Altkanzler Helmut Schmidt: „Wir brauchen Rente mit mindestens 67 dringend“. Kritik an Position der SPD. Warnung vor einer zu schnellen Senkung der Staatsverschuldung. Euro sei „eine völlig ungefährdete Währung“
Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) sieht in der Rentenpolitik „ein schweres Versäumnis der politischen Führung. Das fängt an mit der Regierung Schröder, setzt sich fort mit der Regierung Merkel/große Koalition und setzt sich insbesondere bei dem jetzigen albernen Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb fort“, sagte Schmidt in einem Interview mit der WirtschaftsWoche. An einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit führe kein Weg vorbei. „Wenn es bei 67 bleibt, haben wir aber Glück gehabt“, so der Altkanzler. Die Regierung erkläre nicht, dass „wir die Rente mit mindestens 67 dringend brauchen. Und meine Partei ist da heute leider auch nicht besser."
Im WirtschaftsWoche-Interview zitiert Schmidt aus dem Protokoll einer Sitzung des Parteivorstandes von 1975, in der er bereits vor den Folgen des demografischen Wandels gewarnt hatte. „Man hat alles damals schon gesehen, was sich erst im Lauf der nächsten Jahrzehnte im öffentlichen Bewusstsein mitteilt. Allerdings stand das damals auch nicht so in der öffentlichen Regierungserklärung.“ Die öffentliche Meinung sei „absolut unwillig“ gewesen, das Thema aufzunehmen. „Die CDU hat nicht mitgemacht und die Sozis auch nicht.“
Keine akute Gefahr sieht der frühere Regierungschef für den Euro. „Der Euro ist im Gegensatz zu vielerlei dummem Geschreibsel, insbesondere in englischen Zeitungen, in Wahrheit eine völlig ungefährdete Währung“, so Schmidt in der WirtschaftsWoche. Er sei die zweitwichtigste Währung der Welt. „Es liegt überhaupt kein Grund vor, von einer Krise des Euro zu reden.“ Ausgelöst worden sei die Euro-Krise durch „das Herdenverhalten der Finanzmanager. Plötzlich findet einer: Die Griechen sind zu hoch verschuldet, da kann was schiefgehen. Also verkaufe ich alles, was griechisch aussieht. Einer macht’s dem anderen nach, und plötzlich ist Griechenland in einer großen Verschuldungskrise.“
Der studierte Ökonom Schmidt warnt davor, die Staatsverschuldung angesichts der Wirtschaftskrise zu schnell zurückzuführen. „Am Patienten Weltwirtschaft sind an die 200 Regierungen beteiligt, davon sind 40 wichtig. Und alle reagieren etwas anders. Sie haben die gegenwärtige Art von Krankheit noch nie erlebt.“ Man müsse vorsichtig sein. „Ein schnelles Zurückfahren der Verschuldung für die ganze Welt hat noch niemand je probiert. Die Risiken sind gar nicht übersehbar. Da würde ich vorsichtig sein – die nächsten drei Jahre.“
Zugleich mahnte der Altkanzler eine strengere Regulierung der Finanzmärkte an. „Die Autonomie der handelnden Subjekte, die auf den kurz- und langfristigen Finanzmärkten handeln, sind zu einem solchen Maße zu kontrollieren und zu regulieren, dass sie keine Weltrezession auslösen können.“ 2008 sei es durch das entschlossene Handeln der Regierungen und der Zentralbanken gelungen, eine solche Weltrezession zu verhindern. „Alle haben gleich gehandelt, Liquidität geschaffen – zum Zinssatz null. Und haben all diese größenwahnsinnigen und habgierigen Banken, fast alle, gerettet.“ Das Handeln mit Derivaten sollte beschränkt werden auf börsennotierte Papiere. „Dass ich etwas verkaufe, das ich nicht habe und dessen Wert niemand kennen kann, dessen Wert man in der Bilanz so oder so ansetzt, je nachdem, wer gerade das Sagen hat – das darf es nicht geben.“