Die Geheimpapiere des US-Außenministeriums: Es ist der GAU für die amerikanische Außenpolitik. 251287 Botschaftsdepeschen, viele davon als vertraulich oder geheim eingestuft, werden von diesem Montag an weltweit veröffentlicht. - Hillary Clinton verlangte von ihrem Diplomatischen Corps, sich auch als Spione zu bewähren.
Es ist der GAU für die amerikanische Außenpolitik: 251287 Botschaftsdepeschen, viele davon als vertraulich oder geheim eingestuft, werden von diesem Montag an weltweit veröffentlicht, in Deutschland vom Nachrichten-Magazin Der SPIEGEL und von SPIEGEL ONLINE. Die Dokumente, in denen US-Botschafter aus aller Welt heikle Informationen etwa über internationale Waffengeschäfte, aber auch Einschätzungen politischer Entwicklungen oder die Korruption des politischen Führungspersonals an das Washingtoner Außenministerium melden, waren der Enthüllungsplattform WikiLeaks zugespielt worden.
Die Berichte, die zum größten Teil den Zeitraum von 2003 bis Ende Februar 2010 beleuchten, bieten ein Kompendium, das Amerikas zuweilen arroganten Blick auf die Welt festhält. Wohl niemals zuvor haben so viele politische Enthüllungen auf einen Schlag die Führung des amerikanischen State Department in Verlegenheit gebracht.
Da ist der US-Botschafter in Moskau, der klare Worte zur Rivalität des Moskauer Führungsduos von Präsident Dmitrij Medwedew („blass, zögerlich“) und Ministerpräsident Wladimir Putin („Alpha-Rüde“) findet. Da enthüllen Amerikas Diplomaten, dass der Versuch, die Guantanamo-Flüchtlinge in mehreren Ländern unterzubringen, in einem regelrechten Basar mündete: Biete Aufnahme gegen höhere Entwicklungshilfe oder einen Besuch von Präsident Barack Obama. Da berichten amerikanische Diplomaten aus Ostasien, dass es in der Pekinger Führung durchaus Stimmen gibt, die die Eskapaden ihres nordkoreanischen Verbündeten Kim Jong Il satthaben und sich eine Wiedervereinigung unter der Kontrolle Südkoreas durchaus vorstellen können.
Die Emissäre von Außenministerin Hillary Clinton pflegen ihren unbestechlichen, zuweilen tiefschwarzen Blick auf ihr Gastland. Ganze Staaten, Kenia zum Beispiel, erscheinen durch die Brille des US-Botschafters als ein einziger korrupter Sumpf. Die Türkei befindet sich, glaubt man den düsteren Prognosen der Botschaft in Istanbul, auf einem abschüssigen Weg in einen unberechenbaren Islamismus, vorangetrieben von einer engstirnigen Regierung unter Premier Recep Tayyip Erdogan, der sich angeblich auf eine Kamarilla inkompetenter Berater verlässt.
Selbst das Führungspersonal eines so engen Verbündeten wie Deutschland kommt in den Papieren schlecht weg. Da schwärzen sich Mitglieder der Berliner Regierungskoalition gegenseitig vor dem US-Botschafter Philip Murphy an, etwa wenn Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Kollegen, Außenminister Guido Westerwelle, verpetzt, der sei das wahre Hindernis für die von den Amerikanern gewünschte Erhöhung des deutschen Streitkräftekontingents in Afghanistan.
Auch zu Angela Merkel pflegen die Amerikaner eine eher distanzierte Freundlichkeit: Ein Botschaftsbericht beschreibt die deutsche Kanzlerin als risikoscheu und „selten kreativ“. Zuweilen überschreiten die Botschaftsaktivitäten der Amerikaner auch den Rahmen des diplomatisch Zulässigen. So verlangt Hillary Clinton von ihrem Diplomatischen Corps, sich auch als Spione zu bewähren. Die Botschaftsangehörigen sollen ihrem Amt auch alle greifbaren persönlichen Details des Uno-Personals beschaffen, Kreditkarten- und Vielfliegerkundennummern inklusive.
