Barclays-Chefökonom sieht Irland vor „außergewöhnlichen Herausforderungen“. Thorsten Polleit sieht trotz der großen Nachfrage nach irischen Staatsanleihen den Inselstaat noch lange nicht über dem Berg.
Der Chefvolkswirt von Barclays Capital Deutschland, Thorsten Polleit, sieht trotz der großen Nachfrage nach irischen Staatsanleihen den Inselstaat noch lange nicht über dem Berg. „Sollten weitere unerwartete Verluste auftreten, oder sich das Wirtschaftswachstum deutlich verschlechtern, oder die Zinsen auf irische Anleihen weiter deutlich ansteigen, ist nicht auszuschließen, dass die irische Regierung finanzielle Unterstützung von Seiten der EU oder des IWF sucht“, sagte Polleit Handelsblatt Online. „Das Anfordern einer solchen Hilfe dürfte jedoch die Märkte weiter verunsichern, weil es ein Zeichen wäre, dass die irische Regierung keine anderen Optionen mehr zu Verfügung hat.“
Optimistischer fällt die Analyse des Chefvolkswirts der Commerzbank, Jörg Krämer, aus. Zwar fielen derzeit die Immobilienpreise in Irland, was die irischen Banken und letztlich den Staat belaste. „Aber Irland hat einen sehr flexiblen Arbeitsmarkt, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen sind anders als in Griechenland sehr attraktiv“, sagte Krämer Handelsblatt Online. Außerdem verfüge der irische Finanzminister über ein großes Liquiditätspolster: Es reiche aus, um das erwartete Haushaltsdefizit und die fälligen Schuldentilgungen bis Mitte nächsten Jahres zu finanzieren. „Wir glauben deshalb nicht, dass Irland das nächste Griechenland wird“, sagte Krämer.
Barclays-Chefökonom Polleit wies dagegen darauf hin, dass Investoren vor allem Zweifel hätten, ob ihre ursprüngliche Einschätzung der Restrukturierungskosten des irischen Bankenapparates richtig gewesen war. Die Kapitalmärkte seien vor allem besorgt über den Effekt der schwachen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Irlands auf die Qualität der Kredite, die irische Banken in ihren Bilanzen halten und die finalen Kosten für die Rettung der Anglo Irish Bank.
Problematisch sei auch die Haushaltssituation: „Die irischen Staatsfinanzen stehen in der Tat vor außergewöhnlichen Herausforderungen“, sagte Polleit unter Hinweis auf Analysen seiner Abteilung. Demnach sind in der Zeit von 2010 bis 2014 kumulative Primärüberschüsse in Höhe von 11,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erforderlich, damit die irische Schuldenquote nicht aus dem Ruder läuft. Zum Vergleich: In neun Jahren (1981 bis 1989) erzielte Irland Primärüberschüsse in Höhe von kumuliert 11,4 Prozent.