Sarrazin rechnet mit Gegnern ab: “Beispiellose Kampagne aus der Spitze des Staates“. “Manchmal habe ich den Eindruck, wir sind auf dem Weg in die Duckmäuser-Republik“. Ex-Bundesbank-Vorstand kritisiert Bundespräsident Wulff wegen Aussagen zum Islam: “Bundespräsident hat über nicht sehr erfreuliche Zustände eine Harmonie-Kitsch-Sauce gegossen“.
Berlin. Der frühere Bundesbank-Vorstand und SPD-Politiker Thilo
Sarrazin hat mit seinen Gegnern aus der Politik abgerechnet.
“Ich habe mein Amt aufgegeben, weil nach der beispiellosen Kampagne
aus der Spitze des Staates ein gedeihliches Arbeiten im Vorstand
der Bundesbank nicht mehr möglich gewesen wäre“, sagte Sarrazin
im Interview mit BILD am SONNTAG. “Ich habe keinen Streit angefangen,
sondern schwierige Sachverhalte schlüssig dargelegt. Der Zorn
kam nicht von mir, sondern von meinen Gegnern in Politik und
Medien.“ Sarrazin fügte hinzu: “Wer, wenn nicht einer wie ich
- 65 Jahre alt, politisch erfahren und ohne materielle Bedrohungsängste
- soll denn in Deutschland unangenehme Wahrheiten aussprechen?
Manchmal habe ich den Eindruck, wir sind auf dem Weg in die Duckmäuser-Republik.“
Scharf kritisierte Sarrazin das Verhalten von Bundespräsident
Christian Wulff während seines Türkei-Besuchs: “In der Türkei
wurde und wird der christliche Glaube bestenfalls geduldet. Die
Zahlen sprechen da eine deutliche Sprache: Gab es 1914 noch 25
Prozent Christen in der Türkei, sind es heute gerade noch 0,2
Prozent. Und an der deutschen Schule in Istanbul ist seit einigen
Jahren der Deutschunterricht in den unteren Klassen verboten.
Der Bundespräsident hat über diese nicht sehr erfreulichen Zustände
eine Harmonie-Kitsch-Sauce gegossen.“
Auch die Äußerungen von Wulff in der Islam-Debatte wies Sarrazin
zurück: “Es ist falsch zu sagen, dass der Islam zu Deutschland
gehört. Die deutsche Kultur ist weitgehend ohne Bezug auf den
Islam entstanden. Die Tatsache, dass bei uns Millionen Mitbürger
islamischen Glaubens leben, ändert daran nichts. Ministerpräsident
Erdogan hat die Türken hier vor einer Anpassung an Deutschland
gewarnt.“Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach Sarrazin das Sachinteresse
für die Integrations-Debatte ab: “Angela Merkel hat nicht nur
mein Buch kritisiert, sie hat auch die Bundesbank indirekt aufgefordert,
mich aus dem Vorstand zu entfernen. Außerdem hat sie öffentlich
erklärt, dass sie mein Buch nicht gelesen hat und auch nicht
lesen wird. Daran mögen Sie das Interesse der Kanzlerin an der
Sache, um die es hier geht, ablesen.“
Zu Forderungen von SPD-Chef Sigmar Gabriel, Ausländer, die sich
nicht anständig benehmen, auszuweisen, sagte Sarrazin: “Wer sich
auf dem Kurfürstendamm in der Nase bohrt, kann sicher nicht ausgewiesen
werden. Aber im Ernst: Ich warte ab, was von den aktuellen Äußerungen
aus der Politik opportunistische Anpassung an eine auch durch
mein Buch offenkundig gewordene Stimmung und was ernst gemeinter
Handlungswille ist. Das gilt für alle Parteien. Die Gleichheit
der Reaktionen in Union und SPD beobachte ich mit Amüsement.“