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Inflation erzeugt Aufstand

Aktuell nähert sich der Getreide-Index dem Preishoch aus dem Jahr 2008. Lebensmittelpreis-Inflation spitzt sich in Asien zu. - Nichts fürchtet die Politik mehr als steigende Lebensmittelpreise. Das gilt nicht nur für Indien, sondern auch für China. - Inflation trifft zuerst diejenigen, die am Existenzminimum leben. Inflation macht diese Schicht wütend.

 

Von Robert Rethfeld

Vor knapp drei Jahren, im April 2008, warnte die UN vor einer weltweiten Hungersnot. 100 Millionen Menschen seien bedroht. Zudem seien die Preise in den Entwicklungsländern um 100 Prozent gestiegen. Warnungen bezüglich gewaltsamer Unruhen ergingen.

Ein Sprung in den Januar 2011. Wieder beginnen die hohen Lebensmittelpreise in den Entwicklungs- und Schwellenländern für mediale Aufmerksamkeit zu sorgen. Spiegel Online berichtet von einer „Preisexplosion bei Lebensmitteln“. In Asien fürchte man Hungersnöte.

Ein Blick auf die Charts zeigt die Entwicklung. Im April 2008 hatte der Getreideindex eine einjährige Preisverdoppelungsphase hinter sich (siehe roten Pfeil folgender Chart). Diese bedeutete praktisch das Preishoch.

Aktuell nähert sich der Getreide-Index dem Preishoch aus dem Jahr 2008. Die Bewegung verläuft schneller und kräftiger als damals: In den 6 Monaten seit Juli 2010 wurden 80 Prozent des Anstiegs von 2008 vollzogen. Zudem haben Zucker, Baumwolle und Kaffee ihre 2008-Hochs deutlich hinter sich gelassen, genauso wie Gold und Silber.

Der Reispreis zeigt im Vergleich zu anderen Getreidesorten relative Schwäche. Das Preishoch aus dem Jahr 2008 ist noch längst nicht erreicht.

Zöge der Reispreis an, würde sich die Inflationsproblematik in Asien verschärfen. Zwischenfazit: Die Aufwärtsdynamik der Rohstoffpreise erscheint intakt.

Nichts fürchtet die Politik mehr als steigende Lebensmittelpreise. Das gilt nicht nur für Indien, sondern auch für China. Unruhen in China sind eine Vorstellung, die der chinesischen Führung schlaflose Nächte bereitet. China hat 1,2 Milliarden Einwohner. Der Parteiführung ist klar, dass sie im Falle eines koordinierten Aufstandes nur eine geringe politische Überlebenschance hätte. Aus diesem Grund wird versucht, die Preisentwicklung – und damit auch die Wirtschaftsentwicklung – mit allen Mitteln zu bremsen. Zins- und Steuererhöhungen sowie die Erhöhung der Mindestreservesätze zählen zu den gewählten Mitteln.

Warum sollte Inflation Unruhen auslösen? Essen, Trinken und Schlafen zählen zu den Grundbedürfnissen eines Menschen. Diese und weitere Bedürfnisse hat Abraham Maslow in seiner Bedürfnispyramide dargestellt. Menschen, die am Existenzminimum leben, kommen häufig über die erste Stufe (Grundbedürfnisse) kaum hinaus.

Quelle: Wikipedia

Wie entwürdigend ist es, wenn man feststellt, dass der eigene Lohn aufgrund einer Teuerung nicht mehr reicht, um die eigene Familie zu ernähren? Menschen, die zuvor leidlich zu essen hatten, geraten ohne eigenes Verschulden in eine Notsituation.

Während Hunger physische Schmerzen bereitet, lässt ein „Downgrade“ einen Menschen aus psychologischer Sicht leiden. Vier Bedürfnisebenen höher („Anerkennung und Wertschätzung“) sieht das so aus: Es schmerzt, wenn das großes Auto in ein kleines Auto eingetauscht werden muss, weil das Geld knapper wird. Wenn man seinen Arbeitsplatz verliert, muss man zwar in unserer Gesellschaft nicht hungern. Das Selbstbewusstsein leidet jedoch.