Am brisantesten aber sind die Papiere, wenn sie Entwicklungen in den großen Weltkrisen beschreiben. Im Nahen Osten, so berichten die US-Botschafter, sind es keineswegs nur Israelis, die den Griff des Teheraner Mullah-Regimes nach der Atombombe fürchten. Über die unheimlichen Nachbarn redet niemand zorniger als die Araber, die sich von den Amerikanern vor allem Waffen wünschen.
In Pakistan dagegen haben es die Amerikaner mit einem Regime zu tun, bei dem sie nicht jederzeit wissen, ob sie es beim Kampf gegen den Terror mit Verbündeten oder mit Gegnern zu tun haben. Immer wieder berichten die Diplomaten von politischen oder militärischen Verbindungen der Pakistaner zu den afghanischen Taliban.
Und im Jemen schließlich lassen sich die Amerikaner – wider besseres Wissen – in den Kampf des Präsidenten Ali Abdullah Salih gegen die Huthi im Norden des Landes einspannen, obwohl ihre Waffenhilfe angeblich nur dem Kampf gegen die im Jemen besonders aktive Al Qaida dient.
„Diplomatie in Aktion“ nennt das Außenministerium seine umfassende Sammlung von nun veröffentlichten Depeschen und zeigt sich „sehr, sehr entsetzt“ darüber, dass die Berichte bekannt geworden sind. Doch daran sind die Amerikaner nicht unschuldig. Um den Kommunikationsfluss zwischen den verschiedenen Behörden zu verbessern, schufen sie ein eigenes Internet für Geheimdokumente, auf das allerdings 2,5 Millionen US-Bürger Zugriff hatten. Die Enthüllung der Botschaftsdokumente war ein Unfall, der früher oder später geschehen musste.
US-Diplomaten spionieren die Vereinten Nationen aus
Amerikanische Diplomaten sollen im Auftrag von US- Außenministerin Hillary Clinton die Diplomaten anderer Länder bei den Vereinten Nationen ausspähen. Das sieht der „Nationale Beschaffungsplan unter Einsatz menschlicher Quellen“ („National Humint Collection Directive“) vor, den Clinton abgezeichnet hat und der seit dem 31. Juli 2009 gilt. Er liegt dem SPIEGEL vor. Zu den zu sammelnden Informationen zählen persönliche Kreditkarteninformationen, Vielflieger-Kundennummern sowie E-Mail- und Telefonverzeichnisse.
In vielen Fällen fordert das US-Außenministerium sogar „biometrische Daten“ und „Passwörter für Verschlüsselungen“ an. In den USA werden unter „biometrischen Daten“ unter anderem Fingerabdrücke, Porträtfotos und Scans der Augeniris verstanden.
Auch Auskünfte über die Pläne und Absichten von Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon und seinem Sekretariat zu Themen wie dem Iran sind Teil der ausführlichen Wunschliste aus dem US-Außenministerium. Die Anweisung ging an 30 US-Botschaften weltweit, von Amman über Berlin bis Zagreb. Das umfangreiche Dokument zeigt auch, welche Uno-Themen die US-Regierung besonders interessieren. Dazu gehören „Darfur/Sudan“, „Afghanistan/Pakistan“, Somalia, Iran und Nordkorea. Ähnliche Ausspäh-Direktiven finden sich auch für Paraguay und Palästina, für acht westafrikanische Staaten wie Burkina Faso, Mauretanien und Senegal sowie für diverse Staaten Osteuropas.
Als Begründung für die Spitzelaufträge gibt Clinton an, dass ein Großteil der Informationen, mit denen die amerikanischen Geheimdienste arbeiten, aus den weltweit zusammengetragenen Berichten von Außenamtsmitarbeitern stamme.