Der erste Weltkrieg wird in der Geschichtsschreibung als die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet, die weitere Katastrophen hervorbrachte. Droht die 1999 erfolgte Euro-Einführung zum Ausgangspunkt für die Ur-Katastrophe des 21. Jahrhunderts zu werden?
Von Walter Strack und Hartmuth Becker
Der erste Weltkrieg wird in der Geschichtsschreibung als die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet, die weitere Katastrophen hervorbrachte. Wie es weiterging, ist in den Geschichtsbüchern nachzulesen. Im Kriegsausbruch des Jahres 1914 kulminierte das Resultat einer kontinuierlich abwärtsführenden Entwicklung, die vielleicht schon nach dem Ausscheiden Bismarcks aus der politischen Verantwortung begann und im Ergebnis durch die Betonung der Interessenunterschiede zu unüberbrückbaren Differenzen innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft führte. Dabei steht fest, dass politische Katastrophen nicht urplötzlich auftreten, sondern den Endpunkt einer Entwicklungslinie markieren.
Wenn man die Vorgänge der letzten Jahre Revue passieren läßt, so ist zu fragen, ob nicht die 1999 erfolgte Euro-Einführung zum Ausgangspunkt für die Ur-Katastrophe des 21. Jahrhunderts zu werden droht. Bekanntlich wurde seinerzeit gegen jede ernstzunehmende fachliche Expertise die EWU als monetäre Klammer für die politische Einigung Europas geschaffen. Konnte der Euro diese Aufgabe erfüllen oder hat er in Wirklichkeit die vorhandenen Interessenunterschiede noch verschärft, die letztlich unüberbrückbar werden? Die Resultate waren:
Die südeuropäischen Volkswirtschaften haben im vergangenen Jahrzehnt aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Währungsunion bzw. der gesunkenen Zinsen eine auf Schulden aufgebaute Scheinblüte erlebt. Sie trat hauptsächlich in den Bereichen Konsum und Immobilien auf, wettbewerbsfähige wirtschaftliche Strukturen sind hingegen nicht entstanden. Heute leiden die südeuropäischen Volkswirtschaften mangels wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstrukturen unter einem viel zu hohen Wechselkurs; sowohl innerhalb (!) als auch außerhalb des Euro-Raumes. Beides, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und die hoch aufgetürmten Schulden der südeuropäischen Länder, sind die Folge politischer Eingriffe in den Wirtschaftskreislauf. Somit ist ein Krisenpotential entstanden, das durch weitere Interventionen eine Dimension erreicht hat, die sogar die Stabilität des Weltfinanzsystems gefährdet. Eines zieht das andere nach sich. Durch die notwendig gewordenen Rettungsmaßnahmen geraten nunmehr auch die wirtschaftlich starken nordeuropäischen Staaten in Gefahr, finanziell überfordert zu werden. Die Märkte zweifeln inzwischen an der AAA-Bonität Deutschlands, da die Rettungsmaßnahmen überhand nehmen könnten. Sollte Deutschland als größte Volkswirtschaft des Euro-Raumes seine AAA-Bonität verlieren, so steht die Finanzierungsfähigkeit der EU insgesamt infrage.
Euro kostet Deutschland 250 Milliarden pro Jahr
Die deutsche Volkswirtschaft leidet unter dem enormen Kapitalentzug, der in einer vernachlässigten Infrastruktur und einer suboptimalen Lohnentwicklung seinen Ausdruck findet. Der volkswirtschaftliche Verlust seit der Einführung des Euros liegt nach Berechnungen Spethmanns etwa bei 250 Mrd. Euro p. a., was einer Größenordnung von ca. 10 v. H. des Bruttoinlandsproduktes entspricht, wobei im wesentlichen „verschenkte“ Zinsgewinne und Außenhandelsüberschüsse aber auch der Nettobeitrag Deutschlands an die EU anzurechnen sind. Dieser Kapitalentzug gefährdet die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Jetzt soll mit Hilfe des deutschen Steuerzahlers der Euro gerettet werden. Nach einer Schätzung von Eichengreen würde das jährliche Transfers in Höhe von ungefähr 3 v. H. des Bruttoinlandsproduktes erfordern, was einer Summe von ca. 75 Mrd. Euro entspricht – und das bei einem Gesamtsteueraufkommen auf Bundesebene in Höhe von 223 Mrd. Euro im Jahr. Das dürfte für den deutschen Staat nicht nur schwer zu leisten sein, sondern widerspricht auch den einschlägigen vertraglichen Regelungen. Somit sollte das Schicksal der gemeinsamen Währung entschieden sein: Einerseits sind die wirtschaftlich schwachen Länder nicht in der Lage, in der Währungsunion zu bestehen; anderseits ist Deutschland nicht in der Lage, diese ungeheueren Transfers zu leisten. Da aber die Politik nicht die Kraft zu einem Schlußstrich findet, ist ein weiteres Siechtum mit schweren Kollateralschäden zu erwarten. Der Euro wird zum „Zombie“: Die wirtschaftlich unsinnigen Rettungsmaßnahmen führen zu einer weiteren Kapitalvernichtung.
