölkerungszahl, der Faktor also, der bisher entscheidend für den Zuwachs der Produktion war, ist jetzt sozusagen im Rückwärtsgang“, sagte der Barclays-Volkswirt.
Dies alles würde die Kapitalmärkte unter Druck setzen. “Ich halte es derzeit für unwahrscheinlich, dass von nun an die Aktienmärkte weiter systematisch ansteigen. Ich rechne sogar noch mit deutlich niedrigeren Kursen“, sagte Polleit. „Meine persönliche Einschätzung ist, dass es erst noch mal runtergeht, bevor es wieder raufgeht, also dass der Dow Jones in den nächsten sechs Monaten noch auf etwa 8500, der Dax auf 4500 Punkte fallen kann“, so der Volkswirt im FOCUS-MONEY-Interview.