Inflation trifft zuerst diejenigen, die am Existenzminimum leben. Inflation macht diese Schicht wütend. Steigt die Inflation weiter, beginnt sich zusätzlich die Mittelschicht Sorgen zu machen. Allgemeine Unruhe kommt auf.

Betrachten wir Bangladesh. Im Jahr 2007 bescheinigte Verkaufstalent Jim O’Neill (Goldman Sachs), dass Bangladesh als „Next 11-Mitglied“ in Zukunft zu den größten Volkswirtschaften der Welt gehören dürfte. Seit Mitte Dezember fallen die Kurse an der Börse in Dhaka dramatisch. Der Leitindex hat innerhalb eines Monats 30 Prozent verloren. Die Ausschreitungen auf den Straßen nehmen zu, da viele Anleger ihre Ersparnisse verloren haben.

Das Land östlich von Indien ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Inflation steigt rasant. Die Toleranz gegenüber steigenden Inflationsraten ist gering. Die Bevölkerung ist nicht in der Lage, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben als zuvor. Also wird weniger konsumiert.

Die Inflationstoleranz (also die Fähigkeit, Inflation über Löhne und Ersparnisse auszugleichen) dürfte bei der Mehrheit der indischen Bevölkerung nur unwesentlich höher ausgeprägt sein als in Bangladesh. Die Lebensmittelinflationsrate beträgt in Indien 18,3%. Der indische Aktienmarkt zeigt seit Anfang des Jahres eine fallende Tendenz.

Das ist erklärbar: Aktienmärkte zeigen ihre beste Performance in einem Umfeld niedriger Inflationsraten. Für die USA beträgt dieser Korridor 2 bis 5 Prozent. Inflationsraten unter 2 Prozent oder gar Deflation bringen die US-Aktienmärkte genauso ins Stocken wie Inflationsraten oberhalb von 5 Prozent. Im Falle anderer internationaler Märkte dürfte ein ähnlicher Korridor vorliegen.

Der „Case in Point“ ist Indonesien. Das mit 242 Millionen Einwohnern an vierter Stelle der Bevölkerungsstatistik stehende Land weist im Dezember einen Anstieg der Inflationsrate auf 7 Prozent auf. Die Nahrungsmittel-Inflationsrate beträgt 16 Prozent. Der Aktienmarkt ist seit Mitte Dezember um 11 Prozent gefallen.

Die Währung fällt, ebenso die Bonds (=steigende Renditen). Das internationale Kapital hat Angst vor eine Zinserhöhung. Es befürchtet nicht zu Unrecht konjunkturelle Bremseffekte und verlässt das sinkende Schiff (auch wenn nicht klar ist, ob es tatsächlich sinken wird). Ähnliche Reaktionen erwarten wir auch für andere Schwellenländer. Die Aktienmärkte sind jedenfalls bei steigenden Inflationsraten kein sicherer Hafen.

Inflation bricht dann in sich zusammen, wenn die Kaufkraft aufgrund sinkender Reallöhne nachlässt. Je höher die Inflation, desto schwieriger wird es, den Schock der nachlassenden Kaufkraft abzufangen. Üblicherweise folgt einer Phase der Inflation eine rezessive bzw. deflationäre Phase.

Aktienmarkt-Leitindizes zählen zu den besten voraus laufenden Konjunkturindikatoren. Das Zittern in Asien zeigt eine konjunkturelle Abschwächung an. Die Rohstoffpreise dürften dies spätestens zur Jahresmitte 2011 zu spüren bekommen. Erste Brüche sind bereits erkennbar: Die Edelmetalle zeigen relative und absolute Schwäche.

Der ersten Inflationswelle Frühjahr/Sommer 2008 folgte die Baisse im Herbst 2008. Aktuell rollt die zweite Welle. Folgt erneut eine Baisse? Während im Jahr 2008 die USA die Schwellenländer in die Abkühlungsphase zwangen, dürfte es diesmal umgekehrt laufen: Die Schwellenländer sind zu massiven Bremsaktionen gezwungen. Die dortige konjunkturelle Abschwächung dürfte die USA – und auch Europa – im Laufe des Jahres treffen.

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