EZB nicht Hüter der Währung sondern Diener der Politik
Und doch geht es vorläufig so weiter. Die Verantwortung für den Euro ist auf die Währungsunionsländer aufgeteilt, so dass sich niemand wirklich verantwortlich fühlen muss. Zudem unterliegen die Beteiligten einem Gruppenzwang. Es wird nicht widersprochen, wenn die Kommission machtpolitisch motiviert auf möglichst viele Aufnahmen drängt: zuletzt folgte Anfang 2011 Estland als siebzehntes Mitglied der EWU. Was aus derartiger ökonomischer Blindheit resultiert, zeigte sich bereits in der Staatsschuldenkrise Griechenlands und Irlands. Besonders vertrauenszersetzend wirkt, dass die Kommission die Mitgliedstaaten gegeneinander ausspielt. Sie forciert die Krise der schwachen Staaten, indem sie die Finanzmärkte mit immer neuen Appellen nicht zur Ruhe kommen läßt. Sie untergräbt die freie Finanzierung wirtschaftlich schwacher Staaten, so dass jene auf ihre Unterstützung bei der Erlangung der EU-Hilfen angewiesen sind. Strebt die Kommission gar die Finanzhoheit in Europa an? Auch andere europäische Institutionen scheinen aus dem Tritt zu geraten. So verwundert es dann nicht, wenn die Europäische Zentralbank, statt „Hüterin der Währung“ zu sein, zur Dienerin der Politik wird, die sich mit dem Ankauf von Staatsanleihen und den Aufforderungen zum Rettungsschirm nicht geld-, sondern fiskalpolitisch betätigt.
Selbst die Mitgliedstaaten lassen sich treiben. Beispielhaft hierfür sind die ohne hinreichende parlamentarische Diskussion und Entscheidungsabwägung verabschiedeten Rettungsmaßnahmen, die zu allem Überfluß im Kontext der Verabschiedung eines Gewährleistungsermächtigungsgesetzes stehen. Dazu kommt, dass die bundesdeutsche Judikative ihre Rolle als korrigierende Kraft des Rechts vernachlässigt, indem sie tatenlos bleibt. Ihre Möglichkeiten blieben ohnehin nur darauf beschränkt, das staatspolitische Handeln im Einklang mit deutschem Verfassungsrecht bzw. dem europäischen Vertragsrecht zu bewerten. Eine politische Beurteilung steht den Gerichten selbst bei schwerwiegendem Politikversagen nicht zu.
Fazit: Durch die wiederholten willkürlichen Vertragsauslegungen, ad-hoc Änderungen und Vertragsbrüche haben sich die EU, die EZB und die Verantwortlichen der Mitgliedstaaten rechtlich und moralisch angreifbar gemacht. Glaubwürdigkeit entsteht nicht, wenn die Griechenland-Notkredite mit einem Passus für Naturkatastrophen gerechtfertigt oder der Lissabon-Vertrag sinnwidrig ergänzt wird. Dabei hat die französische Finanzministerin den Rechtsbruch in einem Zeitungsinterview öffentlich zugegeben. Der Traum von einem rechtmäßigen Europa ist zerstört. Heiligt aber der Zweck die Mittel, gedeiht Europa nur noch auf dem Feld des Unrechts.
Das herrschende Regime macht die Bürger der EWU-Staaten entweder zu Zahlungspflichtigen oder zu Zahlungsempfängern, mit der Konsequenz, entweder sparen zu müssen, um die Schulden anderer zu bezahlen oder sparen zu müssen, um die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft auszugleichen. Schon heute zeigt sich, dass die Bürger gegen die von Brüssel oktroyierten Auflagen auf die Straße gehen. Mit Entsetzen läßt sich beobachten, wie das friedliche Zusammenleben der europäischen Völker nachhaltig untergraben wird. Das ist der Stoff, aus dem sich die Ur-Katastrophe des 21. Jahrhunderts entwickeln kann und wird, sofern nicht ein entschiedenes Gegensteuern erfolgt. Es muss eine Alternative gefunden werden.