Im Mordfall Susanna F. droht ein Justiz-Skandal von möglicherweise ungeahnten Dimensionen: Weil Polizeichef Roman auf eigene Faust in den Irak flog und den Täter ohne offizielles Auslieferungsverfahren "entführte" droht in Deutschland ein "Verfahrenshindernis". Eine entsprechende Anzeige ist erstattet.
Von Christian Hiss
Es ist heutzutage bekanntlich schwieriger eine Plastikflasche Mineralwasser an Bord eines Flugzeuges zu bekommen als acht Menschen ohne oder mit falschen Papieren – jedenfalls zeigt dies der Fall der ermordeten Susanna F. (†14).
Der mutmaßliche – oder besser: ihr, denn er hat ja gestanden – Mörder Ali B. (20, vielleicht 21? oder noch älter?) konnte von der Bundespolizei ganz unbehelligt eine Maschine nach Irak besteigen und so den deutschen Behörden zunächst eine lange Nase machen – er flüchtete (vielleicht das erste Mal in seinem Leben wirklich).
Das wollte die Bundespolizei dann wohl doch nicht auf sich sitzen lassen. Der Präsident der Bundespolizei, Dieter Roman, bestieg noch am Samstag (09.06.2018) ein Flugzeug und flog nach Irak. Eine Anweisung, dies zu tun, hat er von seinem Chef, dem Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat, Horst Seehofer (CSU), jedoch nicht erhalten.
Im Irak eingetroffen ließ Roman seine ganz persönlichen Kontakte auch zur kurdischen Autonomie-Regierung spielen – die Zentralregierung in Bagdad, das Auswärtige Amt oder das Bundesministerium der Justiz, eigentlich für Auslieferungen zuständig, wurden nicht involviert – eine Absprache, ein Handschlag: kurze Zeit später wurde Ali B. von kurdischen Sicherheitskräften Roman übergeben, in das wartende Flugzeug der Lufthansa bugsiert.
An Bord eines deutschen Flugzeuges gilt gemäß des völkerrechtlichen „Flaggenprinzips“ deutsches Recht, die dort wartenden Kollegen des Bundespolizeipräsidenten Roman verhafteten Ali B. sogleich und brachten ihn zurück nach Deutschland.
Verfahrensfehler mit Folgen
Das hemdsärmelige Vorgehen von Roman wurde zunächst durchweg begrüßt, der Täter ist gefasst und ihm kann nun der Prozess gemacht werden – wirklich? War das Vorgehen von Roman – immerhin betonte das Bundesinnenministerium recht zügig, keine Anweisung erteilt zu haben – wirklich so lobenswert?
Die Übergangsverfassung des Irak wurde im Jahr 2005 durch eine neue, per Volksabstimmung angenommene, Verfassung abgelöst. Art. 20 Abs. 1 der Verfassung des Irak bestimmt: „Kein Iraker darf fremden Mächten übergeben werden.“
Das deutsche Grundgesetz kennt es ähnlich, dort heißt es in Art. 16 Abs. 2 Satz 1: „Kein Deutscher darf ans Ausland ausgeliefert werden.“ Typisch deutsch kommt sodann aber noch ein Satz 2, welcher die Ausnahmen regelt. Ein solcher Satz 2 fehlt der irakischen Verfassung allerdings. Dies bedeutet, dass die „Auslieferung“ des Ali B. im Nachhinein vielleicht doch als Entführung, als Freiheitsberaubung, zu bewerten ist.
Die irakische Zentralregierung in Bagdad legte bereits Protest ein.
Justiz absurd: Anzeige gegen Polizeichef wegen Freiheitsberaubung des Täters
Der auf Strafverteidigung spezialisierte Rechtsanwalt Daniel Sprafke aus Baden-Württemberg hat bereits am 11.06.2018 Strafanzeige gegen den Präsidenten der Bundespolizei Dieter Roman wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung erstattet, es obliegt nun der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg, die Sache zu prüfen.
Dabei wird es jedoch nicht bleiben, die dem Ali B. auf Kosten des deutschen Steuerzahlers zu gewährenden Pflichtverteidiger werden sich ebenfalls auf die Festnahme als Ergebnis einer „Entführung“ stürzen – dies kann durchaus ein Verfahrenshindernis bedeuten.
Ein Verfahrenshindernis bedeutet nichts anderes als dass das Verfahren einzustellen ist; so will es die deutsche Strafprozessordnung (§ 206a StPO): „Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis heraus, so kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren durch Beschluß einstellen.“
Jetzt könnte man glauben, dass, sollte ein Strafverfahren gegen Ali B. in Deutschland spätestens in der Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zur Einstellung gelangen, man Ali B. ja einfach zurück nach Irak schicken und ihn der irakischen Justiz überlassen kann – jein!
Irak praktiziert die Todesstrafe, die drohende Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe kann einer Auslieferung entgegenstehen. Irak müsste garantieren, dass die Todesstrafe nicht in Betracht käme und auch eine lebenslange – und zudem menschenwürdige! – Haftstrafe nicht 20 oder mehr Jahre übersteigen würde, da Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) jedem Verurteilten die reelle Chance auf Wiedererlangung der Freiheit zugestehen – egal wie abscheulich eine Tat gewesen sein mag.
Verfahrenshindernis in D + Auslieferungsverbot = Ali B. frei
Auf den Punkt gebracht: Im schlimmsten Fall besteht ein Verfahrenshindernis für eine Verurteilung in Deutschland bei gleichzeitigem Auslieferungsverbot nach Irak, sodass Ali B. – wegen anfänglichen Versagens und späteren Handelns der Bundespolizei – unbehelligt in Deutschland bleibt.
Es bleibt also zu hoffen, dass auch in einer möglichen Revisionsverhandlung die bisherige, strenge Linie des BGH und des BVerfG nicht aufgeweicht wird und der Grundsatz bleibt: malus captus bene detentus (unrechte Gefangennahme, aber gute Verwahrung).